Aviv Kochavi (l.), Generalstabschef der israelischen Streitkräfte, begrüßt Generalleutnant Belkhir El-Farouk, Generalinspekteur der königlichen marokkanischen Streitkräfte, in Tel Aviv / dpa

Israel und seine Nachbarn - Sichtbare Zeitenwende in Nahost

Israel hat sich mit vielen muslimischen Staaten verbündet und immer mehr Juden und Muslime setzen gemeinsam ein öffentliches Zeichen gegen Hass, Verleumdung und Antisemitismus. In diesem Gastbeitrag schildert Arye Sharuz Shalicar, Autor und Abteilungsleiter für Internationales im Büro des israelischen Ministerpräsidenten, warum wir derzeit eine Zeitenwende in den jüdisch-arabischen Beziehungen erleben und daraus eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten entsteht.

Autoreninfo

Arye Sharuz Shalicar ist als Sohn persisch-jüdischer Eltern in Göttingen geboren. Er ist Autor, Vortragsredner und seit 2017 Abteilungsleiter für Internationales im Büro des israelischen Ministerpräsidenten. 

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Es ist an der Zeit, das Geschehen im Nahen Osten aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Insbesondere, was Israel betrifft. Denn selbst wenn der Nahe Osten eine Krisenregion ist – und bedauerlicherweise höchstwahrscheinlich bleiben wird – dreht sich nicht alles nur um Hass, Terror und Krieg. Im Gegenteil.

Es sollte mittlerweile kein Geheimnis mehr sein, zumindest für den aufmerksamen Beobachter, dass Israel sich mit vielen muslimischen Staaten verbündet hat. Und immer mehr Juden und Muslime sich sogar öffentlich gemeinsam fotografieren lassen, um ein klares Zeichen gegen Hass, Verleumdung und Antisemitismus zu setzen.

Ganz klar auf einer Seite 

Erst vor zwei Wochen, am 15. September 2022, hat der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Sheikh Abdullah bin Zeyed Al Nahyan, das größte Holocaust-Museum der Welt, Yad VaShem, in Jerusalem besucht, um den Opfern des Holocaust zu gedenken. So ein Schritt, der von vielen Kameras begleitet wurde, war also keineswegs eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Die Symbolik dieser Reise ist kaum in Worte zu fassen. Denn sein Besuch wäre vor wenigen Jahren noch unvorstellbar gewesen.

Die aktuelle Atmosphäre macht derlei und mehr möglich. Ein weiteres Beispiel: Wenige Monate zuvor, am 27. März 2022, besuchten die Außenminister Ägyptens, der Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Marokko – also gleich vier arabischer Staaten – Israel, um der Welt zu demonstrieren, dass man in Bezug auf die Gefahr, die vom iranischen Atomprojekt ausgeht, ganz klar auf einer Seite steht.

Ein riesiger Schritt für jeden Staatschef

Doch auch unabhängig von der hohen Politik und gemeinsamen Sicherheitsinteressen, haben sich in den letzten Jahren viele Brücken zwischen Menschen in Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Marokko entwickelt. Also keinesfalls nur top down, sondern immer mehr auch bottum up. Ermöglicht beziehungsweise angespornt wurde der rege Austausch durch den am 15. September 2020 unterzeichneten Friedensvertrag zwischen Israel und einer Handvoll arabischer Staaten, der den Namen „Abraham Accords“ trägt. Ein Vertrag, der meines Erachtens eine eindeutige Zeitenwende darstellt. 
 

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Es ist der langersehnte Frieden, die langersehnte Annährung, die langersehnte Normalisierung zwischen Israel und zumindest Teilen der arabischen Welt und zwischen Juden und arabischen Muslimen. Im Endeffekt handelt es sich hierbei um eine eindeutige Win-Win-Situation. Denn Beziehungen zwischen Staaten basieren auf Interessen. Ähnlich wie zwischen einzelnen Menschen. Wenn man gemeinsamen Feinden gegenübersteht und/oder sich wirtschaftlich oder kulturell gegenseitig bereichern kann, dann findet sich in der Regel immer ein Weg, sich an einen Tisch zu setzen

Dennoch war der Weg zum Friedensvertrag steinig, denn alle Vertragspartner waren sich bewusst, dass es sich um einen historischen Game-Changer handeln würde. Vom ehemaligen Befürworter eines gesamtarabischen Boykotts des Staates Israel – im Anschluss an den Sechs-Tage-Krieg 1967 – zu einem Friedenspartner: Das ist ein riesiger Schritt für jeden arabischen Staatschef. Ein Schritt, der ohne die Unterstützung aus Washington übrigens höchstwahrscheinlich nicht zustande gekommen wäre.

