
- Showdown zweier Showoffs
Tage der Entscheidung, die alles noch einmal aufrütteln könnten: Am Wochenende will Präsident Trump eine mögliche Nachfolgerin von Ruth Bader Ginsburg für den Supreme Court vorschlagen. Für die könnte er sich am Dienstag beim ersten TV-Duell gegen Biden gleich rechtfertigen.
Wenn man die Großen in Hollywood würdigt, mit einem Ehren-Oscar oder irgendeiner Lebenswerk-Auszeichnung, steigt für gewöhnlich einer ins Archiv hinab und sucht die besten Momente raus: die eindrücklichsten Szenen, die intensivsten Augenblicke, die bittersten Tränen, die heftigsten Ausbrüche. So etwas wie Meryl Streeps unterkühlte Abfuhren in „Der Teufel trägt Prada“ oder Al Pacinos Ausraster in „Heat“. Pure Emotionen. Manchmal gibt es diese Zusammenschnitte auch für Politiker. Falls sie runde Geburtstage feiern oder wenn sie abdanken.
Eingebettet in einen Geburtstagsgruß wird sich die Szene, die sich am Donnerstag am Supreme Court der Vereinigten Staaten abspielte, wohl nicht wiederfinden, weshalb sie eher irgendwann in den politischen Grabreden auf Donald Trump auftauchen dürfte: Der Präsident war mit seiner Frau Melania vom Weißen Haus zum obersten Gericht des Landes gebracht worden, um Ruth Bader Ginsburg an ihrem Sarg die letzte Ehre zu erweisen, als die Menge hinter den Absperrungen unten vor dem Gebäude lauter und lauter wurde.
„Vote him out!“
„Vote him out! Vote him out! Vote him out!“, schallte es über den Platz – wählt ihn raus. Trump, der in einem dunklen Anzug und schwarzer Maske auf der obersten Stufe am Eingang zum Gericht stand, wirkte fast regungslos. Nach knapp einer Minute wandte er sich ab und verließ den Eingang zum Supreme Court. Was für eine Szene. Natürlich ist eine liberale Stadt wie Washington, D.C. kein verlässlicher Gradmesser für die Stimmung im Land. Selten hat man den Präsidenten jedoch derart direkt mit seinen Gegnern im Volk konfrontiert gesehen.
Nach dem plötzlichen, aber nicht überraschenden Tod von Ruth Bader Ginsburg vor einer Woche ist in den politischen Lagern ein Streit losgebrochen, der entlang der überspitzten Parteienpolarisierung verläuft: Ist es legitim für den Präsidenten, so kurz vor einer Wahl, eine neue Verfassungsrichterin für ein Amt zu nominieren, das auf Lebenszeit angelegt ist?
Die Nachfolge von RBG wird zur Kampffrage
Wenig überraschend sagen die Trump-Anhänger: natürlich, let’s go. Eine weitere konservativ gestimmte Richterin würde im klagefreudigen Amerika, wo eben viele Entscheidungen vor dem Verfassungsgericht landen, wahrscheinlich dazu beitragen, dass in den kommenden Jahren und Jahrzehnten einige der wichtigsten Grundsatzfragen im Sinne der Republikaner entschieden würden. Weshalb aus dem Biden-Lager ein klares Nein für Trumps Nominierungsvorstoß kommt.
Sollte Trump am Wochenende tatsächlich jemanden wie Amy Coney Barrett oder Barbara Lagos offiziell nominieren, würde aus dem bloßen Streit plötzlich eine politische Realität, die tatsächliche Konsequenzen nach sich zöge. Der Justizausschuss im Senat, der den Nominierungsprozess übersieht, müsste sich mit der Kandidatin oder dem Kandidaten beschäftigen. Spätestens dann würde wieder einzeln abgefragt werden, welcher der 100 Senatoren, die am Ende über den oder die Richterin abstimmen, es mit Trump oder Bidens Sichtweise hält – und das ist nicht unwichtig für die Wahlen.
