Ehemalige Sowjetrepubliken - Jegliche Glaubwürdigkeit verspielt

Auch das ist eine Folge von Putins Ukrainekrieg: Ehemalige Sowjetrepubliken driften von Moskau weg. Die politische Elite im Kreml verdrängt, wie tief die Vorbehalte gegenüber den Russen bei fast allen Nachbarvölkern sind.

„Putin, du Schwanz!“: Aufschrift auf einem Auto in der georgischen Hauptstadt Tiflis, März 2022 / Laetitia Vancon
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Autoreninfo

Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Seinen Ärger konnte Wladimir Putin nur schlecht verbergen, als der Staatspräsident Armeniens, Nikol Paschinjan, ihn gleich zweimal innerhalb weniger Minuten vor laufenden Fernsehkameras brüskierte: In der armenischen Hauptstadt Eriwan waren Ende November die sechs Staatschefs der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) zusammengekommen, ein vom Kreml vorangetriebenes Bündnis ehemaliger Sowjetrepubliken, das Putin offenkundig zu einer Anti-Nato ausbauen möchte. Als nach Abschluss der Beratungen Putin und die anderen bereits das Schlussdokument unterzeichnet hatten, erklärte Paschinjan plötzlich, er könne dies nicht tun, weil die OVKS ihre Hauptaufgabe nicht erfülle, nämlich ihre Mitglieder zu schützen. Der sichtlich überraschte Putin warf seinen Füller vor sich auf den Tisch. Als sich die sechs Präsidenten anschließend zum Gruppenfoto aufstellten, rückte Paschinjan demonstrativ einen großen Schritt von Putin ab. 

Fünf Monate zuvor, im Juni 2022, hatte der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew den Kremlchef zur Weißglut gebracht – und das in dessen Heimatstadt. Tokajew war der ranghöchste ausländische Teilnehmer am traditionellen Sankt Petersburger Wirtschaftsforum, das wegen des Krieges in der Ukraine alle westlichen Politiker boykottierten. Er hatte Grund, Putin dankbar zu sein, denn dieser hatte ihn im Januar 2022 aus höchster Not gerettet: Ein OVKS-Kontingent unter russischer Führung hatte die kasachischen Sicherheitskräfte unterstützt, Massenproteste niederzuschlagen, die drastische Preiserhöhungen für Konsumgüter ausgelöst hatten. Doch das Angebot des Kreml, die russischen Einheiten im Lande zu lassen, bis die Lage sich vollkommen beruhigt habe, lehnte Tokajew entschieden ab. 

Putins Nimbus schwindet

Zum Abschluss des Wirtschaftsforums, auf dem er den Westen zuvor für den Einbruch der globalen Konjunktur verantwortlich gemacht hatte, wollte Putin demonstrieren, dass er keineswegs allein bei seiner „militärischen Spezial­operation“ gegen die Ukraine dasteht. Gemeinsam mit Tokajew ließ er sich von der bewährten Kremlpropagandistin Margarita Simonjan, Chefin des Auslandssenders RT, vor den versammelten Gästen interviewen. Die Diskutanten saßen auf der Bühne drei Meter voneinander entfernt, was Kommentatoren zu Spekulationen über Putins anhaltende Furcht vor dem Coronavirus veranlasste. 

 

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Simonjan lobte zunächst die „großartige Freundschaft und das starke Bündnis“ beider Präsidenten, sie trug einen grünen Hosenanzug, in der Farbe der Hoffnung. Als die TV-Frau den Gast aus Kasachstan lächelnd fragte, wann sein Land denn nun die beiden Volksrepubliken Donezk und Luhansk anerkennen werde, bemerkte dieser trocken, seine Regierung respektiere die UN-Charta und beabsichtige daher nicht, „pseudostaatliche Gebilde wie Donezk und Luhansk“ anzuerkennen. Es war eine klare Kritik an den Moskauer Versuchen, die russischsprachigen Gebiete der Ukraine unter Kontrolle zu nehmen. Putin war sichtlich perplex, Simonjan verging das Lächeln, nervös wechselte sie das Thema.

