
- Das fehlende Dressing
Um sich erfolgreich für den SPD-Chefposten zu bewerben, suchte Olaf Scholz ein weibliches Pendant. Er fand sie in keiner Zeitungsannonce und auf keinem Datingportal, sondern in Potsdam. Die ersten Auftritte mit Klara Geywitz gaben eine Ahnung davon, wie chancenreich das Duo ist
In der Abendsonne stehen Klara Geywitz und Olaf Scholz auf dem Balkon einer weißen Stadtvilla. Ein ereignisreicher Tag liegt hinter ihnen. Scholz sprach Mittwoch früh im Morgenmagazin, anschließend beschloss er mit dem Kabinett die Teilabschaffung des Solidaritätszuschlages, dann stellten er und Geywitz sich auf der Bundespressekonferenz als Kandidatenpärchen für die SPD-Chefposten vor.
Jetzt galt es, noch eine letzte Hürde zu nehmen. Eine Hürde, die eigentlich keine war: Eine Abendveranstaltung der SPD in Potsdam. Für die dortige Landtagsabgeordnete Klara Geywitz ein Heimspiel. Sie lud Scholz als Diskussionspartner. Scholz kam, natürlich, gab Schützenhilfe für die Brandenburger Landtagswahl in einer Woche, machte Werbung für das Kandidatenpaar, das bald die Sozialdemokraten führen will.
Zuhause ist, wo die Genossen sind
Scholz hatte die Krawatte abgelegt, die er noch zur Bundespressekonferenz am Vormittag in Berlin trug. So unter Genossen ist die Stimmung gelöster als im Haifischbecken der Hauptstadtjournaille. Man sieht ihn lachen, Autogrammkarten unterschreiben. Während der Veranstaltung duzt man sich, und zwischen den Genossen herrscht Einigkeit. Aus Scholz und Geywitz, die sich zur Mittagsstunde noch der Berliner Republik erklärten, wurden in Potsdam Klara und Olaf.
Die Gäste machten deutlich, wie erleichtert sie über die Kandidatur von Scholz und Geywitz seien. Kein Wunder, will man sagen, bei Alternativen wie Ralf Stegner und Gesine Schwan. Dieses Duo werden Scholz und Geywitz, Olaf und Klara, spielend besiegen. Zu bekannt ist Scholz, und allemal beliebter als Stegner – zu energisch ist Geywitz, neben der eine Gesine Schwan beinahe unfreiwillig komisch wirkt.
Olaf, 61, sucht Partnerin
Nachdem vor wenigen Tagen bekannt geworden war, dass sich Scholz traut, für den politischen Schleudersitz der Nation zu kandidieren, dem SPD-Chefposten, schwirrte eine unausgesprochene Kontaktanzeige durch die Kader der Sozialdemokraten. Sie war in keiner Zeitung annonciert, auf keinem Datingprofil beworben: Olaf, 61, sucht Partnerin, gerne lebhaft.
Das war vor allem so, weil Doppelspitzen nun im Zeitgeist liegen. Seitdem die Grünen mit den beiden Klimakämpfern Robert Habeck und Annalena Baerbock als Team ihrer Partei vorsitzen und große Erfolge einfuhren, viele in der Gesellschaft inzwischen Wert auf Parität legen, versucht es die SPD nun eben ähnlich.
Weiblich und ostdeutsch
Lebhaft sollte Scholz' zukünftige Partnerin für die Bewerbung zum Vorsitz schon deshalb sein, weil Scholz es eben nicht ist. Er brauchte für die größtmögliche Chance auf den Posten, und das war Scholz und seinem Team sehr wahrscheinlich bewusst, einen Konterpart, einen Gegenentwurf, ein sich gut einfügendes Puzzleteil, das ihn komplettieren würde. Eine frische, energische Frau. Am besten eine Ostdeutsche, in einer Woche stehen dort richtungsweisende Wahlen an, man will punkten.
Scholz präsentierte daraufhin eine bisher bei den Bürgern weitgehend unbekannte Kandidatin: die Brandenburger Landtagsabgeordnete Klara Geywitz. Überraschung! Wie er auf sie kam, ist nicht übermittelt, Scholz redet nicht gerne über Interna. Womöglich aber hing es mit seiner Frau zusammen, Britta Ernst, die der Mark Brandenburg als Bildungsministerin dient. Doch innerhalb der SPD ist Geywitz keine Unbekannte: Immerhin sitzt sie mit Scholz im SPD-Parteivorstand.
Nicht das „dekorative Salatblatt“
Mittags stellten sich beide auf einer Bundespressekonferenz vor. Ein großer Teil der Veranstaltung war altbekanntes Phrasengedresch. Man wolle die SPD wieder zu alter Stärke führen, solche Ergebnisse wie zuletzt seien der Partei unwürdig, die SPD solle nicht so über sich sprechen lassen wie in den vergangenen Monaten. Für Scholz sei seine Partei eine persönliche, eine emotionale Angelegenheit. Er sprach davon, dass er mit siebzehn Jahren Sozialdemokrat geworden sei. Nun ist er 61. Das sei eine lange Zeit. Er könnte es sich nicht verzeihen, so sinngemäß, wenn die SPD noch weiter abrutschte, geschweige denn implodierte.