Kein Grund für Feindschaft

Zu meiner Freude haben mittlerweile sehr viele Muslime akzeptiert, dass Israel nicht ihr Feind ist und die Juden ihnen nichts Böses wollen. Viele Muslime wollen nicht mehr das „An-allem-sind-die-Juden-schuld“- Spiel ihrer Staatsoberhäupter, Prediger oder Nachbarn spielen. Immer mehr Muslime wollen nicht mehr als Marionetten benutzt werden – und wehren sich dagegen. Sie zeigen sich mit vollem Namen und Gesicht, obwohl sie wissen, dass muslimische Extremisten sie beleidigen und bedrohen werden. Sie nehmen es in Kauf.

Arye Sharuz Shalicar
Schalom Habibi / Hentrich & Hentrich

Denn diese Menschen wissen, dass es absolut keinen Grund dafür gibt, dass Juden und Muslime Feinde sein müssen. Und sie sind zu Recht davon überzeugt, dass die Beziehungen zu Israel allen nutzt. Denn nur Israel ist in der Lage, sie in bestimmten Bereichen – allen voran in einer ganzen Reihe modernster High-Tech-Innovationen – ins 21. Jahrtausend zu katapultieren.

Zeichen nicht schwer zu finden

Aufmerksamen Beobachtern wird somit nicht entgangen sein, dass vor wenigen Wochen auf Einladung der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) hochrangige Generäle aus mehreren arabischen Ländern in Israel zu Besuch waren, unter anderem General Belkhir El Farouk, Generalinspekteur der Marokkanischen Streitkräfte (FAR), um an einer Militär-Innovations-Konferenz teilzunehmen, mit dem Ziel, die regionale Sicherheit und Stabilität zu verbessern.

Parallel zum Sicherheitsfaktor, werden auch die wirtschaftlichen Beziehungen verstärkt. Israels Wirtschaftsministerin Orna Barbivai war diesen Monat in Bahrain zu Besuch und traf unter anderem ihren Amtskollegen Zayed bin Rashid Al Zayani in der Hauptstadt Manama, um über ein Freihandelsabkommen zwischen den Staaten zu verhandeln.

Wer die Tage im Zentrum von Dubai oder Casablanca unterwegs sein sollte, der wird mit großer Sicherheit nicht drumherum kommen, laut sprechenden und lachenden israelischen Touristen über den Weg zu laufen. Und positive Kontakte und eine Zusammenarbeit zwischen Juden und Muslimen auf individueller Basis und auf Länderebene sind heutzutage täglich in den Sozialen Netzwerken nachverfolgbar. Israelische Minister, die auf offiziellen Empfängen in arabischen Staaten eingeladen sind, und muslimische Delegationen, die Israel besuchen und darüber posten und tweeten, sind für jeden „Nahost-Experten“ nicht schwer zu finden.

Nur noch eine Frage der Zeit

Jedoch besteht nicht immer das Interesse, diese Entwicklungen, diese Zeitenwende als solche zu bezeichnen. Denn es würde das altbekannte Nahostbild, in dem es eine klare Aufgabenverteilung gibt, zerstören. Das ist bedauerlich, denn man weigert sich teilweise die neue Realität als solche anzuerkennen und beharrt auf einer Wahrnehmung, die in Bezug auf die arabischen Staaten vis a vis Israel eher auf die 70er Jahre zutrifft. Die ersten Zeichen für eine Annäherung sind aber längst sichtbar. Es ist meines Erachtens nur eine Frage der Zeit, bis auch Saudi-Arabien, Indonesien und Pakistan auf den Zug aufspringen und diese Zeitenwende noch sichtbarer machen.

