Abtreibungsgegner demonstrieren vor dem Supreme Court in Washington, D.C. / picture alliance

Abtreibungsrecht in den USA - Debatte um das Recht auf Leben

Vor einem Jahr entschied das Oberste Gericht der USA, dass es kein verfassungsmäßiges Recht auf Schwangerschaftsabbruch gibt. Derweil werden in manchen Bundesstaaten geltende Verbote mit leicht erhältlichen Abtreibungspillen umgangen.

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Lisa Davidson ist Journalistin, freie Autorin und Podcast-Host. Sie lebt in Virginia, USA. 

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Ein Jahr nach der Aufhebung des historisch grundlegenden Abtreibungsurteils Roe v. Wade steht der Oberste Gerichtshof der USA wieder einmal vor einer wichtigen Entscheidung zum Thema. Dabei sind die Diskussionen in der Bevölkerung hitziger denn je. Im Mittelpunkt steht dabei auch der Kampf um die Verfügbarkeit verschreibungspflichtiger Abtreibungspillen.

Laut New York Times ist der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch in den vergangenen zehn Jahren immer häufiger geworden. Statistiken zeigen, dass Medikamente inzwischen für mehr als die Hälfte der legalen Abtreibungen sorgen. In den USA erfolgt die Behandlung in der Regel mit einer Kombination aus den Medikamenten Mifepriston und Misoprostol, doch Abtreibungsgegner fordern ein Verbot der Abtreibungspille Mifepriston.

Befürworter sprechen sich hingegen für die Vorteile der medikamentösen Behandlung aus. Viele Frauen ziehen die Abtreibungspillen einem chirurgischen Abbruch vor, da sie die Medikamente in der Sicherheit der eigenen vier Wände einnehmen können. Sie müssen das Haus weder für einen Krankenhaus- noch für einen Arztbesuch verlassen.

Doch obwohl Wirksamkeit und Sicherheit der Abtreibungsmedikamente seit mehr als 20 Jahren eingehend untersucht und geprüft werden, haben mehr als ein Dutzend Bundesstaaten fast alle Abtreibungen einschließlich medikamentöser Art untersagt, seit der Oberste Gerichtshof 2022 das Urteil Roe v. Wade aufhob.

Die Geschichte der Abtreibungsdebatte in den USA

Dabei sind die Abtreibungsdiskussionen nichts Neues. Im teilweise stark konservativen Amerika wird das Thema immer wieder zum Streitpunkt. Im Jahr 1973 wurde mit der Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshofs Roe v. Wade erstmals das verfassungsmäßige Recht auf Abtreibung festgelegt. Darin wurde anerkannt, dass das Recht einer Frau auf Abtreibung durch das verfassungsmäßige Recht auf Privatsphäre geschützt ist. Im Laufe der Jahre hat der Oberste Gerichtshof den rechtlichen Rahmen für den Schwangerschaftsabbruch weiter präzisiert und verfeinert, einschließlich der Einschränkungen und Vorschriften, die von den jeweiligen Bundesstaaten erlassen werden können.

Befürworter des Abtreibungsrechts argumentieren, dass Frauen das Recht haben sollten, ohne Einmischung der Regierung über ihren eigenen Körper und ihre reproduktive Gesundheit zu entscheiden. Zugang zu sicherer Gesundheitsversorgung inklusive legaler Abtreibungsdienste sei entscheidend, da Einschränkungen zu potenziell lebensbedrohlichen Verfahren führen können. Die Gegner konzentrieren sich hingegen häufig auf die Rechte des Ungeborenen.

Gesetzliche Rahmenbedingungen für Abtreibungen

Trotz des Urteils im Fall Roe v. Wade haben zahlreiche Bundesstaaten im Laufe der Jahre Gesetze bezüglich vorgeschriebener Wartezeiten, obligatorischer Beratungen sowie Anforderungen an Ultraschalluntersuchungen und Grenzen für das Schwangerschaftsalter erlassen, die den Zugang zur Abtreibung einschränken sollten. Vor allem konservative Staaten haben teils sehr restriktive Gesetze vorgeschrieben.

Umfragen zeigen, wie stark die Meinungen der Amerikaner beim Thema Abtreibung nach wie vor auseinandergehen. Laut einem NPR-Bericht befürworten knapp 60% der Befragten das Recht auf Abtreibung, während 37% „Pro-Life“ sind. Eine aktuelle, in der National Review veröffentlichte Gallup-Umfrage besagt zudem, dass 55% der Amerikaner der Ansicht sind, dass Abtreibungen im zweiten Trimester illegal sein sollten, während 70% diese Meinung für Abtreibungen im dritten Trimester vertreten.

 

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Konservative Richter nutzen bei hitzigen Diskussionen immer häufiger die Gunst der Stunde, um Gesetze, die ihnen nicht gefallen, zu Fall zu bringen. So war es auch im Fall des texanischen Richters Matthew Kacsmaryk, der von Donald Trump ernannt wurde. Er vertrat die Auffassung, die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA habe bei der Zulassung des Medikaments Mifepriston im Jahr 2000 einen Fehler begangen.

Einige von Kacsmaryks Argumenten erschienen auf den ersten Blick plausibel: Er wies darauf hin, dass die Behörde ein Verfahren anwendet, das für schwere Krankheiten vorgesehen ist, und argumentierte, dass eine Schwangerschaft keine Krankheit sei. Andere Teile seiner Entscheidung schienen der Realität zu widersprechen. So behauptete er beispielsweise, das Medikament sei unsicher. Doch egal, ob man Kacsmaryk zustimmt oder nicht, in einem Punkt sind sich Vertreter beider Seiten einig: Kacsmaryks Fall war eine radikale Ausnahmesituation, denn noch nie zuvor hatte ein Gericht die Zulassung eines Medikaments durch die FDA aufgehoben.

