Xi Jinping telefoniert mit Selenskyj - Ein Schlag für die russische Propaganda

Am vergangenen Mittwoch telefonierte Xi Jinping zum ersten Mal seit Beginn des Krieges mit dem ukrainischen Staatspräsidenten Selenskyj. Das Gespräch bedeutet nicht nur eine Aufwertung der Ukraine, sondern zeigt auch, dass Russland zunehmend die Lage entgleitet.

Der Moment des Telefonats mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Über ein Jahr dauerte es, bis der Präsident des Landes, das für sich selbst in Anspruch nimmt, die globale Ordnung nachhaltig mitbestimmen zu wollen – zum Guten, wie es sich von selbst verstehen soll –, mit der zweiten Kriegspartei, dem Präsidenten der von Russland angegriffenen Ukraine, sprach. Bisher traf er sich mehrfach und in trauter Gemeinsamkeit nur mit dem Aggressor Putin. Den hat er nun im Sack, so dass Xi Jinping einen Schritt weitergehen kann. So entfaltete schon allein diese Tatsache ihre Wirkung. Xi sprach mit Selenskyj eine Stunde lang per Telefon.

Dabei soll China versichert haben, Verhandlungen für einen Frieden zu unterstützen sowie die territoriale Integrität als Grundlage der bilateralen Beziehungen zu betrachten. Diese Formulierung steht derjenigen des chinesischen Botschafters in Frankreich entgegen, der den Nachfolgestaaten der Sowjetunion erst kürzlich die Souveränität absprach. Ob es eine Klarstellung ist oder nur diplomatische Flexibilität ausdrückt, ist offen. Denn weiterhin bewegt sich China in dem Paradox, die Charta der Vereinten Nationen zu betonen (Souveränität, territoriale Integrität, Gewaltverbot) und deren Bruch durch Russland nicht zu verurteilen. Der chinesische Präsident nannte den Krieg weiterhin nicht Krieg, sondern sprach wie seit einem Jahr von der „Ukraine-Krise“.

China hat Russland da, wo es das Land haben wollte

Eine greifbare Initiative gab es: China plant, einen Sondergesandten für eurasische Angelegenheiten zu entsenden, der mit allen am Krieg interessierten Parteien sprechen soll. Ob dies eine ernsthafte Mission ist, die an den Erfolg der Vermittlung zwischen Iran und Saudi-Arabien anschließen möchte, wie es auch eine zwischenzeitliche Initiative im Nahostkonflikt andeutete, ist ebenfalls offen. Dass China die eurasische Initiative ergreifen kann, ohne aus Russland Gegenwehr zu spüren, ist hingegen ein Ergebnis des Kriegs. China hat Russland jetzt da, wo es das Land haben wollte.

Da China nie ein mächtigeres Russland fördern wollte, mag die Forschung irgendwann der Frage nachgehen, warum Xi Putin zum Krieg ermunterte, als er ihn mit dem Begriff der „grenzenlosen Freundschaft“ in die Irre lockte. Denn darunter verstand Putin sicher etwas anderes als jetzt umgesetzt wird: China bedient Russlands Markt, erhält preisgünstige Energie und schaut dann zu, wie Russlands Streitkräfte ihre Schwächen offenbaren. In Russland hat man möglicherweise übersehen, dass sowohl das Zarenreich als auch die Sowjetunion wesentlich zum „Jahrhundert der Demütigungen“ beitrug, für das China nun auf Ausgleich sinnt.

 

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Die Unterstützungen, die China Russland im Krieg leistet – an Drohnen und Dual-Use-Gütern –, ist jedenfalls mehr daran ausgerichtet, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA und der EU nicht grundlegend gefährdet werden, als an russischen Bedarfen. Denn Chinas Aufstieg zur Weltmacht fußt auf der liberalen internationalen Handelsordnung, auf die China jetzt noch nicht verzichten kann und aus der Russland zunehmend ausgeschlossen wird. Jedenfalls wird Russland die Transformation vom Petrostaat zum modernen Industrieland nicht mehr gelingen.