Klara Geywitz saß neben Scholz, strenge Metallgestellbrille, biederer Blazer. Die kurzen, eigentlich dunklen Haare aufgehellt. Ihr war es wichtig, zu betonen, dass sie „nicht das dekorative Salatblatt“ an Scholz' Seite sein würde. Im Gegenteil: Man wolle auf Augenhöhe agieren. Es werde auch nicht so sein, so Geywitz, dass „einer die Weltpolitik erklärt und einer die Unterbezirksparteitage besucht.“
Geywitz stellte fest, dass die SPD auch während der Großen Koalition „unglaublich viele Sachen“ umgesetzt hätte, die das Leben der Menschen verbessert hätten. Das ist richtig, die Lorbeeren dafür aber verschenken die Sozialdemokraten regelmäßig, die Punkte gehen stets auf andere Konten. Ein Grund dafür sei wohl, sagt die Potsdamerin, dass viele Bürger dächten, hier in Berlin sei „irgendwie alles eine Suppe“. Das zu ändern, dafür trete sie an.
Nicht müde wurde Geywitz, zu betonen, dass sie aus dem Osten komme, „eine junge Frau aus dem Osten“, wie sie formulierte. Schwerpunkte setzte sie bei den Themen Familie, Ostdeutschland, Migration und Frauen.
Nicht viel Geschnack'
Tatsächlich scheint Scholz da eine gute Wahl getroffen zu haben: Geywitz kommt gut an. Sie ist energisch, frisch, unverbraucht, zugewandt. Weitestgehend frei, schnell und unumwunden gibt sie Antworten. Ein Kontrast zu Scholz, der bedacht jedes Wort abwägt. Klara Geywitz wird kein dekoratives Salatblättchen sein. Vielmehr das bisher fehlende Dressing.
Und plötzlich wirkt Olaf Scholz nicht mehr so kleinkariert, verschlossen, ernst, griesgrämig. Ein bisschen was von Geywitz' Energie scheint auch auf Scholz abzustrahlen. Es wird dem alten Sozialdemokraten guttun, ist er doch auf Bundesebene nicht gerade beliebt. Die Erfahrung konnte er schon Anfang des Jahrtausends als Arbeitsminister und Generalsekretär unter Schröder machen.
In Hamburg ist das ganz anders. In seiner Zeit als Erster Bürgermeister war er beliebt. Zum einen leistete er zwischen Alster und Elbe gute Arbeit. Zum anderen aber war es, als hätte er sein Schicksal gefunden: Es war ein Amt, das ihm auf den Leib geschneidert schien. Scholz ist zwar gebürtiger Osnabrücker, wuchs aber in Hamburg auf und wirkte stets so, als wäre er schon immer ein Sohn der stolzen Hansestadt: Kühl, distanziert, freundlich, ehrlich. Ironisch, unaufgeregt und verbindlich. Nicht viel Geschnack'.
Die Hamburger liebten ihn, weil er so gut zu ihnen und ihrer Stadt passte. Den Einsatz fürs Lokale, den Bürger, für seine Herzensangelegenheit, die Hansestadt, das alles glaubte man Scholz. Das alles kaufte man ihm ab, als er noch in einer bürgerlichen Altonaer Mietskaserne lebte, und vor dessen Eingang ein kleiner Wachcontainer der Polizei stand. Wäre Scholz genügsam, wäre er wohl Bürgermeister geblieben. Doch Scholz war gut, zu gut, eine der Hoffnungen der deutschen Sozialdemokratie. Beinahe folgerichtig ging er nach Berlin.
Was hier klappt, muss dort nicht richtig sein
Doch als Olaf Scholz, der Hanseat, zu Scholz, dem korrekten Finanzminister und Vizekanzler wurde, wurden ihm all diese Eigenschaften, die ihm zuvor Erfolg brachten, zu seinem Nachteil ausgelegt: Für den Rest der Republik war er zu schroff, zu wortkarg, zu reserviert. Man kritisierte ihn dafür, ein eiserner Sparer zu sein, ein Verfechter der „schwarzen Null“. Knauserig eben. Auch wenn Scholz das heute gut begründet zurückweist, auch wenn er tatsächlich viel Geld für die Investitionen der Zukunft locker gemacht hat, es bringt ihm wenig: Politik funktioniert eben vor allem über Emotionen, weit weniger über Tatsachen. Und niemand mag Spielverderber.
Scholz arbeitete kürzlich verstärkt daran, sein Image aufzupolieren, zum Beispiel mit Bierausschenken auf dem Mitarbeiterfest im Bundesfinanzministerium. Nun aber könnte er tatsächlich im Begriff sein, die Dinge zu seinen Gunsten zu drehen, denn Scholz gelang mit Klara Geywitz ein geschickter Zug auf dem Brett des Personalschachs.
Konkurrenz? Wo?
Und was ist mit anderen Gegenkandidaten? Ernstzunehmen sind Boris Pistorius, Niedersachens Innenminister, der vor allem wegen seiner Sicherheitspolitik geschätzt wird und seine Partner-Kandidatin Petra Köpping, Sachsens Integrationsministerin. Der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und Mitkandidatin Nina Scheer, SPD-Umweltexpertin, haben sicher auch Chancen, wenn auch verschwindend geringe. Lauterbach wird eher wegen seiner humorigen Antworten gemocht als wegen einer brandtschen oder schmidtschen Führungsaura, die er wie die meisten heutigen Sozialdemokraten vermissen lässt.
Scholz und Geywitz, Klara und Olaf. In den kommenden Wochen werden sie auf den SPD-Regionalkonferenzen für sich werben. Dabei ist unstrittig: Beide starten nicht nur auf der Pole Position – womöglich werden sie das Rennen auch machen.