Vom Autor ist jüngst das Buch „Schalom Habibi - Zeitenwende für jüdisch-muslimische Freundschaft und Frieden“ im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen, 164 Seiten, 18 Euro.

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Tomas Poth | So., 2. Oktober 2022 - 16:05

Das macht Hoffnung. Vielleicht kann das beispielgebend für andere Weltregionen sein.

Romuald Veselic | So., 2. Oktober 2022 - 18:30

dass es dabei bleibt. Und es sich weiter verbessern wird.
Die Faschomullahs/Taliban und ihre Büttel und Mordsbuben sind noch immer präsent. Mit Schriften, die Hass, Zerstörung, Vernichtung und Niedertracht schüren. Im Namen ihres Gottes.

Ernst-Günther Konrad | Mo., 3. Oktober 2022 - 11:00

Ein wohltuender Bericht aus der Region der aufzeigt, dass es zwischen Israel und muslimischen Staaten auch anders geht. Sobald die Religion ausgeklammert wird und es nur um geostrategische und wirtschaftliche Interessen geht siegt auch die Vernunft und die Einsicht, das nur friedliches miteinander im gegenseitigen Respekt die Lösung der Probleme sein kann. Ich hoffe von Herzen, dass das nicht nur ein kurzfristiger Erfolg ist, sondern Grundlage eines lang anhaltenden Friedens. Und machen wir uns nichts vor, die Angst vor dem terroristischen Islam ist groß und jeder für sich hat Angst der nächste zu sein. Je größer der Gegner für den Iran, desto schwieriger wird es für ihn. Und das alles hat Diplomatie und zaghaftes Vertrauen in Gang gesetzt, ohne den anderen zu konvertieren. Die religiöse Ideologie ist dem Pragmatismus gewichen, sicher noch auf wackeligen Füßen, den Vertrauen braucht Zeit. Vielleicht kann man den ein oder anderen Staat in die Gemeinschaft holen. Alles braucht Zeit.

Armin Latell | Mo., 3. Oktober 2022 - 11:46

bald so aus: Friede, Freude, Eierkuchen im Nahen Osten. Schön, wenn es so werden würde. Ich kann das aber irgendwie so nicht erkennen.

@A.Latell
Erstens ist von "F.F.E." wie Sie süffisant schreiben nichts zu lesen im von Ihnen kommentierten Artikel.
Zweitens gibt es für jederman klaren Verstandes ganz offensichtlich leider noch genügend Nachbarn Israels, denen das alles ganz und gar gar nicht gefällt - allen voran die "Palästnenser"-Terroristen vom Schlage Hamas und Fatah, die Frieden mit Israel fürchten wie der Teufel das Weihwasser, weil diese Despoten sich dann aus den milliardenschweren Zahlungen aus aller Welt an "die Palästnenser" nicht mehr schön bequem ihre Kleptomanentaschen vollstopfen könnten. Da kommt auch weiterhin noch genügend Gegenwind von diesem und ählichem (Muhlahs...) Terroristengeschmeiß.

Rebeca Bok | Mo., 3. Oktober 2022 - 16:07

um beim AA-Vokabular zu bleiben. Hoffentlich verfolgt der BK (wenn auch nur leise) eine andere Linie als seine AA-Lautsprecher; die Linie von Amikam Norkin und Ingo Gerhartz ... trotz Merkelkontinuität beim MSC-Chef.

Bemerkenswert, wie Indonesia (das früher auch Malaysias Freundschaft mit Israel im Keim ersticken wollte) hier mitbedacht wird; da zeigt sich doch: Die "jungen Künstler" der documenta sind eigentlich die Ewiggestrigen.

Zum "importierten Antisemitismus", noch am Rande: Auch in meiner osteurop. Metropole sind indes ganze Stadtviertel in arabischer und chinesischer Hand; um sich voneinander abzusetzen, werben arabische Lokale mit Israelflaggen im Schaufenster; das arabische Personal lernt eigeninitiativ Iwrit (oder behilft sich mit GoogleTranslator), den israelischen Gästen zuliebe, und erweitert die vertraute Levante- und NY Deli-style Küche mit Ashkenasi Spezialitäten.

Ganz anders als das deutsche AA, hat unser AA am 14.05.18 die USA-Botschaftseröffnung mitzelebriert.