Noch vor einem Jahr hätten sich Paschinjan und Tokajew nie solche Auftritte erlaubt. Ihr neues Selbstbewusstsein entspringt offenkundig der Erkenntnis, dass Putin nicht mehr der starke Mann ist, als der er sich stets präsentiert hat: Im Krieg gegen die hoch motivierten Ukrainer mussten seine als unbesiegbar gerühmten Streitkräfte empfindliche Rückschläge hinnehmen, vom Westen gelieferte Waffensysteme haben sich den russischen als haushoch überlegen erwiesen. 

Wenig Enthusiasmus für Putins Projekte

Durch diese kleinen Provokationen auf höchster staatlicher Ebene sehen sich Beobachter bestätigt, die von Anfang an Risse in der OVKS ausmachten. Denn anders als im Falle der Nato ist keines der Mitgliedsländer dem Bündnis beigetreten, weil ihre Regierungen Schutz vor möglichen Aggressoren suchen, sondern weil sie sich Ärger mit Moskau ersparen wollen. Die Kalkulation Putins, ein schlagkräftiges Bündnis als Gegengewicht zur Nato aufzubauen, kann also schwerlich aufgehen, weil außer dem Kreml niemand eine Bedrohung aus dem Westen behauptet

Genauso gering ist die Begeisterung im postsowjetischen Raum für die Eurasische Wirtschaftsunion, die Putin offenbar als Gegenstück zum Modell einer liberalen Demokratie westlichen Typs aufbauen will. Es ist ein Großprojekt, über das er die EU vor allem durch die Kontrolle des Energiemarkts unter Druck setzen möchte, in das er auch die Ukraine zwingen wollte. Beiden von Moskau beherrschten Organisationen gehören allerdings nur ganze fünf der 15 ehemaligen Sowjetrepubliken an – neben Russland sind es Armenien, Belarus, Kasachstan und Kirgistan. Das rohstoffarme Tadschikistan ist lediglich Mitglied im Militärbündnis OVKS. 

Doch im vergangenen September kam es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Tadschiken und Kirgisen, es gab mehrere Dutzend Tote. Anlass waren Streitigkeiten über den Verlauf der Grenze zwischen den beiden OVKS-Mitgliedern. Nahezu gleichzeitig schlugen aserbaidschanische Truppen gegen Armenien los und besetzten weite Teile der umstrittenen Kaukasusregion Nagorny Karabach, mehrere Hundert Armenier fanden den Tod, darunter viele Zivilisten.

Der große Magnet der EU

Doch beide Male griff die von Moskau dominierte OVKS nicht ein. Putin wollte offenbar die Führungen in Eriwan und der kirgisischen Hauptstadt Bischkek disziplinieren. Nicht nur der Armenier Paschinjan, sondern auch der neue kirgisische Präsident Sadyr Dschaparow hatten nämlich versucht, die Zusammenarbeit mit dem Westen auszubauen. Das konnte Putin nicht gefallen. Die Passivität der OVKS war der Anlass für die demonstrative Distanzierung Paschinjans von Putin auf dem OVKS-Gipfel im November. 

Genauso wenig ist es dem Kreml bislang gelungen, die Eurasische Wirtschaftsunion zu einem geopolitischen Akteur unter Moskauer Kontrolle zu machen. Die kasachische Führung in Astana betrachtet sie bislang lediglich als Freihandelszone; dem Drängen Putins, einen gemeinsamen Markt für Erdgas und Erdöl zu schaffen, gab Tokajew nicht nach, auch nicht, als der Kreml massiven wirtschaftspolitischen Druck ausübte: Wenige Tage nach dem Sankt Petersburger Wirtschaftsforum ließ er den Export von kasachischem Erdöl über den russischen Hafen Noworos­sijsk reduzieren, offenbar als Revanche für seine Demütigung bei dem Doppelinterview mit seiner Lieblingspropagandistin Simonjan.

Putins eurasisches Projekt ignorieren auch Aserbaidschan, Turkmenistan und Usbekistan, sie wollen ihre gewaltigen Rohstoffvorkommen allein vermarkten. Deshalb verhandeln sie längst über neue Pipelines, die sie von den Transportwegen über Russland unabhängig machen sollen, und haben dabei einen Partner in der Türkei gefunden, die sich ohnehin zum Ärger Moskaus immer stärker in den islamisch geprägten jungen Staaten engagiert. Während die EU zum großen Magneten für die Staaten im ehemaligen Ostblock wurde, konnte der Kreml die Nachbarn also wenig für die in Moskau konzipierte Wirtschaftsunion begeistern. 

