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Euro-Krise - Zurück nach Maastricht!

Rettungsschirme, Staatsfinanzierung durch die EZB und Rufe nach mehr Europa verlängern nur die Krise. Deren Lösung liegt in der Rückbesinnung auf die Kriterien von Maastricht

Autoreninfo

ist Journalist und Volkswirt. Er war erst Chefredakteur des Spiegel, dann bis 2003 des Manager Magazins. 2002 erhielt er den Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik

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Er hat die Italiener mit Versprechungen gelockt, die für Außenstehende wie Satire anmuteten. Silvio Berlusconi war auf einmal wieder da, und von Woche zu Woche stiegen seine Umfragewerte. Am Ende sicherte er sich im Senat eine Blockade-Mehrheit. Für Italien hätte es kaum schlimmer kommen können.

Nur für Italien?

Erst die Wahl des französischen Sozialisten François Hollande mit seinem realitätsblinden Programm in Frankreich, nun die Abstimmung in Italien mit der Rückkehr des Polit-Scharlatans Berlusconi und dem 25-Prozent-Erfolg des Komikers Beppe Grillo – wir mussten lernen: Wahlen in einem Land der Euro‑Zone haben inzwischen den Stellenwert von Wahlen im eigenen Land.

Seit die Europäer vertragswidrig das Verbot der wechselseitigen Haftung für Staatsschulden außer Kraft gesetzt haben, seit sie mit ihren Rettungspaketen und den Aktionen der Notenbank unverdrossen Beistand leisten – seither schlagen Wahlausgänge in einem Euro-Staat mit voller Wucht auf die Bürger aller anderen Länder des Währungsverbunds durch.

Haben wir von diesem Europa geträumt? Einem Europa, in dem Bürger für politische Entscheidungen einstehen und zahlen müssen, auf die sie nicht den geringsten Einfluss haben? In dem einigermaßen solide wirtschaftende Länder für den Unfug haften sollen, den uninformierte, törichte oder frustrierte Wähler in Italien, Frankreich oder Griechenland anrichten? In dem das eherne Prinzip „no taxation ­without representation“ ausgesetzt ist?

Ich war seit meiner Schulzeit ein entschiedener Anhänger der Idee eines geeinten Europas. Als Chefredakteur des Spiegels habe ich für den Euro gekämpft, nicht zuletzt gegen meinen Herausgeber Rudolf Augstein, der, argumentativ gespickt von seinem Nachbarn Karl Schiller, dem ehemaligen Wirtschafts- und Finanzminister unter Kiesinger und Brandt, gegen den Vertrag von Maastricht anschrieb.

Natürlich war mir immer bewusst, dass diese Währungsunion ein Großexperiment ist. Aber ohne den Mut zu Neuem hätte es das europäische Einigungswerk nie bis zum Vertrag von Maastricht geschafft. Was sollte schon schiefgehen? Der Vertrag verpflichtete die Mitglieder der Geldgemeinschaft mit exakten Vorgaben zur Haushaltsdisziplin; die Notenbank war kraft Statut mindestens so unabhängig wie die Bundesbank; und die Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zwischen den Teilnehmerstaaten waren auch nicht größer als die zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg.

Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass dieses Konzept richtig und überfällig war. In die Krise ist die Währungsunion erst geraten, als die Politiker begannen, aus den Schulden- und Wettbewerbsproblemen einzelner Teilnehmerstaaten eine Währungskrise zu machen; als sie glaubten, Rettungsfonds für überschuldete Staaten gründen zu müssen; und als die Notenbank in die Staatsfinanzierung einstieg. Eine nie da gewesene Abfolge von Vertragsbrüchen, die Deutschland inzwischen für den abenteuerlichen Betrag von 958 Milliarden Euro haften lassen, mehr als das Dreifache des Bundeshaushalts. Zugleich wurde Deutschland auch noch zum Hassobjekt in ganz Europa.

Den derzeitigen Oppositionsparteien SPD und Grüne reicht das noch nicht. SPD-Chef Sigmar Gabriel propagiert in einem Thesenpapier, verfasst mit dem Philosophen Jürgen Habermas und etlichen anderen Denkern, als einzige Lösung für den Erhalt der Währungsunion „einen großen Integrationsschritt“ – einschließlich einer „gemeinschaftlichen Haftung für Staatsanleihen des Euroraums“, sprich: Eurobonds. Und Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin, der gern Finanzminister werden möchte, verlangt: „Mehr Europa, stärkere Institutionen und auch höhere Transfers.“
Für Gabriel, Habermas & Co gibt es nur „zwei in sich stimmige Strategien zur Überwindung der aktuellen Krise: die Rückkehr zu nationalen Währungen (…) oder aber die institutionelle Absicherung einer gemeinsamen Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialpolitik im Euroraum“.

Die dritte, die naheliegendste Variante, beziehen die Rot-Grünen, wie inzwischen auch viele der Regierenden, gar nicht mehr in ihre Planspiele ein – die Rückkehr zu den Prinzipien von Maastricht. Jenen Grundsätzen, mit denen die Währungsunion Anfang der Neunziger gegründet wurde: Eigenverantwortung der Euro-Staaten für ihre nationalen Haushalte; strikte Beachtung des noch immer geltenden Rechts, dass kein Staat auf Kosten anderer Unionsmitglieder aus einer finanziellen Notlage befreit werden darf, das sogenannte Bail-out-Verbot.