Deshalb war nun auch der Zeitpunkt gekommen, da Xi mit Selenskyj sprechen konnte, ohne aus Moskau öffentliche Kritik zu erfahren. Denn eigentlich hätte es aus Moskau heißen müssen: Der chinesische Präsident solle nicht mit einem Nazi, der zugleich eine Marionette der USA sei, von Gleich zu Gleich reden. Xi hat nicht nur Selenskyj aufgewertet, sondern Russlands Propaganda mit einem Schlag schweren Schaden zugefügt.

Dabei ist nicht davon auszugehen, dass China sein Interesse geändert hat, Putin erstens im Amt und zweitens irgendwie ein wenig erfolgreich sehen zu wollen. China steht fest an Russlands Seite. Aber Putin ist von Xi abhängig. Selbst wenn Russland jetzt ernste diplomatische Absichten verfolgte, was es nicht tut, würde dies als Folge chinesischen Einflusses angesehen. Putin hat auch diesen Kampf um öffentliches Ansehen verloren. Kurz gesagt: Xi spricht mit Putin und Selenskyj; Biden spricht mit Selenskyj, aber nicht mit Putin. Mit ihm sprechen nicht einmal mehr Macron und Scholz, die darauf immer Wert legten.

China möchte die EU-Staaten ködern

Chinas Interesse ist, die Paradoxie aufzulösen, in der Russland steckt: dass es den Krieg nicht mehr gewinnen kann, aber gleichzeitig Putin im Amt halten möchte. Russland ist geschrumpft und hat für China eine passable Größe. Russland wird nach dem Krieg in der EU keinen Einfluss gewinnen können, der den Chinas ausgleicht oder übersteigt. Aus dieser Lage ergeben sich für China zwei weitere Interessen, die mit der Initiative für Verhandlungen gefördert werden können.

Erstens will China die EU-Staaten ködern, um sie aus der engen Beziehung zu den USA zu lösen, um zweitens die USA zu schwächen, indem sie deren Bündnisse aufzulockern versucht. Da war Frankreichs Präsident Macron Chinas Diplomaten hilfreich, doch ging seine Initiative in der EU nach hinten los. Auf direktem politischem Weg werden die transatlantischen Beziehungen also nicht zu perforieren sein. Deshalb kommt den wirtschaftlichen Beziehungen und insbesondere den Abhängigkeiten noch größere Bedeutung zu. Denn wenn es China gelingen würde, die EU-Staaten von den USA zu trennen, stellte sich die geopolitische Lage in Eurasien ganz anders dar: China wäre die Macht, die Russland direkt und die EU über wirtschaftlichen Druck politisch dominieren könnte. Das wäre der Weg, bis 2049 wirklich die dominante Weltmacht zu werden. Wer die Freiheit der Eigenentwicklung in der EU bewahren möchte, wird diese Perspektive zu durchkreuzen versuchen.

Russland entgleitet die Lage

Dass Selenskyj Chinas Initiative lobte, wie er es schon beim Zwölf-Punkte-Plan getan hat, ist gut nachvollziehbar. Nicht, dass die Ukraine hofft, Chinas Beziehungen zu Russland wenden zu können. Aus ihrer Sicht ist es allein erstrebenswert, dass China Russland nicht noch stärker und vor allem nicht militärisch unterstützt. Das liegt auch nicht in Chinas Interesse, so dass sich hier die diplomatischen Wege kreuzen. Russland hingegen wird zunehmend zu einem Staat, dem die Lage entgleitet, weil es weder militärisch dominieren konnte, noch diplomatisch die Initiative ergreifen kann. Lawrows Auftritte in New York sind ärgerlich und verstörend. Mehr aber nicht.

Die einzige Initiative, die Russland derzeit ergreifen kann und die von der Führung kräftig genutzt wird, ist die Zerstörung von Wohngebäuden und die Ermordung von Zivilisten in der Ukraine. Russland ist von seinen eigenen Ansprüchen, als „zivilisatorisches Zentrum“ der internationalen Beziehungen eine angemessene Rolle zu spielen, weit entfernt. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit türmen sich Kriegsverbrechen. Auch das hat das Gespräch Xis mit Selenskyj nochmals deutlich gemacht.

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