
- Gefesselt von Weltoffenheit
In Ellwangen waren Hunderte Polizisten nötig, um die Abschiebehaft für einen Mann durchzusetzen. Der Einsatz wirft viele Fragen über die Abschiebepraxis in Deutschland auf. Im selben Atemzug wird Recht gesprochen und ausgesetzt. Für einen Rechtsstaat kann das verheerende Folgen haben
Deutschland atmet auf, „der Rechtsstaat setzt sich durch.“ So bilanzierte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl von der CDU den zweiten Polizeieinsatz innerhalb von vier Tagen in der Landeserstaufnahmestelle (LEA) Ellwangen. Die schöne Stadt im Ostalbkreis nennt sich „weltoffen und hilfsbereit“. In der LEA will sie Flüchtlingen, die einen Asylantrag gestellt haben, ein „gutes Willkommen“ bieten. Dennoch wurden nun Hunderte Polizisten, zehn Diensthunde und 39 Mediziner aufgewandt, um knapp dreihundert Asylbewerber zu kontrollieren und einen ausreisepflichtigen Togolesen dingfest zu machen. Der Rechtsstaat setzt sich durch? Nachhaltig? Mit einem solchen Aufwand?
Prekäre Sicherheits- und Debattenlage
Der zweite Einsatz in der beschaulichen Stadt an der Ostalb wirft mehr Fragen auf, als er Antworten gibt. Die Sicherheitslage in Deutschland bleibt prekär. Die Debattenlage freilich auch.
Wenn in Ellwangen und den anderen Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge „Aufnahme, Registrierung, Gesundheits- und Röntgenuntersuchung, erkennungsdienstliche Behandlung, Asylantragsannahme sowie Anhörung“ stattfinden: Was macht ein Togolese dort? Um einen Flüchtling kann es sich nicht handeln, der gesuchte Mann kam über Italien nach Baden-Würtemberg. Der einzige Fluchtgrund, mit dem Italien aufwarten könnte, wäre die „geringe soziale Unterstützung“ dort, das Weniger an Geld und Ausstattung. Dann hätte mit Ausnahme Schweizer Staatsbürger jeder Nichtdeutsche einen Fluchtgrund für Deutschland. Der Asylantrag konnte nur abgelehnt werden. In Togo herrscht kein Krieg, das Wirtschaftswachstum liegt bei über vier Prozent, jedoch sind laut Auswärtigem Amt „Straßen und Fahrzeuge häufig in einem schlechten Zustand“. Mediokre Infrastruktur begründet keinen Asylstatus, sonst müsste Deutschland weite Teile Afrikas und Asiens und Südamerikas als Asylbewerber anerkennen. Warum wurde der Togolese nicht an der deutschen Grenze abgewiesen?
Die Botschaft: Gewalt lohnt sich
Seine Abschiebung nach Italien scheiterte am Montag, weil „mehrere Schwarzafrikaner über eine Telefonkette Verstärkung herbeigerufen hatten, als zwei Streifenwagen den Togolesen zur Abschiebung abholen wollten.“ Die Polizisten kapitulierten vor dem illegalen Widerstand, zogen ab, ließen den Mann aus Togo frei. Gewalt lohnt sich: Das war die Botschaft vom Montag. Bei dem Großeinsatz am Donnerstag stießen die Beamten auf Rauschgift, auf gefälschte Dokumente, auf mehr Bargeld als erlaubt, nicht aber auf Waffen. Der Mann aus Togo kam in Abschiebehaft. Doch wird er Deutschland je verlassen?
Der abgelehnte, aber geduldete Asylbewerber ist ein hölzernes Eisen und neue deutsche Realität. Die Bundesrepublik Deutschland spricht im selben Atemzug Recht und setzt es aus. Ist das eine nationalpsychologische Vollzugsneurose oder mehr? Gerät einmal doch der ganze Apparat in Bewegung, um den einen oder anderen verstreuten ausreisepflichtigen Ausländer außer Landes zu bringen, steht eine Armada bereit von Unterstützern in Politik, Medien, Lobbytum, die ihrer humanitären Sache zulasten des Rechtsstaats Geltung erzwingen wollen. Oder die Polizei stellt sich selbst ein Bein. Sachsen musste eingestehen, dass im ersten Quartal von 564 „Abschiebeversuchen“ nur 206 erfolgreich waren. Gibt es eigentlich auch staatliche Steuereintreibungsversuche, staatliche Bauvorschriftendurchsetzungsversuche, die mehrheitlich scheitern und deren Scheitern toleriert wird? Bundesweit betrachtet, ist die sächsische Abschiebequote respektabel. Man schaue nach Berlin.
Fürsorglichkeit toppt Rechtstreue
Der „humane Berliner Weg“ besteht darin, das Gesetz so zu dehnen und zu biegen, bis die Rechtsstaatlichkeit zu bersten droht – sofern es „Schutzsuchende“ aus möglichst fernen Ländern betrifft. Das verkündete ein Politiker der im Stadtstaat Berlin mitregierenden Linkspartei. Eine parlamentarische Anfrage der AfD hatte ergeben, dass im ersten Quartal 232 abgelehnte Asylbewerber abgeschoben worden waren, vor allem nach Moldawien. Ausreisepflichtig sind insgesamt knapp 12.000 Asylbewerber. Die geringe Quote ist politisch gewollt. In Berlin werde „jeder Einzelfall fürsorglich überprüft und nach Möglichkeit bleiberechtsfreundlich ausgestaltet“. Sagt Hakan Tas von der Linkspartei. Bleiberechtsfreundlichkeit schlägt Bleiberecht. Fürsorglichkeit toppt Rechtstreue.
Kommt es irgendwann doch wie nun in Ellwangen zu drakonischen Einsätzen und Maßnahmen, wird dem zugewanderten Gesetzesbrecher ein bunter Strauß der Anteilnahme geflochten, zumindest von Haltungsjournalisten. Ein Autor der Frankfurter Rundschau deutete die Ellwangener Auflehnung gegen das Gesetz als sympathische „menschliche Geste“ und „Solidarisierungswelle“ unter Flüchtlingen, die in Deutschland „zu kuschen“ hätten. Kuschen muss demnach der Autofahrer, der bei Rot stehen bleiben muss, der Kreditnehmer, der seine Raten bezahlen muss, der Wirt, der zu den Speisen nicht das Datum hinzu addieren darf. Nach dieser verqueren Logik wäre Gesetzestreue ein Relikt für die, die schon eine Weile hier leben. Migranten sollen den Rechtsstaat hingegen kennenlernen als das Recht, sich vom Staat zu nehmen, was man gerade braucht. Welch destruktive Verkennung von Demokratie, Republik, Freiheit.
Das Vorbild für Ellwangen heißt Donauwörth, wo im März rund 150 Gambier gegen ihre Unterbringung im Erstaufnahmelager protestierten, zum Teil gewalttätig wurden. Mit dem Sprechchor „We are here and we will fight“ zogen die Männer halb drohend, halb fordernd durch Donauwörth. Der Widerstand gegen eine Staatsgewalt, die zur eigenen Gewalt ein problematisches Verhältnis hat, gegen einen Staat, der sich in seiner Weltoffenheit selbst fesselt, ist ein Trend dieser Tage. Ob der Montag oder der Donnerstag von Ellwangen die Blaupause abgibt für das neue Deutschland, weiß niemand. Doch Kämpfe werden sein und neue Fragen kommen.