Die Erfahrungen der vergangenen drei Jahre haben uns nachdrücklich gelehrt, dass eine „radikale (!) Vergemeinschaftung“ (Trittin) die Realität in Europa völlig verkennt. „Das Projekt der politischen Union taugt nicht als Instrument zur Bewältigung der Krise“, sagt Otmar Issing, gewiss kein Euro-Gegner: Der Wirtschaftsprofessor gehörte als Chefvolkswirt dem Direktorium der Europäischen Zentralbank an.

Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass die Einstellungen zum Werterhalt des Geldes und zum staatlichen Schuldenmachen in Europa in hohem Maße divergieren, dass die Mentalitäten der Völker selbst nach Jahrzehnten Brüsseler Gemeinsamkeit immer noch sehr unterschiedlich sind.
Bei aller Begeisterung für einen geeinten Kontinent ist unübersehbar, dass es bis heute an einer europäischen Öffentlichkeit fehlt. Und dass es „die eine europäische Identität genauso wenig gibt wie den europäischen Demos, ein europäisches Staatsvolk oder eine europäische Nation“, wie Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Europa-Rede Ende Februar sagte.

In einem Interview warnte der britische Historiker Timothy Garton Ash Europas Politiker vor utopischen Entwürfen: „Wir müssen dieses Europa mit dem Stoff bauen, den wir haben. Und dieser Stoff ist die nationale Demokratie.“ Gesamteuropäische Wahlen, in denen eine Wirtschaftsregierung oder gar der EU-Kommissionspräsident zu wählen wären, bleiben auf absehbare Zukunft unrealistisch.

Das traurige Beispiel der Europäischen Zentralbank sollte uns lehren, wie wenig Verlass im Ernstfall auf gesamteuropäische Einrichtungen ist.
Die EZB wurde nach dem Modell der Bundesbank konstruiert. Sie ist formal von den Regierungen unabhängig, wurde in ihrem Statut deutlicher noch als die alte Bundesbank einzig dem Erhalt des Geldwerts verpflichtet. Es ist ihr verboten, Staatshaushalte zu finanzieren. Die Mitglieder des Zentralbankrats, des obersten Entscheidungsgremiums, sollten nicht als Vertreter ihrer Herkunftsländer agieren, sondern als geldpolitische Experten.
Ein, wie ich fest überzeugt war, wasserdichtes Vertragswerk. Doch inzwischen kauft die Notenbank munter Staatsanleihen auf und versorgt die Banken notleidender Länder mit Geld zum Nulltarif, das diese an die öffentlichen Kassen weiterleiten. Sie betreibt ungeniert Staatsfinanzierung, und anders als bei den Rettungsfonds hat diese Methode noch den Vorteil, dass die Zahlungen nicht von den Parlamenten der Geberländer genehmigt werden müssen. Eine Mehrheit der Nehmerländer im Zentralbankrat setzt diese Politik notorisch durch.

Nichts anderes hätten wir von einem fiskalpolitisch geeinten Europa zu erwarten. Wenn dessen Institutionen handlungsfähig sein sollen, würde dort mit Mehrheit entschieden – von Politikern, die nach wie vor auf ihr heimisches Wähler­klientel schielen müssten. Diese Gremien würden – was immer auch vorher an hehren Absichten unterschrieben wurde – uns dann mit demokratischen Mehrheiten den vom ehemaligen Verfassungsrichter Udo Di Fabio bereits prophezeiten „Super-Länderfinanzausgleich“ oktroyieren, mit den solide haushaltenden Ländern als Geber und den reformunfähigen oder -unwilligen als Nehmern.

Neue, gesamteuropäische Institutionen würden nur den Veränderungsdruck von den Ländern nehmen, die dabei sind, ihre Zahlungsfähigkeit zu verlieren. Die Südländer – Frankreich eingeschlossen, das gerade dabei ist, den letzten Rest seiner Wettbewerbsfähigkeit zu verspielen – könnten alle die Ursachen der Krise selbst überwinden, indem sie die unvermeidlichen Reformen ihrer Sozialgesetzgebung, ihres Arbeitsrechts und ihrer Bürokratien umsetzen würden, so wie es das kleine Lettland vorgemacht hat. Doch zu dieser Umkehr scheinen eine ignorante Wählerschaft und eine opportunistisch agierende politische Elite nicht fähig oder nicht willens.

Gewiss, der vertragliche Rahmen der Währungsunion ist verbessert worden. Die Banken sollen zukünftig einheitlich europaweit kontrolliert werden. Fiskalunion nebst Schuldenbremse können einen zusätzlichen Druck ausüben, staatliche Einnahmen und Ausgaben im Lot zu halten.
Aber ob die Paragrafen im Getöse des politischen Alltags respektiert werden, ist nach der Serie bisheriger Vertragsbrüche keineswegs gesichert.
Glaubwürdig wären all die Schwüre nur, wenn die Bestrafung für Fehlverhalten automatisch folgen würde und nicht von Beschlüssen Brüsseler Räte abhängig wäre. Doch solche Automatismen konnten die Deutschen nicht durchsetzen.

Die Währungsunion wird Bestand haben. Es gibt kein Zurück mehr zu nationalen Währungen. Ein Ende des Euro wäre verhängnisvoll, politisch wie ökonomisch, nicht zuletzt für Deutschland mit seinen riesigen Haftungsverpflichtungen, die inzwischen eingegangen wurden und nicht rückgängig zu machen sind.

Die einzige für Deutschland stimmige Strategie in diesem Euro-Europa aber muss darin bestehen, die Politik der ständigen Hilfsaktionen, via Rettungsfonds oder über die Notenbank, also die Sozialisierung von Schulden zu beenden und zurückzukehren zu einem ehernen Grundsatz vernünftigen Wirtschaftens: der Einheit von Risiko und Haftung, wie sie in Maastricht festgeschrieben wurde. 

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