Widerstand aus Kasachstan

Noch schmerzlicher dürfte für Putin sein, dass außer Belarus unter dem ehemaligen KGB-Instrukteur Alexander Lukaschenko und dem armen Tadschikistan keine der postsowjetischen Republiken seine Version vom Präventivkrieg gegen die „Nazis in der Ukraine“ unterstützt. Moldawien und Georgien haben den Resolutionen in der UN-Vollversammlung zugestimmt, die Moskau als Aggressor scharf verurteilen. Russische Truppen halten Teile beider Länder seit vielen Jahren besetzt, der Kreml hat alle Aufforderungen auch internationaler Gremien ignoriert, die eigenen Kontingente zurückzuziehen. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine vor einem Jahr haben sowohl Georgier als auch Moldauer die Aufnahme in die EU beantragt.

Als der Kreml verkündete, dass die Regierungen Kirgistans und Usbekistans die Haltung Moskaus unterstützen, kamen prompt Dementis aus den beiden Hauptstädten Bischkek und Taschkent: Man habe die Lage lediglich erörtert. Und Aserbaidschan sowie Kasachstan liefern trotz heftiger Proteste aus Moskau Hilfsgüter an die Ukraine. Baku verfügte, dass Fahrzeuge der ukrainischen Sanitätsdienste und Feuerwehr umsonst an Tankstellen des aserbaidschanischen Konzerns Socar tanken dürfen. Tokajew erklärte, russische Männer, die sich der von Putin befohlenen Mobilisierung entziehen wollten, seien in Kasachstan willkommen.

Die kasachischen Behörden untersagten, den zum Symbol für die russischen Invasionstruppen in der Ukraine gewordenen Buchstaben Z an Häusern und Autos anzubringen. Das Verbot zielt auf die große russische Minderheit im Nordwesten des Landes ab. In Astana wurden nämlich sehr genau die Sprüche von Politikern aus dem Umfeld Putins registriert, dass diese Region eigentlich zu Russland gehören müsste. Der Kremlchef selbst erklärte, Kasachstan habe ja überhaupt keine „staatliche Tradition“. Dasselbe Argument führte er gegenüber der Ukraine an.

Russische Hybris

Von Tiflis bis Taschkent fragt man sich, wie Putin glauben konnte, seine Nachbarn würden seinen imperialistischen Kurs gutheißen. Offenbar ist er auch hier Fehlinformationen seiner Geheimdienste aufgesessen, die ihm schon weisgemacht hatten, dass die russischen Truppen in der Ukraine mit Blumen begrüßt und Kiew in wenigen Tagen einnehmen würden. Die politische Elite in Moskau verdrängt, wie tief die Vorbehalte gegenüber den Russen bei allen Nachbarvölkern sind. Sämtliche ehemalige Sowjetrepubliken haben nach der Auflösung der UdSSR große nationale Erzählungen entwickelt, in denen die Russen vor allem als arrogante Kolonisatoren und rassistische Unterdrücker auftreten. 

In Russland ist bis heute eine breite Diskussion über die Unterdrückung der nichtrussischen Völker ausgeblieben. Die Schulbücher feiern Peter den Großen und Katharina die Große als herausragende Persönlichkeiten der Geschichte, ihre Truppen haben Sibirien erobert und dem Osmanischen Imperium die Regionen an der Nordküste des Schwarzen Meeres einschließlich der Halbinsel Krim abgenommen. Im 19. Jahrhundert annektierten die Zaren das alte Königreich Georgien; sie befreiten zwar das christliche Armenien aus der Herrschaft der Osmanen, doch gliederten sie es ebenfalls in das russische Imperium ein, wie auch das islamische Aserbaidschan und Zentralasien mit den einst bedeutenden Kulturzentren Buchara und Samarkand.

Das Verhalten des russischen Militärs und der Behörden im Kaukasus und in Zentralasien war von einer Kolonialherrenmentalität und brutaler Härte geprägt. Die Angehörigen namentlich der islamischen Völker wurden als minderwertig behandelt, ihre Eliten dezimiert, ihre Kulturen unterdrückt, Aufstiegschancen in Russland hatten sie nicht. Doch verbreitet wird bis heute in Russland die Version, dass die Zaren sie vor den Türken und Persern geschützt hätten.

