Künstliche Intelligenz und Arbeitswelt - „KI wird eine kritische Rolle für den Erfolg von Unternehmen spielen“

Das Thema Künstliche Intelligenz polarisiert. KI-Experte Björn Bringmann spricht über die Veränderungen, die die Arbeitswelt in den nächsten Jahren erleben wird, und erklärt, wieso der Erfolg eines Unternehmens künftig von der Nutzung von KI und der Qualifizierung der Mitarbeiter abhängt.

Ausstellung „SHIFT. KI und eine zukünftige Gemeinschaft“ im Kunstmuseum Stuttgart / dpa
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Autoreninfo

Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

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Björn Bringmann leitet das AI Institute bei der Management- und Strategieberatungsfirma Deloitte und fokussiert sich auf die strategische Beratung und praktische Anwendung von KI im Rahmen der digitalen Transformation. Er verfügt über mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung in Forschung und Beratung zu Künstlicher Intelligenz und ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen sowie als Speaker zu KI international aktiv.

Herr Bringmann, oft ist die Rede davon, dass KI unsere Arbeitswelt verändern wird. Doch was genau ist KI, und welche Arbeiten kann sie übernehmen?

KI ist eine intelligente Form der Automatisierung, die zum einen sehr große Datenmengen verarbeiten und gut mit Unschärfen umgehen und zum anderen nicht explizit durch Regeln, sondern implizit durch Beispiele „programmiert“ werden kann. Damit eignet sich KI zunächst insbesondere für repetitive Aufgaben und solche Aufgabenstellungen, bei denen große Datenmengen verarbeitet werden müssen. Zugleich erlaubt der Einsatz von KI, dass sich die Mitarbeiter vermehrt auf komplexe und wertschöpfendere Tätigkeiten konzentrieren können – einschließlich und insbesondere Tätigkeiten mit hoher Sozialkomponente.

Sprich, KI wird den Menschen viele „einfache“ Arbeiten abnehmen?

Eines ist sicher: KI wird zu einem „work redesign“ führen beziehungsweise bietet das Potenzial für ein solches. Aktuelle Rollenprofile sind oft eine Kombination aus ungleichwertigen einfachen und komplexeren Tätigkeiten. Die ganz bewusste Einbeziehung von KI bietet das Potenzial, Rollen nochmal ganz anders zu schneiden und durch die „kollektive Intelligenz“ von Mensch und Maschine zu signifikanten Produktivitätssteigerungen beizutragen.

Das sind ja gute Neuigkeiten. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels bietet KI uns also viele Chancen?

Björn Bringmann / Deloitte

KI kann zur Effizienzsteigerung oder Personalisierung eingesetzt werden und dabei Arbeitsplätze kosten und zugleich auch schaffen. Darüber hinaus bietet KI natürlich eine Chance, die Auswirkungen des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels zu mildern. Wir haben tausende von Entscheidern weltweit in verschiedenen Studien über Jahre zu KI befragt: Schon vor gut einem Jahr sagten 94% der über 2600 Befragten aus aller Welt, dass KI in den nächsten fünf Jahren eine kritische Rolle für den Erfolg ihres Unternehmens spielen wird. In einer jüngeren Umfrage mit über 2800 weltweit Befragten gehen 72% davon aus, dass generative KI ihre Mitarbeiterstrategie in den nächsten zwei Jahren ändern wird. 36% der Befragten führen Mitarbeiter durch Trainings an die neue Situation heran. Wir sehen hier: Es werden durchaus starke Einflüsse von KI auf die Arbeitswelt erwartet, und die Vorbereitungen dazu sind bei vielen schon voll im Gange.

Was glauben Sie: Ist KI für unsere Arbeitswelt also eher Segen oder Fluch?

Die Einführung von KI, in erster Linie ein enormes Werkzeug, wird die Arbeitswelt verändern – so wie das andere Allzwecktechnologien auch getan haben. War die Einführung der Dampfmaschine oder des Computers Fluch oder Segen? Mit der breiten Nutzung der Elektrizität haben wir unter anderem auch günstige, allgegenwärtige und vielseitige Beleuchtung – vom Beruf des Laternenanzünders spricht man hingegen nicht mehr. Den Telegraphen hatte vor der Elektrizität niemand erahnt. Computer haben ganz neue Arbeitsfelder geschaffen und fast alle Bereiche positiv befruchtet. Aber sie haben auch Berufe wie etwa die Setzer in Druckereien arbeitslos gemacht und mehr als nur den Beruf des Softwareentwicklers geschaffen. 

