Naher Osten - „Die arabischen Staaten wollen keinen explodierenden Ölpreis“

Carsten Fritsch, Rohstoff-Analyst der Commerzbank, hält einen starken Anstieg des Ölpreises durch den Krieg in Israel für unwahrscheinlich. Selbst wenn der Westen Sanktionen gegen den Iran durchsetzt, könnte Saudi-Arabien in die Bresche springen.

Blick auf die Khurais-Ölanlage des saudischen Staatskonzerns Saudi Aramco / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Shantanu Patni studiert Osteuropa-Studien an der Freien Universität Berlin. 

So erreichen Sie Shantanu Patni:

Anzeige

Carsten Fritsch ist Rohstoff-Analyst der Commerzbank. Sein Schwerpunkt liegt auf den Märkten für Rohöl und Ölprodukte.

Herr Fritsch, über das Wochenende haben wir bereits einen leichten Anstieg der Ölpreise sehen können. Wird der Preis in den kommenden Tagen steil nach oben schießen?

Wir haben schon in den letzten beiden Tagen gesehen, dass es erstmal nicht weiter nach oben geht, sondern die Preise sich auf diesem etwas höheren Niveau eingependelt haben. Merklich höher zwar als am Freitagabend, aber immer noch unter dem Niveau, auf dem wir vor gut einer Woche waren. Allein die Nachrichtenlage aus Nahost rechtfertigt meines Erachtens nicht, dass der Preis nach oben schießt. Dafür gibt es aktuell noch keine Rechtfertigung.

Was könnte einen derartigen Preisanstieg auslösen?

Es müsste wirklich zu nennenswerten Angebots- oder Lieferausfällen kommen. Es wird zum Beispiel befürchtet, dass arabische Länder ihre Produktion einschränken könnten. Das halte ich für sehr unwahrscheinlich, da es bislang keinerlei Unterstützungserklärung von arabischen Ölförderländern für die Hamas gegeben hat. Im Gegenteil, sie haben sich bedeckt gehalten. Das einzige Land, das sich hinter die Hamas gestellt hat, ist der Iran; wodurch eine Einschränkung des iranischen Ölangebots wahrscheinlich ist. Nicht weil der Iran von sich aus das Angebot einschränkt, sondern weil der Westen die weiter bestehenden Sanktionen wieder strikter durchsetzt, als es in den letzten Monaten der Fall war.

Bevor wir zu den Iran-Sanktionen kommen, noch eine andere Frage: Die Angriffe auf Israel kommen zu einem Zeitpunkt, an dem Saudi-Arabien dabei war, im Rahmen des „Abraham Accords“ seine Beziehungen zu Israel zu normalisieren. Gehen Sie davon aus, dass diese Normalisierung nun vorerst verschoben wird?

Da ich kein Experte für Geo- oder Außenpolitik bin, will ich mich mit Äußerungen diesbezüglich zurückhalten. Ob das unmittelbaren Einfluss auf die Höhe des Ölangebots hätte, sehe ich nicht zwingend. Die Saudis verfolgen eine andere Politik. Sie haben jetzt seit Monaten argumentiert, sie wollen den Ölmarkt stabil halten. Indirekt wollen sie damit das Preisniveau haben, was für sie einträglich ist. Verschiedenen Quellen zufolge benötigen sie einen Preis von rund 80 Dollar pro Barrel für Ihr Haushaltsbudget.

Sie meinen, die arabischen Staaten hätten selbst kein Interesse daran, die Ölproduktion zu drosseln?

Richtig. Sie haben kein Interesse daran, dass der Ölpreis deswegen nach oben schießt. Die Ölminister einiger arabischer Staaten haben erst am Sonntag betont, dass sie einen stabilen Ölmarkt wollen. Das heißt, auch einen stabilen Ölpreis. Ein zu stark steigender Preis hätte für sie eine negative Auswirkung. Wenn dann die Nachfrage gebremst wird oder zurückgeht, dann haben sie gar nichts gewonnen. Zudem heißt ein höherer Preis auch höhere Inflation, höhere Zinsen  was wiederum einen negativen Effekt auf die Ölnachfrage hat. Also es gibt genügend Gründe, die dagegensprechen, das Angebot noch weiter zu reduzieren, um dann einen höheren Preis zu haben.

Die Annahme, dass Saudi-Arabien dadurch einen weiteren Hebel gegenüber dem Westen gewonnen hat, wäre also falsch?

Im Gegenteil, sie könnten sogar, wenn weniger Öl vom Iran an den Markt gelangt, weil der Westen die Sanktionen wieder strikter umsetzt, in die Bresche springen und diese Lücke auffüllen. Der Ölmarkt ist ohnehin aktuell noch unterversorgt. Wenn jetzt noch mal eine halbe bis eine Million Barrel pro Tag aus dem Iran fehlen würden, wäre es eine gute Möglichkeit für die Saudis, das durch eine Ausweitung der Produktion auszugleichen. Als angenehmer Nebeneffekt würden sie damit auch aus den freiwilligen Produktionskürzungen herauskommen, die sie seit Juli umsetzen und aus denen sie bisher keinen Ausweg gefunden haben.