Großrussische Imperialisten

In der Sowjetära wurden zwar die Parolen von der sozialistischen Völkerfreundschaft ausgegeben, auch waren die Ersten Sekretäre der regionalen Parteiorganisationen meistens Einheimische. Doch die eigentlichen Entscheidungsträger waren ihre Vertreter, durchweg Russen, auch unter dem Georgier Stalin. Bei der Siegesfeier nach dem Zweiten Weltkrieg ließ er das „große russische Volk“ hochleben, sein Trinkspruch trug dem Selbstbild der Russen Rechnung, allen anderen Völkern der Sowjetunion überlegen zu sein. 

Abgesehen von zwei Ukrainern, nämlich Nikita Chruschtschow, der acht Jahre lang der starke Mann im Kreml war, und dem heute längst vergessenen Witali Fedortschuk, der sieben Monate lang an der Spitze des KGB gestanden hatte, waren nach dem Tod Stalins alle sowjetischen Partei- und Regierungschefs, alle Verteidigungsminister, Generalstabschefs und KGB-Chefs Russen, die sich ausnahmslos als großrussische Imperialisten zeigten. Während der Perestroika unter Michail Gorbatschow publizierten reformorientierte Zeitungen zwar erstmals vorsichtig formulierte Artikel über den russischen Kolonialismus, doch eine breite gesellschaftliche Debatte verhinderte die nach wie vor bestehende Zensur. 

Gorbatschow selbst behauptete in seinem wohl von Ghostwritern verfassten Wälzer „Perestroika“, der bei den Westdeutschen zum Bestseller wurde, die UdSSR sei der erste Staat auf dem Globus, in dem nationale Gegensätze überwunden seien. In Wirklichkeit hatten während der Perestroika der KGB und der Militärgeheimdienst GRU den Auftrag erhalten, die Demokratiebewegungen in den Teilrepubliken, die die Loslösung von Moskau anstrebten, zu spalten und zu zersetzen. Angesetzt wurde bei den nationalen Minderheiten, Ziel war es, Unruhen zu provozieren, um dem Kreml Anlass zum Eingreifen zu geben.

Auf Distanz zu Moskau

Im Falle Georgiens waren dies die Abchasen und die Osseten, in Moldawien die Gagausen, ein christlich-orthodoxes Turkvolk, sowie die ethnischen Russen, in Aserbaidschan die armenische und in Armenien die aserbaidschanische Minderheit, in Litauen wurde die polnische Minderheit gegen Vilnius aufgewiegelt, in Lettland, Estland und vor allem der Ukraine wurden ebenfalls die ethnischen Russen in Stellung gebracht. Unvergessen blieb auch, dass unter Gorbatschow Sondertruppen des KGB versuchten, die nationalen Bewegungen in Riga, Vilnius, Tiflis und Baku zu zerschlagen, es gab Dutzende von Toten. 

Aufgrund dieser Nachbarschaftsgeschichte sind die Führungen sämtlicher Mitgliedstaaten von OVKS und Eurasischer Wirtschaftsunion allen Freundschaftsbekundungen zum Trotz darauf bedacht, ihre Unabhängigkeit von Moskau nicht nur entschlossen zu verteidigen, sondern den russischen Einfluss immer weiter zurückzudrängen. Hinzu kommt, dass Kaukasier und Einwohner Zentralasiens, die ständig in Russland leben oder dort vorübergehend arbeiten, häufig Schikanen durch die Behörden ausgesetzt sind oder gar Opfer von gewaltsamen Übergriffen durch russische Nationalisten werden.

Menschenrechtler beklagen, dass sie nach wie vor wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Die russischen Behörden verweigern dabei oft die Zusammenarbeit mit den Ermittlern der neuen Staaten, so wie sie auch die Aufklärung der Mordaktionen des KGB gegen Aktivisten der nationalen in der ausgehenden Sowjetzeit blockieren.

Arroganz von allen Seiten

Zweifellos rief der Verlust des Imperiums bei wohl der überwältigenden Mehrheit der Russen Trauer oder gar Wut hervor, Politiker gaben revisionistische Parolen aus, es entstanden Parteien, die Revanche forderten. Doch der von Putin theatralisch herausgestellte russische Nationalstolz weckt bei den Nachbarn durchweg negative Emotionen. Zudem ist Russland, das unter ihm die Modernisierung der Wirtschaft verschlafen hat, kein Modell, sondern ein abschreckendes Beispiel. Auch hat er durch seine offenkundigen Lügen über den Krieg gegen die Ukraine jegliche Glaubwürdigkeit verspielt.

