Halbinsel Krim - Nichts als eine russische Kolonie des Unrechts

Auch westliche Unterstützer der Ukraine ziehen einen Gebietsabtritt der Krim in ihren Überlegungen immer häufiger in Betracht, um zu einer möglichen Verhandlungslösung mit Russland zu gelangen. Dabei wird jedoch zumeist übersehen, dass die Ukraine jedes Recht zur Verteidigung ihres Territoriums hat.

2014 besetzten russische Soldaten völkerrechtswidrig die ukrainische Halbinsel Krim / picture alliance
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Autoreninfo

Ernst-Jörg von Studnitz, Jahrgang 1937, ist ehemaliger Diplomat. Von 1995 bis 2002 war er deutscher Botschafter in Moskau.

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Im Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine spielt die zukünftige Zugehörigkeit der Krim zu Russland – oder zur Ukraine – für die Überlegungen, ob es zu einer Verhandlungslösung kommen kann, eine entscheidende Rolle. Die gegenwärtige politische Einschätzung, die nicht von der Ukraine geteilt wird, wohl aber in den Überlegungen der westlichen Unterstützer der Ukraine wiederholt auftaucht, meint, zu dem Schluss kommen zu müssen, dass die Krim der Russischen Föderation nicht streitig gemacht werden dürfe, wenn ein Kompromiss erzielt werden solle. Dafür werden verschiedene Argumente geltend gemacht.

Zum einen wird auf die Jahrhunderte lange Zugehörigkeit der Krim zu Russland verwiesen. Daraus wird abgeleitet die überwiegend russische Prägung der Halbinsel, wo sich 2014 60 Prozent als Russen bekannten, wobei jedoch die russische Sprache mit 77 Prozent eine noch größere Verbreitung verzeichnete. 

Ein anderes, noch wichtiger eingeschätztes Argument betrifft den wichtigsten Marinestützpunkt Russlands im Schwarzen Meer, den Hafen von Sewastopol. Hierzu wird angemerkt, es sei schlechthin unvorstellbar, dass dieser Stützpunkt Russlands umgeben sein dürfe von einem zur Nato gehörenden Gebiet. Nicht gänzlich unbeachtet soll das emotionale Argument bleiben, dass die Krim für die Urlaubsfreuden der Russen einen der Italiensehnsucht der Deutschen vergleichbaren Platz einnimmt. Daraus resultierte der begeisterte Ruf 2014 nach der Annexion der Krim „die Krim ist unser!“.

1783 annektierte das Zarenreich die Krim

Dieser russische Anspruch bedarf aber einer vertieften Überprüfung. Erst durch die Eroberungskriege Katharinas der Großen gegen das Osmanische Reich im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts hat sich das Russische Reich die Krim einge-gliedert. Das seit 1449 bestehende Khanat der Krim war mehr als 300 Jahre, nach dem Zerfall des Tatarenreichs der Goldenen Horde, bis zum Jahre 1774 ein Vasall des Osmanischen Reiches. In dem zwischen dem Zarenreich und dem Osmanischen Reich nach sechsjährigem Krieg 1774 abgeschlossenen Friedensvertrag von Kütschük Kainardschi wurde die Krim für unabhängig erklärt. Aber schon im Jahre 1783 annektierte das Zarenreich die Krim und ließ sich das 1792 in dem Frieden von Jassy vom Osmanischen Reich bestätigen. 

Die Folge war eine Massenabwanderung von 300.000 Krimtataren in die Türkei. In den Folgejahren waren die Tataren gezielten Unterdrückungsmaßnahmen ausgesetzt, so dass nach 1812 weitere 100.000 Tataren die Krim verließen. Das verlassene Land wurde unter der russischen Oberschicht aufgeteilt. Im Krimkrieg wurde den Tataren Kollaboration mit den Engländern und Franzosen vorgeworfen. Das führte abermals zur Abwanderung von beinahe 200.000 Tataren. Die Folge war die Russifizierung der Krim. Das Ergebnis war die fast vollständige Vertreibung der Tataren von der Krim. Bei der Volkszählung 1897 waren nur noch 60.000 übrig geblieben. 

