Rechtsbeugung im Auswärtigen Amt - Visum trotz gefälschten Passes: Der Fall Mohammad G.

Das Auswärtige Amt will auf Biegen und Brechen einen vermeintlichen Afghanen nach Deutschland holen, obwohl seine Identität ungeklärt ist und er einen gefälschten Pass vorgelegt hat. In Behörden und dem Bundestag schlägt der Fall hohe Wellen – Annalena Baerbocks Ministerium stößt auf zunehmenden Argwohn.

Warum will das Auswärtige Amt Mohammad G. entgegen der Empfehlung der Experten vor Ort die Einreise ermöglichen? / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Martin Damerow ist Redakteur im Ressort Politik/Wirtschaft der Nürnberger Nachrichten. Dort beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit Außen- und Migrationspolitik.

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Afghanistan ist zurzeit eines der gefährlichsten Länder der Welt. Seit die westlichen Truppen das Land verlassen haben, haben zehntausende Afghanen ihrer Heimat den Rücken gekehrt. Viele von ihnen wollen nach Deutschland. Das ist allerdings nicht so einfach: Seit dem Angriff auf die deutsche Botschaft in Kabul gibt es in Afghanistan selbst keine Visa-Stelle mehr. Gefährdete Afghanen, die das Land auf legalem Weg Richtung Deutschland verlassen wollen, müssen ihre Visa in den ohnehin schon heillos überlasteten Botschaften im Iran oder in Pakistan beantragen.

In der aktuellen Cicero-Februarausgabe berichten wir, wie das Auswärtige Amt in enger Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Druck auf die Botschaften ausübt, um Prüfungsverfahren schnell und großzügig abzuschließen. In Sicherheitsbehörden stößt dies jedoch zunehmend auf Argwohn – schließlich birgt die Aufnahme von Personen aus Krisengebieten mit unklarer Identität stets Risiken. Und für das Auswärtige Amt scheinen nicht einmal gefälschte Pässe und erfundene Verwandtschaftsverhältnisse ein Problem zu sein. Das zeigt der Fall Mohammad G., den wir in dem Beitrag „Mission grenzenlos“ schildern (lesen Sie hier den Artikel).

Gemeinsame Recherchen von Cicero und Nürnberger Nachrichten enthüllen nun weitere Details, die zeigen: Das Auswärtige Amt legt in der Causa Mohammad G. ein hoch problematisches Rechtsverständnis an den Tag. Baerbocks Referatsleiter für Visumrecht will auf Biegen und Brechen einen vermeintlich minderjährigen Afghanen mit schwerer Erkrankung nach Deutschland holen, dessen Identität nicht geklärt ist. Mutmaßlich ist er weder minderjährig, noch krank – und kommt womöglich nicht einmal aus Afghanistan.

Mohammads Geschichte

Der Familiennachzug ist eigentlich nur für Ehepartner, Kinder und Eltern von Minderjährigen vorgesehen. In besonderen Härtefällen sind aber Ausnahmen für andere Verwandte möglich. Darauf setzt Khan G., der bereits seit 2014 in Deutschland lebt. Nun will er seinen kleinen Bruder Mohammad nachholen.

Der Fall landete im Oktober 2022 vor dem Verwaltungsgericht Berlin. Die Geschichte, die Khan G. dort in Begleitung einer Kanzlei für Migrationsrecht und einer Dolmetscherin vortrug, war herzzerreißend. Sein angeblich 14-jähriger Bruder sei aus Afghanistan ins benachbarte Pakistan geflohen und lebe vollkommen verwahrlost auf der Straße. Er leide an einer Augenverletzung, Bombensplitter hätten ihn dort getroffen. Nun brauche er Medikamente, aber da er sich illegal in Pakistan aufhalte und keine Papiere habe, könne er keinen Arzt aufsuchen.

Für die Vertreter des Auswärtigen Amtes klang diese Geschichte offenbar überzeugend. Sie erklärten sich dazu bereit, das begehrte Visum für den Familiennachzug zu erteilen, „sofern eine erneute Sicherheitsabfrage keine Bedenken ergibt“. Das Gerichtsverfahren endete mit einem Vergleich. So wie es in solchen Visa-Streitfällen häufiger geschieht.

Konflikt mit der Botschaft

Doch dann geschah etwas Ungewöhnliches: Die deutsche Botschaft in Islamabad weigerte sich, Mohammad G. das Visum auszustellen. Man hatte dort offenbar Zweifel an der Identität des Antragstellers. Denn Mohammad G., der laut seinem Bruder keine Dokumente hat, legte den Beamten einen Pass vor. Und dieser Pass stellte sich bei einer Überprüfung durch Fachleute als gefälscht heraus. Einem Schreiben der Botschaft, welches unseren Redaktionen vorliegt, ist zu entnehmen, dass der Pass „an der Naht geöffnet, die Doppelseiten 1/2 - 47/48 sowie 3/4 - 45/46 entfernt und durch zwei neue, totalgefälschte Doppelseiten ersetzt wurden. Anschließend wurde der Pass neu vernäht.“

Aus Berlin kam dennoch die Ansage: beide Augen zudrücken. Das Auswärtige Amt erteilte seiner Auslandsvertretung in Pakistan die förmliche Weisung, Mohammad G. trotz seines gefälschten Passes die Einreiseerlaubnis nach Deutschland zu erteilen. Die Botschaftsmitarbeiter in Islamabad haben diese Weisung abgelehnt. Sie wissen weder, ob der junge Mann wirklich Mohammad G. heißt und wie alt er ist, noch ob Khan G. sein echter Bruder ist. Wie der Konflikt weiterging, war zu Redaktionsschluss der Cicero-Februarausgabe noch nicht bekannt.

