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Frauen in Saudi-Arabien - Pionierinnen in einem erzkonservativen Land

In Saudi-Arabien wurden zum ersten Mal Frauen in Kommunalparlamente gewählt – eine ist die Geschäftsfrau Lama Al-Sulaiman aus Jeddah 

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Martin Gehlen ist Journalist und berichtet aus der arabischen Welt.

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Lama al-Sulaiman weiß, wovon sie spricht. „Saudische Frauen sind Ärztinnen und Ingenieurinnen – es ist nicht so, als wenn Frauen bei uns nicht präsent sind“, sagt sie. Die internationalen Medien haben in ihren Augen manchmal einen zu engen Blickwinkel. „Sie schreiben nur über die negativen Seiten. Die gibt es, wir haben Schwächen, und jeder Bürger hat mit Problemen zu kämpfen, die man nicht kleinreden sollte“, fügt sie hinzu.

Doch die Dinge seien in Bewegung gekommen. „Die Mentalitäten ändern sich – gerade in den letzten zehn Jahren gab es viele Fortschritte“, urteilt sie. Wie zum Beispiel jetzt die ersten saudischen Kommunalwahlen in der Geschichte des Königreiches, bei denen Frauen kandidieren und wählen konnten.

Seit Jahren gehört die 48-jährige Geschäftsfrau in ihrer erzkonservativen Heimat zu den Pionierinnen. 2009 wurde sie in Jeddah als erste Frau im ganzen Land zur Vizepräsidentin der Industrie- und Handelskammer gewählt. Seit dem Wochenende nun sitzt sie nach ersten Hochrechnungen zusammen mit der Frauenrechtlerin Rasha Hifsi auch im Kommunalparlament ihrer am Roten Meer gelegenen Heimatstadt. Im 60 Kilometer entfernten Mekka konnte sich Salma Hisab al-Utaibi durchsetzen. Als bisher vierte Frau siegte Hinuwf al-Hazmi in der Nordprovinz Jawf.

Für die Heimat des Propheten Mohammed sind solche Erfolge eine gesellschaftliche Premiere. Erstmals können Frauen in der Kommunalpolitik politisch mitmischen. 130.000 Frauen und 1,35 Millionen Männer hatten sich in den Wählerlisten registrieren lassen, das entspricht sieben Prozent der Bevölkerung. 980 Kandidatinnen konkurrierten mit 5900 männlichen Bewerbern um die 2100 Mandate.

Frauen durften nicht auf Plakaten werben
 

Anders als die Männer, durften Frauen jedoch nicht auf Plakaten mit Fotos für sich werben. Und so organisierten die meisten ihren Wahlkampf im Internet, per Facebook und Twitter. Anders als bisher werden zusätzlich nur noch 1050 Mandatsträger von König Salman ernannt, so dass die direkt Gewählten in den 284 Gemeinderäten künftig die Mehrheit bilden. Die lokalen Parlamente kümmern sich vor allem um Straßen, öffentliche Parks und die Müllabfuhr. Dagegen liegt die Hoheit über alle städtischen Budgets nach wie vor in der Hauptstadt Riad.

Schmunzelnd erinnert sich Lama al-Sulaiman noch an ihre ersten Jahre in der Handelskammer als einfaches Vorstandsmitglied. Damals, 2005, habe ihr die Religionspolizei mitgeteilt, Männer und Frauen dürften wegen der Scharia-Regeln zur Geschlechtertrennung bei den Sitzungen nicht den gleichen Eingang benutzen. „Dann komme ich halt schon um neun Uhr morgens, eine Stunde vor den Männern“, habe sie geantwortet – und damit war den Sittenwächtern der fromme Wind aus den Segeln genommen. „Man muss beharrlich sein, vorsichtig und offene Konfrontationen vermeiden“, lautet das Rezept der Karrierefrau und Mutter von vier Kindern.

Lama al-Sulaiman bekam Brustkrebs
 

Nach dem Abitur studierte sie Biochemie an der König Abdulaziz Universität in Jeddah. 1999 promovierte sie am King’s College in London im Fach Lebensmittelwissenschaften. Als Geschäftsfrau leitet sie die Firma Rolaco Trading and Contracting, einen Konzern für Baumaterial, Baumaschinen und Hotelbedarf. Zudem engagiert sie sich ehrenamtlich im Gesundheitswesen, ist Vorstandsmitglied im Nationalen Institut für Gesundheitsdienste sowie bei der Nationalen Stiftung für häusliche Pflege.

Bereits mit 35 Jahren bekam sie Brustkrebs, ein schwerer Schicksalsschlag, der ihrem Leben eine Wende gab, auch wenn sie heute als geheilt gilt. „Ich war immer hyperaktiv und voller Energie“, sagt sie rückblickend. „Nach meiner Erfahrung mit dem Brustkrebs habe ich begonnen, das Leben aus anderer Warte zu sehen.“ Zusammen mit einer Freundin gründete sie eine Selbsthilfegruppe, um betroffene Frauen aufzuklären und das Schweigen in Saudi-Arabien über Brustkrebs zu brechen. „Wir sollten weniger reden und mehr tun“, kommentierte sie ihre ungewöhnliche Initiative.

Doch trotz solcher Fortschritte hat Saudi-Arabien in vielen Lebensbereichen von Frauen nach wie vor enormen Nachholbedarf. Auf dem „Gender Gap Index“ des Genfer Weltwirtschaftsforums, der Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter bewertet, rangierte Riad 2014 unter den Schlusslichtern auf Rang 130 von 142. Die Benachteiligung der Frauen ist fast flächendeckend, ihre Abhängigkeit von den Männern lückenlos. Frauen dürfen nicht Autofahren. Ohne schriftliche Zustimmung ihres männlichen Vormunds, egal ob Ehemann, Bruder oder Onkel, können sie nicht reisen, arbeiten, zum Arzt gehen, ihren Pass erneuern oder ein Bankkonto eröffnen.

Kampf gegen die Scharia
 

Die weibliche Beschäftigungsquote liegt unter 20 Prozent, Negativrekord auf dem gesamten Globus. Bei der Heirat gibt es kein gesetzliches Mindestalter, eine 13-Jährige kann zur Hochzeit mit einem 50-jährigen Mann gezwungen werden, was auf der Arabischen Halbinsel nicht selten passiert. Und das erste und einzige weibliche Kabinettsmitglied, Vize-Erziehungsministerin Norah al-Fayez, wurde von König Salman bereits kurz nach dessen Thronbesteigung im Januar auf Druck konservativer Kreise entlassen, weil sie sich für Sportunterricht an Mädchenschulen eingesetzt hat.

Gerade junge Frauen jedoch pochen immer selbstbewusster auf ein Ende ihrer Diskriminierung im Namen der Scharia. Zehntausende haben mit staatlichen Stipendien im Ausland studiert und andere Welten kennengelernt. Sie sind hoch qualifiziert und mit neuen Ideen zurückgekommen. Und sie wollen künftig mehr als nur ein Wörtchen mitreden bei den Geschicken ihres Landes.

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