Während des 2. Weltkrieges wiederholte sich die Vertreibung der restlichen Tataren von der Krim durch die von Stalin wegen des Vorwurfs der Kollaboration mit dem Feinde verfügte gänzlich Deportation von etwa 189.000 Menschen nach Zentralasien, von denen nach ungenauen Schätzungen zwischen 22 Prozent und 46 Prozent zu Tode kamen. Zur Zeit der Perestroika wurde einem Rest von etwa 20.000 Tataren die Rückkehr auf die Krim, nicht aber in ihre früheren Wohngebiete gestattet, die russisch geworden waren. Durch weitere Rückwanderung belief sich 2008 die Zahl der Tataren auf der Krim auf etwa 266.000 Menschen, das sind etwa 12 Prozent der Bevölkerung der Krim.

 

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Die faktisch seit der ersten Besitznahme der Krim durch Russland vollzogene ethnische Säuberung der Krim, weist die russische Politik als klassische Kolonialpolitik aus. Die Zeitschrift „Arbeit – Zukunft“ der französischen KP bezeichnet die verschiedenen Nationalitäten, die das Russische Reich bildeten, als echte Kolonien, die ausgeplündert und unterdrückt wurden als Opfer des großrussischen Chauvinismus. Lenin sprach von dem zaristischen Völkergefängnis und qualifizierte damit die Randgebiete des russischen Reiches, dazu auch die Krim gehörig, als Kolonien Großrusslands.

Damit stellt sich die Frage, inwieweit die Russische Föderation im 21. Jahrhundert, da das Zeitalter des Kolonialismus schon längst abgelaufen ist, immer noch die Krim als untrennbaren Teil Russlands für sich reklamieren kann. Dabei kann sie sich nicht auf das sogenannte Referendum vom 16. März 2014 berufen. Es wurde durch die Resolution 68/262 der Uno-Generalversammlung für ungültig erklärt. Bemerkenswert ist auch eine Einschätzung über Ablauf, Teilnahme und Ergebnis des Referendums, die von dem 2014 noch relativ unabhängig agierenden „Rat für die Entwicklung der Bürgergesellschaft und für Menschenrechte“ beim russischen Präsidenten vorgenommen wurde. 

Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Wahlbeteiligung nur zwischen 30 und 50 Prozent gelegen habe und davon lediglich 50 bis 60 Prozent für den Anschluss an Russland gestimmt hätten. Demgegenüber ist festzuhalten, dass 1991 bei einer freien Abstimmung, nicht wie 2015 unter militärischer Bewachung der Abstimmungslokale, 54 Prozent der Bewohner der Krim für die Unabhängigkeit von Moskau votiert hatten. 

Putinsche Mär eines angeblich bevorstehenden Völkermordes

Mit der Krim-Annexion hat sich Russland über mehrere internationale Verpflichtungen hinweggesetzt. Als im Dezember 1991 die Sowjetunion aufgelöst wurde, vereinbarten die Nachfolgestaaten, konkret die Russische Föderation und die Ukraine, dass die aus der Sowjetzeit herrührenden Verwaltungsgrenzen, denen zufolge die Krim zur Ukraine gehörte, die neuen Staatsgrenzen sein sollten, um Grenzkonflikte von vornherein auszuschließen. Die territoriale Unverletzlichkeit der Grenzen der Ukraine wurde in dem Budapester Memorandum des Jahres 1994 von den Vertragsstaaten Russland, USA und Großbritannien als Gegenleistung für die Übergabe der in der Ukraine lagernden einstmals sowjetischen Nuklearwaffen an Russland garantiert.  

Am 31. Mai 1997 unterzeichneten Russland und die Ukraine einen Grundlagenvertrag, der abermals die bestehenden Grenzen bestätigte. Das geschah erneut durch einen im Januar 2003 geschlossenen Grenzvertrag der beiden Staaten. An keine dieser Vereinbarungen hat sich Putin gehalten. Mehr noch, er hat auch die in der Schlussakte von Helsinki aus dem Jahre 1975 und durch die Charta von Paris aus dem Jahre 1990 als tragendes Element des Friedens in Europa festgelegte Unzulässigkeit gewaltsamer Grenzveränderungen missachtet. 