Gerichtliches Kuddelmuddel

Am selben Tag wie Kacsmaryks Entscheidung erließ Thomas Rice, ein von Barack Obama ernannter Bundesrichter im Bundesstaat Washington, eine gegenteilige Entscheidung in einem anderen Fall. Rice gab einem Antrag der demokratischen Generalstaatsanwälte von 17 Bundesstaaten und Washington, D.C., statt, wonach die FDA den Zugang zu Mifepriston in ihrem Zuständigkeitsbereich nicht einschränken darf. Die Entscheidung von Rice könnte die Entscheidung von Kacsmaryk in diesen Staaten außer Kraft setzen.

Dennoch haben einige Frauen in Staaten, in denen die Abtreibungspillen aktuell illegal sind, einen Weg gefunden, die Verbote mit einem Medikamentenrezept zu umgehen. Sie können für kurze Zeit in einen anderen Staat reisen, um die Pillen zu erhalten, oder sie gar per Post bestellen. Selbst illegale Anbieter im Ausland befördern die Medikamente oft problemlos ins Land.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg

Die Zunahme der medikamentösen Abtreibung erklärt, warum die Abtreibungsraten nach dem Roe-Urteil insgesamt nicht so stark zurückgegangen sind, wie manch einer erwartet hatte. Laut Bericht der Society of Family Planning war die Zahl der legalen Abtreibungen pro Monat 2022 landesweit nur um knapp 7 Prozent niedriger als in den Monaten unmittelbar vor dem Urteil des Obersten Gerichtshofs. Da die Daten keine illegalen Abtreibungen enthalten, ist der tatsächliche Rückgang wahrscheinlich noch geringer.

Sowohl Abtreibungsbefürworter als auch -gegner wissen, wie wichtig der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch geworden ist. Vor allem die Tatsache, dass Pillen verschickt werden können, sei eine existenzielle Krise für die Anti-Abtreibungsbewegung, wie Rachel Rebouché, Dekanin der juristischen Fakultät der Temple University, der Associated Press erklärte.

Ausgang des Verfahrens steht noch in den Sternen

Der Ausgang des gerichtlichen Verfahrens steht noch in den Sternen, denn laut New York Times sind sich selbst Rechtsexperten nicht sicher, welchen Ausgang man erwarten kann. Hebt das Berufungsgericht die Entscheidung von Kacsmaryk auf, könnte der Fall, zumindest vorerst, einfach verschwinden. Alternativ könnte sich der Oberste Gerichtshof bereit erklären, den Fall anzuhören und entscheiden, dass der Status quo bis zu seiner Entscheidung in Kraft bleibt. In diesem Fall wäre Mifepriston in weiten Teilen des Landes weiterhin erhältlich, nicht aber in den Bundesstaaten, in denen Abtreibung aktuell verboten ist.

Wenn Kacsmaryks Urteil Bestand hat, müssten die FDA und der Rest der Biden-Administration entscheiden, ob sie sich dem Urteil widersetzen und Rice‘ Urteil als Rechtfertigung verwenden. Eine medizinische Lösung könnte hingegen sein, dass sich Ärzte dazu entscheiden, medikamentösen Schwangerschaftsabbrüche lediglich mit Misoprostol anzubieten, wie es in Europa üblich ist. Während dies ebenfalls sicher und wirksam sei, würde die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen wie schmerzhaften Krämpfen steigen.

Letztlich müssen sich Abtreibungsgegner, unabhängig vom endgültigen Gerichtsurteil, auf eine Niederlage in der Praxis gefasst machen. Denn selbst die aktuelle Rechtslage hält der wissenschaftlichen Entwicklung hinsichtlich leichter erhältlicher Medikamente kaum stand, um eine Abtreibung zu verhindern. Während die Abtreibungsdebatte also emotional aufgeladen bleibt, setzt in der Öffentlichkeit neben allgemeiner Verwirrung immer mehr die Verwunderung ein, wofür was das ganze rechtliche Kuddelmuddel und mediale Theater überhaupt gut war.

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Kai Hügle | Do., 22. Juni 2023 - 09:10

Das Ende von Roe v. Wade ermöglicht es Bundesstaaten, Abtreibung auch dann zu verbieten, wenn die Frau (oder das Mädchen!) in Folge einer Vergewaltigung schwanger wurde.
In 15 republikanisch regierten Staaten wird das nun so praktiziert. Das ist schon schlimm genug. Eine besondere Note aber bekommt das, wenn man bedenkt, dass drei der Obersten Richter, die diese Neuregelung ermöglicht haben, von einem Mann berufen wurden, der der Auffassung ist, er könne Frauen jederzeit zwischen die Beine fassen und der unlängst wegen sexuellen Missbrauchs (und Verleumdung zu einer Zahlung von 5 Millionen Dollar verurteilt wurde.

Naumanna | Do., 22. Juni 2023 - 16:16

Unvorstellbar, dass es immer noch Länder gibt, wo Frauen kriminalisiert werden sollen, wenn sie ungewollte Schwangerschaften abtreiben.
Eine Welt, in der nur Wunschkinder geboren werden, wäre mit Sicherheit eine friedlichere und bessere Welt, als wir sie jetzt haben.

Tomas Poth | Do., 22. Juni 2023 - 18:06

Das ist vorsätzliche Tötung eines werdenden Menschen.
Man kann es auch als Lifestyle-Euthanasie betrachten.
Es gebe nur einen Grund zur Abtreibung, wenn nur damit das Leben der werdenden Mutter zu retten wäre.
Steinigt mich, ihr Frauen, aber als liebender Vater und Großvater kann ich nicht anders.