Einigung im Industriestrom-Streit - Der Strommangel bleibt

Die Ampelregierung hat ihren Streit um Hilfen für die energieintensive Industrie beigelegt. Statt direkter Subventionen sollen Steuersenkungen kommen, von denen auch kleinere Betriebe profitieren. Das ist ein guter erster Schritt, löst aber nicht das eigentliche Problem.

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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Die Debatte um die deutsche Energiepolitik ist dermaßen verkorkst und verworren, dass es manchmal schwerfällt die neusten Wendungen nachzuvollziehen. Das hängt damit zusammen, dass sie von Leuten geprägt wird, die sich partout nicht eingestehen wollen, dass ihre vor Jahrzehnten ausgedachten luftigen Ideen am Boden der harten Wirklichkeit scheitern. Und weil sie das nicht einsehen können oder wollen, treiben sie das Ganze immer weiter, erfinden neue Ideen, mit denen die alten gerettet werden sollen. Es wird dadurch immer teurer und immer komplizierter.

Das nur als Vorrede. Nun zur aktuellen Nachricht. Und die ist erstmal eine gute. Die Ampelkoalition hat sich in einem monatelangen Streit um den von Robert Habeck vorgeschlagenen Industrie- oder Transformations- oder Brückenstrompreis, was alles das gleiche meint, auf einen Kompromiss geeinigt. Dass es eine Einigung gibt, ist an sich schon mal eine gute Nachricht. Denn nichts ist für die Wirtschaft giftiger als Unsicherheit über die politischen Rahmenbedingungen.

Wer heute entscheiden muss, wo er eine neue Fabrik baut (beziehungsweise eine alte ertüchtigt, erweitert oder dergleichen), der will wissen, was ihn in diesem Land in den kommenden Jahren erwartet. Die Stabilität des politischen Systems, die Verlässlichkeit der sozialen Marktwirtschaft und die Sicherheit einer funktionierenden Infrastruktur, zu der auch die Energieversorgung zählt, waren mal Standortfaktoren, die für Investitionen in Deutschland gesprochen haben. Inzwischen kommen Zweifel auf, wie lange das noch so bleibt.

Energie zu verknappen, ist wesentlicher Teil grüner Ideologie

Dass die sozialliberalökologische Fortschrittskoalition mitten in einer Energiekrise voll funktionstüchtige Kernkraftwerke, um deren guten Zustand und deren Zuverlässigkeit uns andere Länder beneidet haben und die noch Jahrzehnte hätten laufen können, vom Netz genommen hat, war schwer zu verstehen. Zumal Fachleute (auch innerhalb der Regierung) darauf hingewiesen haben, dass dies einen spürbaren Effekt auf die Strompreise haben wird.

Die Grünen interessierte das nicht. Kein Wunder. Energie zu verknappen und teurer zu machen, ist wesentlicher Teil ihrer Ideologie, die den Planeten vor der Ausbeutung durch seine intelligentesten Bewohner schützen will. Erinnert sei nur an den Wahlkampfschlager von 1998: eine ökologische Steuerreform, die Benzin auf Fünf Mark pro Liter künstlich verteuern sollte.

Milliardenteure Brücke ins Nichts

Nur nachdem jetzt die letzten drei Atomkraftwerke abgestellt waren und Jürgen Trittin vor dem Brandenburger Tor die Erfüllung seines Lebenswerks feierte, merkte sein deutlich jüngerer Parteifreund im Bundeswirtschaftsministerium, dass teurer Strom auch gewisse Probleme mit sich bringt. Und plötzlich forderte er, Robert Habeck, den Strompreis für Chemiewerke, Papierfabriken und andere energieintensiven Betriebe auf sechs Cent die Kilowattstunde zu deckeln. Mit Milliarden-Subventionen aus der Staatskasse. Angeblich nur als Übergangslösung, als magische Brücke in die wunderbare Welt der Erneuerbaren, in der Wind- und Solarstrom wie Milch und Honig fließen.

