
- Auf dem Holzweg in die Universalrepublik
Der französische Präsident Emmanuel Macron will Europa nicht den Bürokraten überlassen, aber zugleich sehr teure, neue Institutionen errichten. Was Europa braucht, ist nicht eine Vertiefung der EU, sondern eine Stärkung der Regionen und Länder. Eine Antwort auf Eric Bonse
Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte an der Sorbonne-Universität eine europapolitische Grundsatzrede gehalten, die eines kritischen Kommentars bedarf, den Eric Bonse nicht leistet, sieht er die Rede doch nur aus Brüsseler Sicht und lässt sich von Macrons Rhetorik einfangen. Schauen wir genauer hin: Es ist nicht erstaunlich, dass die Vorschläge und das Pathos des Präsidenten in Brüssel Gefallen finden, denn Emmanuel Macron ging wie selbstverständlich davon aus, dass Europa und die EU (Brüssel) identisch seien.
Diese falsche Vorstellung erlaubt, jede Kritik an Brüssel als antieuropäisch zu diskreditieren, als könne es in einem vielfältigen Europa nur eine Perspektive geben. Zumal bei näherem Hinsehen die EU gravierende demokratische Defizite besitzt, wie Heinrich August Winkler ihr in seinem kürzlich erschienenen Buch „Zerbricht der Westen?“ attestiert hat. Die Umsetzung von Macrons Vision würde diese Defizite vergrößern.
Bewerbungen zum EU-Finanzminister gibt es schon
Ein paar Tage zuvor hatte der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bereits wichtige Forderungen Macrons formuliert, wozu die Berufung eines EU-Finanzministers mit eigenem Budget gehört. Etwa zur gleichen Zeit empörte sich der französische EU-Währungskommissar Pierre Moscovici über einen angeblichen Skandal, der darin bestünde, dass die Kreditbewilligung für Griechenland von „Technokraten“ vorgenommen würde und einige Mitgliedsländer in diesen Fragen sogar ihre Parlamente zu befragen hätten.
Der Grund für Moscovicis Poltern findet sich darin, dass er das Ziel verfolgt, immer mehr Entscheidungsmöglichkeiten in Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik von den Mitgliedsstaaten nach Brüssel zu verlagern, also von demokratisch legitimierten zu demokratisch nicht legitimierten Institutionen. Nur allzu deutlich scheinen Moscovicis Ambitionen hindurch, der von Juncker gewünschte EU-Finanzminister zu werden.
Budget soll von Mitgliedsländern kommen
Und so sieht es nicht nach einem Zufall aus, dass der französische Präsident wenige Tage später in seiner Rede seinerseits die Einsetzung eines europäischen Finanzministers mit eigenem Budget forderte.
Politisch geschickt wurde die Frage, wer dieses Budget zu stellen hat, etwas verunklart, doch am Ende soll es dann doch aus den Haushalten der Mitgliedsländer kommen. Demnach könnten die Mitgliedsländer der EU 3 bis 4 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung jährlich zum Budget beisteuern. Das würde bis zu 43 Milliarden Euro einbringen, von denen Deutschland jährlich circa 30 Prozent zu überweisen hätte: also ungefähr 13 Milliarden pro Jahr, zuzüglich der Gelder, die von der Bundesrepublik bereits jetzt schon zum EU-Haushalt beigesteuert werden. Der Vorschlag ist also letztlich eine mit allzu schönen Worten drapierte kräftige Erhöhung des Budgets der EU-Kommission.
Was Deutschland schon jetzt alles zahlt
Dazu muss man wissen, dass Deutschland der größte Netto-Zahler der EU ist, auch wenn man alle Summen, die als EU-Förderungen nach Deutschland zurückfließen, von den Beiträgen abzieht. Allein im Jahr 2015 beliefen die sich auf 14,3 Milliarden Euro. Die Kosten werden sich durch den Brexit erhöhen, denn die Briten waren im gleichen Zeitraum mit 11,3 Milliarden Euro der zweitgrößte Nettozahler. Nach heutigem Stand würde die Vision des französischen Präsidenten den deutschen Steuerzahler konservativ geschätzt jährlich 27,3 Milliarden Euro kosten, hinzu kämen 3 Milliarden Euro, die durch den Brexit auf Deutschland entfallen, statt circa 14,3 somit 30,3 Milliarden jährlich.
In diese Schätzung sind nicht eingerechnet die Kredite und Garantien, die für die griechischen Hilfspakete und für den europäischen Rettungsschirm (ESM) gezahlt oder zurückgestellt werden müssen. Ebenso sind in dieser Summe nicht erfasst die diversen Überweisungen, die beispielsweise an die Ukraine oder an die Türkei gehen. Auch nicht mitgezählt sind die Risiken der Target-Salden und die europäische Umverteilung aus den Sozialkassen- und fonds, die im nächsten Schritt kommen werden. Und das alles vor dem Hintergrund der enormen Kosten, die durch die Migration bereits jetzt schon zu Buche schlagen und die sich in den Jahren 2016 bis 2017 auf rund 50 Milliarden belaufen. Es ist abzusehen, dass der Familiennachzug die jährlichen Kosten von circa 25 Milliarden Euro vervierfachen wird.
