Statue von Stalin
Was ist der beste antistalinistische Witz gegen den Witz, der die stalinistische Politik selbst ist? / picture alliance

Philosoph Slavoj Zizek - „War Josef Stalin der größte Witzbold des 20. Jahrhunderts?“

Darf man über grausame Diktatoren und menschliche Greueltaten Witze machen? Man muss es sogar, schreibt Slavoj Zizek im zweiten Teil seines Essays über Ernst Lubitsch. Das sei die beste Form mit einem Trauma umzugehen, wenn die Erinnerung für die Trauer noch zu frisch ist. Cicero Plus

Slavoj Zizek

Autoreninfo

Slavoj Zizek, Jahrgang 1949, ist einer der bekanntesten Philosophen der Gegenwart. Der in Ljubljana geborene Denker war 1990 in Slowenien Präsidentschaftskandidat. Seit Anfang 2007 ist er International Director des Birkbeck Institute for the Humanities an der University of London. Hegel, Marx und Lacan haben seine Werke maßgeblich beeinflusst. Er bezeichnet sich als eurozentrischen Marxisten.

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Kann man sich einen schrecklicheren Fall von „objektivem Humor" vorstellen als den des Stalinismus, der komischen Umkehr großer emanzipatorischer Hoffnungen in eine selbstzerstörerische terroristische Gewalt? War Stalin in diesem Sinne nicht der größte Witzbold des 20. Jahrhunderts? Und ist in unserer Zeit die individuelle Wahlfreiheit nicht auch ein Witz, dessen Wahrheit die verzweifelte Situation eines prekären Arbeiters ist? Angesichts der Tatsache, dass das größte kulturelle Produkt der stalinistischen Ära politische Witze sind, ist man versucht, Bertolt Brecht noch einmal zu paraphrasieren: Was ist selbst der beste antistalinistische Witz gegen den Witz, der die stalinistische Politik selbst ist? Oder, in unserer Zeit, was sind die besten Witze über Donald Trump gegen den Witz, der Trumps aktuelle Politik ist? Stellen Sie sich vor, ein Komiker hätte vor ein paar Jahren Trumps Aussagen, Tweets und Entscheidungen auf die Bühne gebracht – das wäre als ein nicht-realistischer, übertriebener Witz erlebt worden. Trump ist also bereits seine eigene Parodie, mit dem unheimlichen Effekt, dass die Realität seiner Handlungen sehr viel lustiger ist als die meisten seiner Parodien.

Witze über Auschwitz und Srebrenica sind nicht respektlos

Sollten wir dann wirklich überrascht sein, dass einer der Witze aus Sarajevo, als die Stadt unter Belagerung stand (und aufgrund serbischer Bombenangriffe die Gaszufuhr oft unterbrochen wurde), lautete: „Was ist der Unterschied zwischen Auschwitz und Sarajevo? In Auschwitz ist ihnen zumindest nie das Gas ausgegangen.“ Oder was ist mit diesem grausamen Witz, der unter den Überlebenden des Srebrenica-Massakers beliebt ist? (Um diesen Witz zu verstehen, muss man sich daran erinnern, dass vor Jahrzehnten, als man zu einem Metzger ging, um etwas Rindfleisch zu kaufen, der Metzger gewöhnlich fragte „Mit Knochen oder ohne?“ – Knochen wurden hinzugefügt, um die Rindfleischsuppe schmackhafter zu machen.) Also, der Witz geht so: Nach dem Krieg kehrt ein Flüchtling aus Deutschland nach Srebrenica zurück und will dort ein Stück Land kaufen, um ein Haus zu bauen. Also fragt er einen Freund nach dem Grundstückspreis, und der Freund antwortet: „Es kommt darauf an – willst du es mit oder ohne Knochen?“ So geht man mit einem Trauma um, das noch nicht richtig betrauert und symbolisiert werden kann – man verwandelt es in einen Witz. Es ist nichts Respektloses darin, im Gegenteil: Solche Witze implizieren das Bewusstsein, dass die Erinnerung noch zu frisch ist, als dass sie zum ein Teil des Trauerprozesses sein kann. 

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Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 3. Februar 2018 - 14:07

man Witz definiert, Stalin oder Mao waren kein Witz der Geschichte.
Sie waren aber Teil der Geschichte.
Daneben gibt es Menschen, die einfach nur alles ad absurdum führen, HITLER.
Kann man Geschichte aufhalten, wie kann man sie beeinflussen?
Wohl doch nur durch das Reflektieren und Mittun.
Da ist dieses Interview mit dem letzten Foucault-Gefährten im Cicero so bedeutsam.
Es zeigt nicht nur Foucaults Denken, sondern inwiefern es sich auf Geschichte einliess, während er Archäologien und Diskurse entwickelte.
Wie verändert sich die Welt?
Gründsätzlich und von meiner Seite aus schweige ich lieber darüber, dass es Foucault selbst betroffen hätte, was er aber wusste - ich versuchte es ihm zu schreiben, weiss aber nicht ob er die Karte noch vor seinem Tod bekam - verändert sie sich über die Zu-ordnungen des Lebens, in Ewigkeit AMEN

Jakob Frenzen | Sa., 3. Februar 2018 - 19:26

Aber Zizek sollte mal lieber ein Ökonomie Buch lesen

Dr. Lothar Sukstorf | Mo., 5. Februar 2018 - 11:51

Ja klar ...Stalin, Adolf und Mao...die Marx-Brothers der Geschichte...