Sie haben Iran schon mehrfach erwähnt. Er steht bekanntermaßen unter umfassenden Sanktionen des Westens…

Seit Herbst 2018, zumindest was Öl angeht. Diese Sanktionen hatten zudem einen sekundären Charakter, betrafen deswegen auch alle anderen Länder. Die Sanktionen  hatten daher über mehrere Jahre dazu geführt, dass der Iran fast kein Öl exportieren konnte. Entsprechend ist auch die Produktion stark zurückgegangen. Aber seit etwa einem Jahr sehen wir, dass die Produktion steigt. In den letzten Monaten sogar deutlich. Es gibt keine offiziellen Zahlen zu den Exporten, aber es gibt verschiedene Quellen, die nahelegen, dass auch die iranischen Ölexporte gestiegen sind. Es ist auch nicht wirklich plausibel anzunehmen, dass Iran auf einmal deutlich mehr Öl selber verbraucht oder deutlich mehr bei sich einlagern kann. Also muss auch mehr exportiert worden sein. Das war aber eben nur möglich, weil die USA und der Westen, was die Sanktionen angeht, wohl ein Auge zugedrückt haben. Wahrscheinlich deshalb, weil der Markt aufgrund der beträchtlichen freiwilligen Kürzungen der OPEC-plus, vor allem Saudi-Arabiens, unterversorgt war und man diese Angebotsknappheit zu verringern suchte. Aber die aktuellen Entwicklungen mit den Gräueltaten der Hamas in Israel und deren Unterstützung durch den Iran stellen diese Strategie in Frage. Die Sanktionen gegen den Iran dürften wieder strikter durchgesetzt werden und entsprechend dann auch weniger Öl aus dem Iran an den Markt kommen.

Der Iran selbst hat kein Interesse daran, seine eigene Produktion zu drosseln?

Im Gegenteil, sie haben Interesse daran, die Produktion weiter zu steigern, um von diesen höheren Preisen zu profitieren, um mehr Öleinnahmen zu generieren. Die Drosselung müsste eben auf Druck des Westens hin erfolgen, indem die weiter bestehenden Sanktionen wieder strikt umgesetzt werden, was in den letzten Monaten offenbar nicht mehr der Fall war.

 

Terror gegen Israel: 

 

Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer möglichen Blockade in der Straße von Hormus. Warum ist die Straße von Hormus so wichtig?

Sie ist deswegen so wichtig, weil durch diese schmale Meerenge zwischen der arabischen Halbinsel und dem Iran etwa 30 Prozent aller seewärtigen Öllieferungen transportiert werden. Bei einer Unterbrechung wären etwa 20 Millionen Barrel pro Tag blockiert. Dann fehlt eine beträchtliche Menge Öl am Markt. Das sollte dann recht schnell zu Anspannungen führen, zum Lagerabbau führen und je nach dem, wie lange die Unterbrechung ist, zu einer weiteren Angebotsverknappung und entsprechend dann auch zu einem recht kräftigen Preisanstieg.

Ist der Iran denn überhaupt in der Lage, so eine Blockade zu verhängen?

Sehr lange würde eine solche Blockade wahrscheinlich nicht andauern, weil die USA oder auch andere westliche Streitkräfte schnell dafür sorgen würden, den Wasserweg  wieder zu öffnen. Aber eine Zeit lang ist es durchaus vorstellbar, und so ein Ereignis wird auch nachwirken. Es würde z.B. die Versicherungsprämien für Öltanker auf dieser Route nach oben treiben. Es gab auch in den letzten Monaten und Jahren immer wieder mal Zwischenfälle, wo vereinzelt Öltanker vom Iran dort aufgebracht, konfisziert und in iranische Häfen geschleppt wurden. Zu Beeinträchtigungen bei der Passage dieser Meerenge ist es also schon gekommen, aber eine Blockade wäre natürlich die Ultima Ratio. Das Risiko sehe ich als eher gering, weil der Iran dann auch selber kein Öl mehr exportieren kann.

Gibt es sonst etwas, worauf wir achten müssen in den kommenden Tagen?

Natürlich die Nachrichtenlage bezüglich des Nahost-Konfliktes. Ob es möglicherweise doch zu Angebotsausfällen von anderen Ölproduzenten kommen könnte, z.B. durch die Beschädigung von Pipelines. Das ist natürlich ein Restrisiko, was dann zu Preisaufschlägen führen würde.

Die Fragen stellte Shantanu Patni. 

Anzeige