Weniger Bürokratie durch neue Institutionen?
Womit man bei der Asylpolitik wäre, für die Emmanuel Macron verblüffende Vorschläge unterbreitet. Der französische Präsident wünscht sich die Schaffung einer europäischen Asylbehörde. Es steht zu vermuten, dass sie nach der simplen Rollenverteilung funktionieren wird: „Wir bestimmen, ihr zahlt.“ Nicht nur, dass eine neue und sehr teure Bürokratie aus dem Boden gestampft werden würde, sie würde de facto die Institutionalisierung der Politik des Durchwinkens bedeuten, weil das Gros der Migranten ohnehin nach Deutschland strebt, wo die Sozialleistungen sehr hoch sind.
Eric Bonse fällt nicht auf, dass Emmanuel Macron zum einen fordert, dass Europa nicht den „Bürokraten“ überlassen werden darf, er aber in der gleichen Rede neue und den Erfahrungen nach sehr teure Bürokratien errichten will: EU-Finanzminister mit Ministerium natürlich und EU-Asylbehörde als eine Art Super-BAMF. Macron deklariert das Gegenteil von dem, was er in der Rede vorschlägt. Welche Behörde regelt eigentlich den Einzug der von ihm propagierten Internetsteuer? Weshalb sollen die Einnahmen einer Finanztransaktionssteuer dem EU-Haushalt und nicht den Etats der Mitgliedsländer zugute kommen? Wird nicht unter den hehren Worten die Tendenz sichtbar, dass sukzessive das nationale Steuerrecht aufgeweicht wird, weil die Steuereinnahmen direkt nach Brüssel fließen sollen?
Die Macht der Nationalstaaten wird eingeschränkt
Der ESM-Vertrag hat jetzt bereits das Königsrecht des Parlaments ausgehöhlt, nämlich die Herrschaft über den Haushalt. Wenn man allerdings in einem fort die Geschichte bemüht, sollte man sich auch daran erinnern, dass gerade die Aushebelung des Königsrechts des Parlaments 1789 in Paris die Revolution auslöste. Das ungewöhnliche Pathos des Präsidenten verrät, dass sich die EU auf dem Holzweg in einen bürokratischen Zentralstaat befindet, mit dem ein Weniger an Demokratie verbunden sein wird. Zu bezahlen haben die von Macron versprochene lichte Zukunft gerade die jungen Menschen.
Die Schaffung einer europäischen Armee mit eigenem Verteidigungsbudget sei nur am Rande erwähnt, nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung der Nato, selbstverständlich auch sie mit eigener Verwaltung. Dazu wünscht sich der Präsident eine „europäische Staatsanwaltschaft“, einen europäischen Zivilschutz – alles neue Ministerien, die auf EU-Ebene entstehen sollen und die die Ministerien in den Mitgliedsländern zu Regionalverwaltungen herabstufen werden.
Macron opfert den Träumen zuliebe die Wirklichkeit
Man wird bei der Rede des französischen Präsidenten den Verdacht nicht los, dass die „Neugründung Europas“ als ein Europa der Bürokratie, der Zentralisierung und des Demokratieverlustes konzipiert ist. Wie passt Macrons Forderung, Europa nicht den Bürokraten zu überlassen, mit der Schaffung neuer Bürokratien zusammen? Oder sind Bürokraten immer nur die anderen? Und sind die „Technokraten“ der EU keine, weil sie für die EU arbeiten? Ist ein eingesetzter Kommissionspräsident, der nicht gewählt wurde, nicht im Wortsinne auch ein Technokrat?
Schaut man sich die europäische Realität unvoreingenommen an, kann man durchaus zu anderen Befunden kommen, als dass Brüssel mit Europa identisch wäre. Und man kann durchaus befürchten, dass die vorangetriebene „Vertiefung der EU“ zur vertieften Spaltung Europas führen könnte. Es geht doch nicht darum, den Bürger mitzunehmen, wie neuerdings Politiker in paternalistischer Selbstüberhebung immer öfter äußern. Denn die Bürger sind keine bockigen Kinder, sondern sie bilden den Souverän. Es geht vielmehr darum, die Bürger zu fragen, ob sie überhaupt das Projekt einer europäischen Universalrepublik wünschen.
Aus Emmanuel Macrons Satz: „Ich habe keine roten Linien, ich habe nur Horizonte“ spricht eine Absage an die Realität. Denn wer keine Grenzen mehr kennt und in Horizonten schwelgt, der opfert den Träumen zuliebe die Wirklichkeit. Was unser guter, alter Kontinent braucht, ist nicht eine Häutung der Technokratie, sondern eine Stärkung der Regionen und Länder. Eine Vertiefung der Demokratie, nicht eine Zentralisierung der Macht. Das Argument der Geschichte taugt nicht für die Diskussion, die wir um unsere europäische Zukunft führen müssen, weil es sich auch umkehren lässt. Ein Zentralstaat Europa wird nicht gelingen, eine Universalrepublik auch nicht. Ein föderatives Modell, das die Regionen und Länder verbindet, dagegen schon.