Das Bamf soll entscheiden

Die heikle Angelegenheit hat inzwischen den Bundestag erreicht. Einige Akteure sind um eine Klärung bemüht, etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Detlef Seif, Mitglied des Innenausschusses. Er hat in der Causa eine schriftliche Anfrage ans Auswärtige Amt gerichtet. Doch dort gibt man sich schmallippig, Staatssekretärin Susanne Baumann beantwortet die Frage des Parlamentariers mit zwei knappen Sätzen: „Der Bundesregierung ist der genannte Einzelfall bekannt. Zu laufenden Verfahren äußert sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht.“
 

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Dokumente, die Cicero und Nürnberger Nachrichten vorliegen, bringen Licht ins Dunkel. Nach der Weigerung der Botschaft, den gefälschten Pass zu visieren, will das Fachreferat im Auswärtigen Amt, dass seine Auslandsvertretung Mohammad G. einen Passersatz ausstellt.

Wenn das alles noch halbwegs rechtskonform verlaufen soll, kommt an dieser Stelle das dem Innenministerium unterstellte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mit ins Spiel. Denn nur die Nürnberger Behörde kann in begründeten Einzelfällen vor der Einreise eines Ausländers für den Grenzübertritt und einen anschließenden Aufenthalt in Deutschland eine Ausnahme von der Passpflicht zulassen. Dazu jedoch muss unter anderem die Identität der Person eindeutig geklärt sein – was nicht der Fall ist.

Dies wird besonders durch eine Stellungnahme der Botschaft deutlich, die sie dem Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer beigelegt hat. Darin rät die Botschaft dem Bamf „nachdrücklich“ davon ab, der Ausstellung zuzustimmen. „Der Antragsteller hat die Botschaft vorsätzlich getäuscht“, heißt es in dem Schreiben.

Zahlreiche Widersprüche

Mohammad G., der obdachlos und verwahrlost sein soll, habe bei allen Terminen teure (westliche) Kleidung getragen, sei gepflegt gewesen und habe alle Formulare selbstständig ausfüllen können. Zudem soll er angegeben haben, bei einem Bekannten in Islamabad zu leben. Von Obdachlosigkeit kein Wort. Auch seine Augenverletzung habe er nicht erwähnt, selbst dann nicht, als er explizit nach den Gründen gefragt worden sei, warum er ein Härtefall sei. Rein äußerlich sei von einer Augenverletzung auch nichts zu erkennen, so die Botschaft.

Mohammad G. spreche Dari mit einem pakistanischen Akzent, die lokalen Mitarbeiter der Behörde vermuten, dass er nicht in Afghanistan, sondern in Pakistan aufgewachsen ist. Die Mitarbeiter erwähnen zudem „erhebliche Zweifel“, dass Mohammad G. wirklich 14 Jahre alt ist. Laut unabhängiger Einschätzung verschiedener Kollegen und eines geschulten Dokumentenberaters sei das tatsächliche Alter eher zwischen 17 und 20 Jahren anzusetzen.

Hinzu kommt: Mohammads angebliche Augenverletzung soll laut Antragsverfahren auf einen Schusswechsel zwischen Taliban und US-Streitkräften zurückzuführen sein. Khan G. sagte vor dem Gericht in Berlin, die Verletzung sei die Folge eines Bombenangriffes auf das Haus der Familie.

Abschiebeverbot gegen Khan G.

Es gibt noch weitere Ungereimtheiten: Aus Behördenkreisen wurde gegenüber unseren Redaktionen bestätigt, dass gegen den in Deutschland weilenden Khan G. ein Abschiebeverbot besteht. Ein solches wird dann ausgesprochen, wenn kein anderer Asylgrund (Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz) greift, aber Gefahr für Leib und Leben des Antragstellers besteht. Es ist sozusagen die geringste Schutzform, die das deutsche Asylrecht kennt. Das Pikante daran ist, dass Personen, für die ein nationales Abschiebungsverbot besteht, die Möglichkeit des Familiennachzugs eigentlich verwehrt ist.

Ein von den ständigen Kämpfen in Afghanistan traumatisierter Teenager, der dort Angehörige verloren, eine Schussverletzung erlitten und kein Obdach hat – all das zusammengenommen könnte eine Familienzusammenführung aus humanitären Gründen durchaus rechtfertigen, als Ausnahme von dieser Nachzugsregel. Doch ein solcher Teenager ist in der Botschaft offenbar nie aufgetaucht. Warum will das Auswärtige Amt Mohammad G. entgegen der Empfehlung der Experten vor Ort unbedingt die Einreise nach Deutschland ermöglichen?

Staatsanwaltschaft ermittelt

Merkwürdig ist: Der Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer ist bisher nicht im Bamf eingegangen, wie die Nürnberger Behörde auf Anfrage mitteilt. Das Auswärtige Amt hätte dafür den Antrag samt Stellungnahme der Botschaft weiterleiten müssen – was es offenbar noch nicht getan hat. Womöglich war Baerbocks Mitarbeitern im zuständigen Referat die Stellungnahme zu heikel.

Mittlerweile ist die Justiz involviert. Die Staatsanwaltschaft Berlin teilt auf Anfrage mit, dass gegen Khan G. Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz laufen. Das könnte bedeuten, dass er bewusst falsche Angaben gemacht hat.

Das letzte Mal, dass sein angeblich kleiner Bruder Mohammad in Islamabad gesehen wurde, ist schon eine Weile her. Vor ein paar Wochen erschien er bei der deutschen Botschaft, um die Gebühren fürs Beantragen seiner Reisepapiere zu hinterlegen. Die hat er bezahlt – mit Falschgeld.

Mitarbeit: Daniel Gräber.

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