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The Oscar goes to … Schwabing - The Oscar goes to … Schwabing

Vom Wissenschaftler zum Unternehmer: Der Münchner Reimar Lenz ist ein Pionier der Digitalfotografie. Höhepunkt seiner Karriere war Anfang des Jahres der Gewinn des Academy-Awards für die Erfindung eines Filmscanners.

Evelyn Runge

Autoreninfo

Evelyn Runge, Dr. phil., forscht an der Hebrew University of Jerusalem, Israel, zu den Produktionsbedingungen des digitalen Fotojournalismus. Als Journalistin veröffentlicht sie u.a. in Frankfurter Allgemeine SonntagszeitungDie Zeit/Zeit OnlineSüddeutsche ZeitungDer Spiegel/Spiegel Online. 

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Auch wenn die Ainmillerstraße in München einst die Adresse vieler berühmter Bewohner wie Wassily Kandinsky, Thomas Mann oder Paul Klee war, stellt man sich den Arbeitsplatz eines deutschen Oscar-Preisträgers anders vor. Aber Reimar Lenz ist ein bescheidener Mensch. Sein Unternehmen ist im Hinterhof einer ehemaligen Schwabinger Künstlervilla untergebracht. Das Firmenschild „Dr. Lenz Videometrie“ am Eingang, knapp über dem Boden angebracht, übersieht man leicht. Passanten kämen nie auf die Idee, dass hier einer der weltweit erfolgreichen Pioniere für Digitalfotografie arbeitet. Lenz entwickelt im gemeinsam mit seinem Bruder Udo geführten Unternehmen modernste optische Technik und erwirtschaftet seit Jahren Millionenumsätze. Bisheriger Höhepunkt seiner Karriere: Im Februar dieses Jahres wurde Lenz mit dem technischen Oscar ausgezeichnet. Aber auch die weltberühmte Goldfigur, die er für die Entwicklung eines digitalen Filmscanners erhielt, steht eher versteckt auf einem Regal in Lenz’ Büro. Angefangen hat alles auf einer Konferenz in Kyoto 1988. Lenz, damals Habilitand an der TU München, betrachtete ein Poster über Satellitentechnik: Dort wurde erklärt, dass es Monate dauern kann, bis die Flugkörper auf ihren Umlaufbahnen erneut dasselbe Gebiet überfliegen. Jedes Mal erfassen sie dabei andere Daten, leicht versetzt zu den bisherigen Flugbahnen, und generieren damit neue Informationen. „Das kann ich auch“, dachte Lenz. Und so wurde die Idee der Mikroverschiebung geboren. Man könnte, so kalkulierte der Ingenieur, die Auflösung der damaligen Digitalkameras dadurch vergrößern, dass sie jedes Bild mehrfach aufnehmen, jeweils um Bruchteile eines Bildpunktes verschoben, ähnlich wie der Satellit. Wenn man dann die Verschiebung anschließend rückgängig machte und alle Bilder wieder exakt übereinanderschöbe, müsste man pro Pixel ein Vielfaches an Bildinformationen erhalten. Noch vor Ort machte er sich Notizen dazu und ließ dies von einem Freund schriftlich bezeugen. So konnte er später bei der Anmeldung für ein US-Patent beweisen, wann er die Idee hatte. Selbst sein Doktorvater war zunächst äußerst skeptisch, als Lenz ihm nach seiner Rückkehr aus Japan von seiner Idee erzählte. Die damals zur Verfügung stehenden Digitalkameras erzeugten gerade mal Bilder mit 500 mal 500 Pixeln. Analoge Fotografien kamen auf umgerechnet sechs Millionen Pixel. Lenz ließ sich nicht entmutigen. Ein Jahr bastelte er im Labor der TU München an einem Prototyp. Das Ergebnis war 1989 die erste hochauflösende Digitalkamera mit 20 Millionen Pixeln – ein Wert, den handelsübliche Apparate erst seit kurzem erreichen. Seine Erfindung war gleichzeitig der erste Schritt ins Unternehmertum. „Ich komme eigentlich aus einer Akademikerfamilie“, sagt Reimar Lenz, der bis heute an der TU München als Professor lehrt. Die ersten sechzig Kameras schraubten die Brüder Lenz noch alleine zusammen; mit dem Verkauf generierten sie das Startkapital für ihre Firma von einer Million D-Mark. Der Marktpreis einer Kamera lag damals bei 60000 D-Mark. Die sogenannten Stillbildapparate wurden in der medizinischen Mikroskopie und in der Metallurgie eingesetzt, aber auch in der Produktfotografie, bei Werbung für Autos und Schokolade. Heute steckt Lenz’ Technik in Produkten von Jenoptik, Zeiss oder Leica. Das Bedürfnis, Kameras unter eigenem Namen zu produzieren, hatte der 54-Jährige nie: „Meine Bestätigung ist der finanzielle Erfolg.“ Die Brüder entschieden sich auch bewusst gegen eine Expansion. „Wir wollten nie Personalverantwortung haben, sondern uns auf die technische Weiterentwicklung konzentrieren“, sagt Lenz. Dass seine Idee der Mikroverschiebung auch der erste Schritt zum technischen Oscar der „Academy of Motion Picture Arts and Sciences“ war, ahnte Lenz vor 20 Jahren noch nicht. 2001 fasste er dann allerdings den Plan, seine Ursprungsidee zu nutzen, um Kinofilme gut und günstig zu digitalisieren – diese werden bis heute aus Qualitätsgründen analog auf 35mm-Film gedreht. Er investierte 800000 D-Mark und vermerkte damals: „Das Ziel ist eher der Gewinn des technischen Oscars als der kommerzielle Erfolg.“ Heute ist er selbst überrascht über diese klare Formulierung. Gemeinsam mit der Firma Arnold & Richter Cine Technik, kurz Arri, entstand daraus der Filmabtaster „Arriscan“. Herzstück des Apparats ist der von Lenz entwickelte Bildsensor Alev, den er nach seiner Tochter benannt hat. Es ist der einzige Scanner, der Filme ohne Datenverlust digitalisiert. Heute werden etwa 70 Prozent aller Hollywoodfilme digitalisiert, davon zwei Drittel mit dem Arriscan. Insofern hat am Ende sogar beides geklappt: Der Arriscan bringt Geld. Und Anfang des Jahres erfuhr Lenz aus einem Brief der Academy, dass sich auch der Traum vom technischen Oscar erfüllen sollte: Reimar Lenz und die Arri-Mitarbeiter Michael Cieslinski und Bernd Brauner nahmen die goldene Trophäe im Februar in Los Angeles entgegen. Bedenkt man, dass neben Lenz und der Arri-Gruppe auch die Produzenten von „Das Leben der Anderen“ in Schwabing sitzen, ist das ehemalige Bohème-Viertel Münchens offenbar doch ein gutes Pflaster für Oscar-Preisträger.

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