Die Demokraten stemmen sich gegen das konservative Übergewicht
Über 35 Senatssitze wird im November abgestimmt. Ein neues Mehrheitsverhältnis in der oberen Kongress-Kammer (momentan haben die Republikaner 53 von 100 Sitzen) wäre für einen Präsidenten Biden insofern entscheidend, weil die meisten seiner Vorhaben in einem republikanisch geführten Senat scheitern dürften. Die Debatte um eine mögliche Ginsburg-Nachfolgerin mobilisiert also einerseits die Trump-Anhänger, deren Hoffnung nach noch konservativer Politik geschürt wird.
Andererseits funktioniert die Mobilisierung natürlich auch andersherum: Genau dieses konservative Übergewicht versuchen die Demokratischen Wähler zu verhindern; in den Tagen nach Ginsburgs Tod sammelte die Partei Millionen von Spenden ein: 90 Millionen Dollar innerhalb der ersten 28 Stunden nach Bekanntgabe ihres Todes. Das Geld dient auch dazu, Demokratische Senatskandidaten- oder Amtsinhaber über die Ziellinie zu pushen.
Trump zweifelt die Rechtmäßigkeit der Wahl an
Als Republikanischer Senator muss man dieser Tage also seine Worte sorgfältig wählen, um nicht den taktisch unklugen Schritt zu tun. Den größten Erklärungsbedarf dürfte allerdings erst einmal der Präsident selbst haben: Warum er den oder die Kandidatin nominiert hat, wird er am Dienstag beim ersten TV-Duell mit Joe Biden erklären können. Auch ein Satz vom vergangenen Mittwoch dürfte noch einmal Klärungsbedarf erfordern.
Seit Monaten versucht Trump, die Rechtmäßigkeit der Wahlen in Zweifel zu ziehen durch haltlose Kommentare über angeblichen Betrug durch Briefwahl. Mitte der Woche wollte der Präsidenten dann nicht mit Sicherheit sagen, dass er eine Wahlniederlage am 3. November auch tatsächlich akzeptieren würde. „Wir werden sehen müssen, was passiert”, sagte Trump auf die Frage eines Reporters, ob er eine friedliche Amtsübergabe anstrebe, für den Fall, dass er Biden unterliegen sollte. Der Senat, unter Führung des Republikaners Mitch McConnell, der auch zur Wiederwahl steht, verabschiedete am Donnerstag daraufhin einen Beschluss, der eine Übergabe der Geschäfte an den Gewinner der Präsidentschaftswahl unterstützt.
Hohe Erwartungen an das erste TV-Duell
Bei dem TV-Duell, das am Dienstag auf „Fox News“ läuft und das von Chris Wallace moderiert wird, der Trump vor einigen Wochen in einem Einzelgespräch nicht gut aussehen ließ, wird es also um inhaltliche Fragen und ein paar grundsätzliche Richtungsentscheidungen gehen. Aber natürlich auch um die Optik: Für die, die noch zwischen den beiden Männern unentschlossen sein sollten, geht es womöglich darum, jemanden dort auf der Fernsehbühne vorzufinden, der kompetent wirkt, sich staatsmännisch gibt und den Eindruck erweckt, ein Siegertyp zu sein. Manchmal kann Politik schließlich ganz unkompliziert sein: Wer setzt schon gern auf einen Verlierer?
Diese Debatten, vor allem so kurz vor Schluss, sind ja auch dazu da, noch einmal Stimmungen zu erzeugen und rund um den politischen Gegner ein bisschen Staub aufzuwirbeln. Impulse zu geben durch Inszenierung. Wichtig ist weniger Inhalte zu setzen als das Narrativ des Abends zu bestimmen. Ein Showdown zwischen zwei Show-offs. Dienstag ist demnach der erste von drei Fernsehabenden, an dem beide Männer das Drehbuch ihres eigenen politischen Daseins noch einmal auf nationaler Bühne vor einem Millionenpublikum in der Hand haben – und es selbst weiterschreiben können.
In 39 Tagen wird gewählt.