Putin rechtfertigte sein Verhalten mit angeblichen, aber aus der Luft gegriffenen Vorwänden, die russische Bevölkerung der Krim sei von Völkermord bedroht. Auf russischer Seite wurde auch das Argument vorgebracht, die zu Zeiten Chruschtschows 1954 erfolgte Übertragung der Krim aus dem Bestand der Russischen Föderation auf die Ukraine sei rechtswidrig gewesen. Chruschtschow sei überhaupt nicht berechtigt gewesen, die Krim einfach zu verschenken. 

Systematischer Bruch der internationalen Verpflichtungen

Tatsächlich erfolgte die Übertragung der Krim aus dem Bestand der RSFSR in den der Ukrainischen SSR aus dringenden wirtschaftlichen Gründen, und zwar durch einen Beschluss des Obersten Sowjets vom 19. Februar 1954. Nach Art. 57 der damals geltenden Sowjetverfassung war der Oberste Sowjet das höchste Organ der Staatsgewalt. Er war nach Art. 59 das einzige gesetzgebende Organ der Republik. Nach Art. 14 der Verfassung gehörte gemäß Buchstabe e) die Bestätigung und Änderung von Grenzen zwischen den Unionsrepubliken zu den Kompetenzen der obersten Staatsorgane. Damit erledigt sich das Argument des Willküraktes von Chruschtschow. 

Von der Übertragung der Krim 1954 wurde jedoch der Kriegshafen Sewastopol ausgenommen, der unter der Herrschaft des Zentralstaates verblieb. Das ist aber von der Regierung der Russischen Föderation nach 1991 nicht geltend gemacht worden. Vielmehr schloss Russland mit der Ukraine am 28. Mai 1997 ein Abkommen über Statut und Aufenthaltsbedingungen der Schwarzmeerflotte auf dem Territorium der Ukraine. Das Abkommen wurde 1999 ratifiziert. Es legte fest, dass von der Basis Sewastopol keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine erfolgen dürfe. Das wurde 2014 bei der Annexion der Krim gröblich verletzt. 

Das Abkommen hatte zunächst eine Laufzeit von 25 Jahren wurde aber von dem russlandfreundlichen Präsidenten Janukowitsch 2010 bis 2042 mit einer Prolongationsoption von fünf Jahren verlängert. Das in diesen Verhandlungen von Russland gezeigte Verhalten bedeutet, dass man sich im Klaren darüber war, dass Sewastopol ukrainisch und nicht russisch sei. Das ist durch die Annexion der Krim und Sewastopols zunächst hinfällig geworden, denn durch die Eingliederung der Krim und unabhängig davon Sewastopols in die Russische Föderation am 18. März 2014 gelten die beiden Gebiete nach russischem Verständnis heute als Bestandteile der Russischen Föderation.

Keine Rücksichtnahme auf russische Befindlichkeiten

Das auch in westlichen Überlegungen, wie es zu einer Beendigung des Krieges in der Ukraine kommen kann, wiederholte Argument, der russische Besitz der Krim und Sewastopols dürfe mit Rücksichtnahme auf Russland nicht in Frage gestellt werden, kann unter der Berücksichtigung der obigen Ausführungen zurückgewiesen werden. Das gilt insbesondere auch im Hinblick auf die 1994, 1997 und 2003 eingegangenen Verpflichtungen Russlands, indem es der Ukraine ihre territoriale Integrität und Unverletzlichkeit der Grenzen zugesichert hat. 

Daraus folgt, dass die Krim, ungeachtet des illegalen russischen Annexionsakts vom März 2014, immer noch völkerrechtlich zur Ukraine gehört. Militärische Aktionen der Ukraine zur Befreiung der Krim sind deshalb legal, treffen jedoch auf Widerstand Russlands, das seine Position nicht aufgeben will. So wird über das Schicksal der Krim letztlich erst am Ende des Krieges entschieden werden.

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