Polizisten sitzen am 25.09.2017 in Erbil (Irak) vor einem Wahllokal.
Mit dem Unabhängigkeitsreferendum hat sich Kurden-Chef Barzani verschätzt / picture alliance

Kurden im Irak - Alles verloren

Lange schien die Kurden­region eine Insel der Stabilität im Irak und in der ganzen Region zu sein. Doch das Streben nach Autonomie hat dieser Illusion ein Ende gesetzt. Jetzt drohen erbitterte Konflikte. Die Folgen wären fatal

Portrait von Wilfried Buchta

Autoreninfo

Wilfried Buchta ist promovierter Islamwissenschaftler. Von 2005 bis 2011 arbeitete er in Bagdad als politischer Analyst (Senior Political Affairs Officer) für die UNO-Mission im Irak. Als Zeitzeuge hat der ausgewiesene Kenner der Region und ihrer Geschichte die politischen Ereignisse, die zum Erstarken des »Islamischen Staates« geführt haben, täglich hautnah miterlebt. Sein neuestes Buch heißt „Die Strenggläubigen. Fundamentalismus und die Zukunft der islamischen Welt“ (Hanser Berlin).

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Als Massoud Barzani am 29. Oktober 2017 in einer Geheimsitzung des kurdischen Parlaments seinen Abschiedsbrief verlesen ließ und damit das Präsidentenamt des Kurdistan Regional Government (KRG), der autonomen Kurdenregion des Irak, aufgab, kam er unabweisbar gewordenen Rücktrittsforderungen zuvor. Zugleich bewies sein Rücktritt erneut, dass das alte Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall“ noch heute gilt. Denn Barzani hatte kurz zuvor in einem hochriskanten politischen Vabanquespiel, bei dem er durch ein rücksichtslos durchgepeitschtes Referendum die von den Kurden Iraks seit langem ersehnte staatliche Unabhängigkeit endlich erreichen wollte, alles auf eine Karte gesetzt. Und alles verloren. Damit erwies Barzani den irakischen Kurden einen Bärendienst. Denn Barzanis mangelhaft durchdachtes Agieren half der schiitisch dominierten Zentralregierung Bagdads, ihre Position zulasten der Kurden zu stärken. Das wiederum warf deren Bemühungen um Unabhängigkeit auf null zurück.

Massoud Barzani
Massoud Barzani / picture alliance

Damit nicht genug. Barzanis fehlgeschlagene Manöver unterminierten die zunehmend brüchige politische Allianz der irakischen Kurden in der KRG selbst und stärkten den Einfluss Irans, der nach dem verfrühten Abzug der US-Truppen 2011 zum mächtigsten externen Akteur am Tigris aufgestiegen war. Zu böser Letzt dürfte Barzanis Agieren, mit dem er die bis Mitte 2017 funktionierende militärische Anti-IS-Allianz zwischen Bagdad und der KRG in Erbil zerstörte, dem in die Defensive gedrängten IS, der fast alle seine Territorien im Irak verloren hat, neuen Lebensodem einhauchen. Mit einem Satz: Barzanis fehlgeschlagenes politisches Abenteuer dürfte für die ohnehin schon fragile Stabilität in der Kernzone des Nahen Ostens unheilvolle Folgen haben.

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Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 17. Januar 2018 - 13:22

ich hatte den Großteil der Instabilität der Region fast ausschliesslich auf die Kurden zurückgeführt.
Für einen kurdischen Staat bin ich gerade deshalb.
Es wird dort sonst keinen Frieden geben.

Jürgen Lehmann | Di., 23. Januar 2018 - 13:52

Antwort auf von Dorothee Sehrt-Irrek

Wie viele kurdische Staatsgebilde soll es eigentlich geben?
Irak, Syrien, Iran, Türkei???
Es wird auch zu selten erwähnt, dass die kurdischen Clans immer noch eine Hauptrolle spielen und es daher kaum zu einer Einigung „aller“ Kurden kommen wird.

Bernd Fischer | Di., 23. Januar 2018 - 19:55

Antwort auf von Jürgen Lehmann

Es gibt keine "viele kurdischen Staatsgebilde" sondern es gab immer nur ein kurdisches autonomes Einzugsgebiet.
Diese Aufsplitterung wurde von den allseits bekannten Okkupationsmächten bzw. Kolonialmächte der damaligen Zeit per Lineal und Stift gezogen.
Nun gab es auf einmal syrische..irakische...türkische...oder wo auch immer von der Nationalität unterschiedliche Kurden.
Tatsache ist aber auch das die Kurden , als sie mit Waffenunterstützung des sogenannten "Westen" sich immer in den Dienst des Westen's gestellt haben mit dem Versprechen das sie die Autonomie behalten dürfen.
Nun werden sie, die Kurden wie immer vom Westen betrogen.
Aber Heckler & Koch und Krauss-Maffei freuen sich jetzt wirklich richtig, denn endlich können deutsche Waffen mal so richtig getestet werden . ( Türken gegen Kurden )
Unser ehemaliger Wirtschaftsminister ( der alles genehmigt hatte ) hat sicherlich als "Friedensbewegter" sicherlich kein schlechtes Gewissen und seine Partei auch nicht.

Dorothee Sehrt-Irrek | Do., 25. Januar 2018 - 13:50

Antwort auf von Bernd Fischer

Das klingt mir zu neutral.
Meine Arbeitsthese wäre eher in den Dienst all derer, die bereit waren, die, mal abgesehen von den Kurden, gewachsenen und national stimmigen, stabilen, wenn auch autoritären, Staaten zu destabilisieren.
Gewissermassen vorurteilend assoziiere ich die Kurden "mit" fast jedem Krieg in Nahost.
Das ist vielleicht für Nahost-Verhältnisse ein Gütesiegel oder für Afrika, weniger für Europa, so hoffe ich.
Ein enormes Zusammengehörigkeitsgefühl "rechtfertigt" die Kurden vor der Welt.
Auch in den neu gegründeten Staat Israel strömten Juden, uterschiedlichster Sprachen mächtig, aber solche, die sich als Juden fühlten.
Sie sprechen jetzt als Hauptsprache Hebräisch.
Alles kein Problem, wenn das Zusammengehörigkeitsgefühl da ist.
Wie man einen Kurdenstaat diplomatisch bewerkstelligen will, vermag ich aber auch nicht zu sagen.
Israels Weg war auch ein langer.
Vom Westen wurden die Kurden aber dann nicht betrogen, umgekehrt, sie bedienten sich der Konflikte?

Ulrich L. Zischewski | Sa., 20. Januar 2018 - 10:13

Stammeskultur! nur bei den Kurden oder auch bei allen drum rum und die Amis wollen ihre Demokratie dahin bringen lachhaft
aber Merkelchen wird grosszügig die Tür aufhalten für die Stammeskrieger

Ursula Horvath | Mo., 22. Januar 2018 - 18:17

Antwort auf von Ulrich L. Zischewski

Waffen haben wir ja schon lange geliefert und Kanonenuschi hat ab und an schon mal Besuche absolviert in (brüderlich- und schwesterlicher Verbundenheit) heute schaut man reglos zu, wie Türkei, Russland, USA gemeinsam diese Kurden bekämpfen. Die Schafe haben ihren Dienst getan, nun können sie bleiben wo der Pfeffer wächst, mal sehen Wer in Zukunft ausergoren wird, vorübergehender, "Bester Freund" zu werden! Alles nur noch abscheulich!

gestern kam es zu "spontanen" Demos in Hannover, bei denen sich Kurden und Türken an den Kragen gingen. Für das Wochenende wurden freundlicherweise Demos angemeldet.