Langfristig wird KI aufgrund der vielfältigen Nutzenpotenziale sicherlich so gut wie ausschließlich als Segen wahrgenommen – ähnlich wie die früheren einschneidenden technologischen Veränderungen wie Dampfmaschine und Internet. Voraussetzung ist, dass ein paar Spielregeln wie zum Beispiel die Grundsätze digitaler Ethik eingehalten werden. Kurzfristig wird diese Änderung in Einzelfällen auch Unangenehmes mit sich bringen und dann vielleicht als Fluch wahrgenommen werden. Dies ist aber aus unserer Sicht vor allem durch den vielfältigen Veränderungsgrad bedingt und nicht durch das KI-Potenzial selbst.

Werden – wie oft befürchtet – durch die flächendeckende Einführung von KI Berufe wegfallen?

Verschiedene Studien sprechen davon, dass circa 80% der Berufe von KI oder generativer KI betroffen sein werden und somit kleineren oder größeren Änderungen ausgesetzt sind. Nach einer Studie von Goldman Sachs ist insbesondere bei administrativen Tätigkeiten, aber auch im Rechtsbereich oder Berufen, in denen viele Texte geschrieben und gelesen werden oder mit Daten gearbeitet wird, einige Automatisierung durch KI möglich. Entsprechend ist in solchen Berufsbildern mit vielen Veränderungen zu rechnen. 

Grundsätzlich sind allerdings bei Fragen dieser Art zwei wichtige Punkte zu beachten: Zum einen bestehen alle Berufe und Jobs aus einer Menge an Aufgaben und Tätigkeiten, von denen KI längst nicht alle, sondern nur spezifische übernehmen kann. Zum anderen hat der Mensch weiter die entscheidende kritische Rolle als Treiber und trägt als Entscheider die Verantwortung. Die Vorstellung von menschenleeren Firmen und verwaisten Abteilungen halte ich für übertrieben.

 

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Es erfolgt also dauerhaft eine Ausdifferenzierung von Tätigkeiten, die KI übernehmen kann. Sie gehen also davon aus, dass KI einzelne Tätigkeiten automatisieren, aber keine Berufe gefährden wird?

Auch hier gilt, dass eher einzelne Tätigkeiten sicher sind und weniger ganze Jobs. Letztere werden sich in vielen Fällen mehr oder weniger stark ändern, weil einige dieser Tätigkeiten mit KI intelligent automatisiert werden können. Hier lohnt sich ein Blick auf das Moravecsche Paradox: Demnach lassen sich Aufgaben, die hochrangiges Denken erfordern, überraschend einfach automatisieren: Niederrangige Fähigkeiten, die von Menschen ohne große Denkaufgabe durchgeführt werden, stellen Computer beziehungsweise KI-Systeme und Forscher, die daran arbeiten, vor große Herausforderungen. Dies kann man auch in der oben erwähnten Goldman-Sachs-Studie sehen, die den Einfluss von KI auf das Handwerk als sehr gering einstuft.

Wie vertrauenswürdig sind von KI ausgeführte Tätigkeiten? Denn auch KI liefert nicht immer perfekte Ergebnisse.

Das Halluzinieren der KI, auf das Sie vermutlich anspielen, ist in der Tat ein interessantes Phänomen der generativen KI, das sich einschränken, aber vermutlich nicht völlig abschalten lassen wird. 

Das Besondere an KI-Systemen ist unter anderem, dass diese in der Lage sind, mit unterspezifizierten Situationen umzugehen und mit Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten. Eine KI kann zum Beispiel eine genauere Wettervorhersage erstellen als ein Mensch oder als die „alten“ Systeme. Dennoch ist manchmal Regen vorhergesagt, und dann scheint doch die Sonne – eine hohe Regenwahrscheinlichkeit ist eben keine Regengarantie. Wenn solche komplexen, aber wertschöpfenden Systeme eingesetzt werden, ist es sicherlich sinnvoll, bestimmte Grundsätze und Spielregeln im Vorhinein zu verankern – Stichwort digitale Ethik. Ebenso wichtig ist es, menschliche Kontrollinstanzen mitzudenken und die Einrichtung entsprechender Kontrollmechanismen zu gewährleisten.

Also sind KI-ausgeführte Tätigkeiten nicht immer fehlerfrei, und ein kritischer, menschlicher Blick auf KI-generierte Ergebnisse lohnt sich weiterhin. Kehren wir zurück zu den Veränderungen, die KI auf dem Arbeitsmarkt hervorrufen wird. Wird KI Berufe dauerhaft verändern?