Dass russische Offizielle mithilfe des Geheimdiensts massiv bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 Dopingproben manipuliert und so einheimischen Sportlern zu einer Reihe von Medaillen verholfen haben, hat alle Nachbarn empört, besonders die Kasachen, die selbst über hervorragende Wintersportler verfügen und sich durch die Betrügereien unmittelbar benachteiligt sahen. Übel genommen wird Putin auch, dass er die Namen von Politikern aus Zentralasien und dem Kaukasus immer wieder fehlerhaft ausspricht, wobei ihm arrogante Absicht unterstellt wird.

Die wirtschaftspolitische Isolierung Russlands durch den Westen nutzt Tokajew, um sein Land als zuverlässigen Partner beim internationalen Rohstoffhandel in den Vordergrund zu schieben. Immer wichtiger wird dabei das von Peking vorangetriebene Projekt der neuen Seidenstraße, einer von Ostasien nach Europa führenden Eisenbahnstrecke mit der dazugehörigen Infrastruktur an Magazinen und Handelsplätzen. Doch in allen mittelasiatischen Staaten gibt es auch Vorbehalte gegenüber den Chinesen, ihnen werden ebenfalls imperialistische Ambitionen und rassistische Arroganz unterstellt. Überdies beobachtet man in Astana, Bischkek und Taschkent höchst besorgt, wie man in China mit den moslemischen Uiguren umspringt – auch wenn man dazu schweigt. 

Je schwächer, desto gefährlicher

Nahezu hilflos muss Putin hinnehmen, wie sein Einfluss im rohstoffreichen Zentralasien schwindet und der Pekings immer mehr zunimmt. Der chinesische Präsident Xi sicherte Tokajew zu, sein Land werde Kasachstan bei der Verteidigung ihrer territorialen Integrität zur Seite stehen – es war ein klares Signal an Putin. Wie sehr dieser als Politiker im Abstieg gesehen wird, führten ihm auch die Usbeken vor Augen: Als er zum offiziellen Besuch in der Hauptstadt Taschkent eintraf, begrüßte ihn nur der protokollarisch unter ihm stehende Regierungschef. Doch als Xi aus Peking kam, empfing ihn der usbekische Staatspräsident mit großem militärischen Zeremoniell. 

Die Rivalität zwischen Moskau und Peking im postsowjetischen Zentralasien bringt den Westen wieder ins Spiel. Tokajew formulierte es auf dem Wirtschaftsforum in Doha im vergangenen September sehr diplomatisch: „Putin ist immer noch ein zuverlässiger Verbündeter.“ Doch wolle er auch „freundschaftliche und berechenbare Beziehungen zu den USA“ pflegen. Mehrere amerikanische Wirtschaftsdelegationen haben in den vergangenen Monaten Zentralasien bereist. Vor allem wird die EU als Partner immer wichtiger, an erster Stelle die Bundesrepublik. Im vergangenen Jahr gingen bereits 40 Prozent der Exporte Kasachs­tans in EU-Staaten, besonders der Anteil von Erdöl steigt kräftig. Mittelfristig soll es über eine Russland umgehende Pipeline gepumpt werden, die Kirgisen, Aserbaidschaner und Türken gemeinsam planen. 

In seinen Klagen über die Auflösung der Sowjetunion 1991 als „größte geostrategische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ sagte Putin auch den Satz: „Auf einen Schlag ging verloren, was wir über 1000 Jahre aufgebaut haben.“ Nun ist er dabei, wider Willen den Schlusspunkt dabei zu setzen. 

Doch in Eriwan fürchtet man, dass er seine Wut darüber, dass die Dinge ganz anders laufen als geplant, an Armenien auslassen werde. Nicht nur ist die Stromversorgung des kleinen und armen Landes im Kaukasus von Russland abhängig, die Armenier sind auch darauf angewiesen, dass Moskau ihrem Erzfeind Aserbaidschan Einhalt gebietet. Sollte Paschinjan sich also im Amt halten, so wird er wohl nach seinen Frechheiten auf dem OVKS-Gipfel von Eriwan letztlich nicht um einen Bittgang in den Kreml umhinkommen.

 

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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