
- Alles verloren
Lange schien die Kurdenregion eine Insel der Stabilität im Irak und in der ganzen Region zu sein. Doch das Streben nach Autonomie hat dieser Illusion ein Ende gesetzt. Jetzt drohen erbitterte Konflikte. Die Folgen wären fatal
Als Massoud Barzani am 29. Oktober 2017 in einer Geheimsitzung des kurdischen Parlaments seinen Abschiedsbrief verlesen ließ und damit das Präsidentenamt des Kurdistan Regional Government (KRG), der autonomen Kurdenregion des Irak, aufgab, kam er unabweisbar gewordenen Rücktrittsforderungen zuvor. Zugleich bewies sein Rücktritt erneut, dass das alte Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall“ noch heute gilt. Denn Barzani hatte kurz zuvor in einem hochriskanten politischen Vabanquespiel, bei dem er durch ein rücksichtslos durchgepeitschtes Referendum die von den Kurden Iraks seit langem ersehnte staatliche Unabhängigkeit endlich erreichen wollte, alles auf eine Karte gesetzt. Und alles verloren. Damit erwies Barzani den irakischen Kurden einen Bärendienst. Denn Barzanis mangelhaft durchdachtes Agieren half der schiitisch dominierten Zentralregierung Bagdads, ihre Position zulasten der Kurden zu stärken. Das wiederum warf deren Bemühungen um Unabhängigkeit auf null zurück.

Damit nicht genug. Barzanis fehlgeschlagene Manöver unterminierten die zunehmend brüchige politische Allianz der irakischen Kurden in der KRG selbst und stärkten den Einfluss Irans, der nach dem verfrühten Abzug der US-Truppen 2011 zum mächtigsten externen Akteur am Tigris aufgestiegen war. Zu böser Letzt dürfte Barzanis Agieren, mit dem er die bis Mitte 2017 funktionierende militärische Anti-IS-Allianz zwischen Bagdad und der KRG in Erbil zerstörte, dem in die Defensive gedrängten IS, der fast alle seine Territorien im Irak verloren hat, neuen Lebensodem einhauchen. Mit einem Satz: Barzanis fehlgeschlagenes politisches Abenteuer dürfte für die ohnehin schon fragile Stabilität in der Kernzone des Nahen Ostens unheilvolle Folgen haben.