Allzwecktechnologien – wobei KI hier die jüngste von gerade mal zwei Dutzend Erfindungen seit der Entwicklung der gesprochenen Sprache ist – zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie nahezu jeden Bereich einer Volkswirtschaft betreffen. Entsprechend ist auch zu erwarten, dass sich sehr viele Berufsfelder verändern. Es betrifft also nicht nur Journalisten, welche die Technologie zum Beispiel für Recherche und schreibende Tätigkeiten einsetzen können, oder Juristen, die damit Verträge entwerfen, sondern auch Schauspieler, die als Digitaler Avatar auftreten können. Oder die Landwirtschaft, wo bereits heute Traktoren verfügbar sind, die autonom die Felder rund um die Uhr mit höchster Präzision bearbeiten können, ohne dass hier die Risiken, die sich aus der Komplexität des Straßenverkehrs in einer Innenstadt ergeben, eine Rolle spielen.

Für Arbeitnehmer bringt das einige Veränderungen mit sich. Müssen wir uns auf kontinuierliche Weiterqualifizierungen einstellen?

Ja, für Menschen heißt das, dass das Thema kontinuierliche Weiterentwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten essenziell wird. Für Unternehmen bedeutet es, dass das vorausschauende, großflächige und kontinuierliche Re- und Up-Skilling der Mitarbeiter verstärkt zum Wettbewerbsvorteil werden wird. Daher bieten wir unseren Kunden und auch intern Schulungen für KI an, die bisher fast die Hälfte der Mitarbeiter schon absolviert hat. Die wenigsten Berufe verschwinden über Nacht, sondern entwickeln sich weiter – so wie Schneider ursprünglich Kleidungsstücke mit der Hand gemacht haben, später mit Nähmaschinen, und heute eher Reparaturen durchführen, da Kleidung nahezu vollautomatisch hergestellt werden kann. Einzelne Aufgaben von Berufen werden schrittweise automatisiert, so dass sich die Berufe weiterentwickeln, die Menschen neue Werkzeuge erhalten, die sie lernen müssen und dadurch produktiver werden. Daher ist es bei KI durchaus sinnvoll und auch spannend, sich damit zu beschäftigen, wie man die Technologie nutzen kann, anstatt zu hoffen, die Änderungen durch diese Technologie aussitzen zu können.

Wäre hier eine staatlich unterstützte Weiterqualifizierungskampagne nicht sinnvoll? So ließen sich Arbeitnehmer und die Wirtschaft auf KI-initiierte Veränderungen vorbereiten.  

Der Staat kann sicherlich dabei helfen, die Grundlagen zu schaffen, um Weiterbildung zu ermöglichen und die neue Technologie einschließlich der damit verbundenen Risiken und ethischen Fragestellungen in die Grundbildung zu integrieren. Insofern ist die Integration von KI beziehungsweise generell IT-relevanter Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne der Grundbildung in die Bildungspläne der Grund- und der weiterführenden Schulen sicherlich noch erheblich ausbaufähig. Auch die Schaffung neuer sowie zielführender Veränderung IT-naher Ausbildungsberufe sollte hier stärker forciert werden. Generell liegt es aber zunächst an den Bürgern und an den Unternehmen, sich selbst weiterzubilden. Der Vergleich mit einem Führerschein und einer Fahrschule liegt nahe – ersterer wurde durch den Staat als Standard eingeführt, dennoch sind Fahrschulen nicht staatlich.

Wie stehen wir in Puncto KI-Fachkräfte da? Verfügen wir über ausreichend Fachkräfte, um den digitalen Wandel zu gestalten?

Aktuell fehlen diese Fachkräfte nicht nur in Deutschland. Daher sollten einerseits in den naheliegenden Ausbildungsgängen in Deutschland entsprechende Fähigkeiten stärker als bisher berücksichtigt werden. Andererseits ist auch das „Akquirieren“ von Fachkräften aus dem Ausland ein wichtiger und kritischer Teil, um den digitalen Wandel hierzulande zum Erfolg zu führen und damit langfristig unseren Lebensstandard zu erhalten beziehungsweise weiter vorwärtszubringen.

Wird der Mensch durch KI überflüssig?

Unsere Studie kann dies nicht beantworten und will es auch nicht. Aber Angst ist auch hier ein schlechter Ratgeber. Ich rate eher zu neugieriger Offenheit. Denn überflüssig werden wir Menschen in den meisten Berufen sicher nicht, doch es wird vieles ändern, was einerseits Fortschritt bringt und andererseits Weiterbildung einfordert. Warten jedenfalls ist keine gute Empfehlung. Hier passt vielleicht ganz gut das Zitat, das angeblich von Picasso ist: „Computers are useless. They can only give you answers.“ Es muss also erst einmal jemand fragen. Insofern werden Menschen nicht überflüssig.

Das Gespräch führte Ilgin Seren Evisen.
 

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