Doch das ist eine Phantasiewelt. Praktiker aus der Energiebranche und zahlreiche Ökonomen haben darauf hingewiesen, dass Deutschland diese Welt nie erreichen wird. Der Brückenstrompreis führe ins Leere, weil das andere Ende der Brücke nicht existiere, sagte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, nachdem ihr Sachverständigenrat sein neues Jahresgutachten vorgestellt hat, das der deutschen Volkswirtschaft erschreckend geringe Wachstumsaussichten (0,4 Prozent) und gewaltigen Reformbedarf attestiert. Es ergebe keinen Sinn, alte Industrien künstlich am Leben zu halten, die in einer Bundesrepublik ohne Kernkraft und bald auch ohne Kohle ohnehin keine Zukunft mehr haben.

Jetzt soll die Stromsteuer gesenkt werden

Aus der FDP und aus dem Kanzleramt gab es zwar erbitterten Widerstand gegen Habecks Industriestrom-Pläne. Doch klar war, dass die Regierung etwas unternehmen muss. Der politische Druck, von Industrieverbänden, Gewerkschaften und Landesregierungen war enorm. Die Einigung, die man nun gefunden hat, klingt erstmal vernünftig. Es soll keine direkten Subventionen an wenige Stromgroßverbraucher geben, sondern es soll die Stromsteuer für alle Betriebe gesenkt werden – und zwar auf den europäischen Mindestsatz von 0,05 Cent pro Kilowattstunde. Davon profitieren dann auch kleinere Unternehmen, die bei Habecks Konzept leer ausgegangen wären.

Die Großverbraucher, denen der Wirtschaftsminister den Strom heruntersubventionieren wollte, sollen aber noch zusätzlich entlastet werden. Das sind rund 350 Konzerne, die besonders im internationalen Wettbewerb stehen und viel Energie brauchen. Um sie vor der Abwanderung in Länder mit günstiger Energie abzuhalten, will die Regierung eine bereits bestehende Strompreiskompensation für fünf Jahre verlängern und ausweiten. Im Wirtschaftsministerium rechnet man damit, dass sie im kommenden Jahr nur noch einen Strompreis von sechs Cent pro Kilowattstunde zahlen müssen. Das ist also genau der Preis, den Habeck als Industriestrompreis durchsetzen wollte. 

Das Problem ist der Mangel

Kurzfristig wird dieser Kompromiss sicher helfen. Er ist daher zunächst eine gute Lösung, weil er der gesamten Wirtschaft zugute kommt. Langfristig löst er das grundsätzliche Problem jedoch nicht, sondern vertuscht es. Und dieses grundsätzliche Problem ist der durch politische Fehlentscheidungen herbeigeführte Mangel an verlässlichen und wirtschaftlichen Stromquellen. Schon jetzt ist Deutschland nicht mehr in der Lage, an windarmen Wintertagen seinen Stromverbrauch mit eigenen Kraftwerken zu decken. Wir sind dann auf Kernkraftwerke in Frankreich oder Kohlekraftwerke in Tschechien und Polen angewiesen.

 

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Dass FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner neulich den für 2030 vorgesehenen Kohleausstieg in Frage gestellt hat, ist daher vollkommen richtig und nachvollziehbar. Der Aufschrei war zwar groß. Aber alle Regeln der Physik und der Politik weisen darauf hin, dass er Recht behalten wird. Wie schnell die Grünen einknicken, wenn sie an der Macht sind und diese gefährdet sehen, sieht man ja jetzt.

Habeck will an der Macht bleiben

Robert Habeck holt alte Braunkohlekraftwerke zurück ans Netz, um unbeschadet durch den Winter zu kommen. Und hat nun durchgesetzt, dass diejenigen, die besonders viel (Kohle-)Strom verbrauchen, dafür besonders wenig zahlen müssen. Das ist innerhalb der grünen Ideologie eigentlich nicht mehr zu erklären. Es ist reiner Machterhaltungstrieb. Denn Schlagzeilen über massenhaften Stellenabbau in der Stahl- oder Chemieindustrie kann der erste grüne Bundeswirtschaftsminister gerade nicht brauchen. Und bevor er sich mit den innerhalb seiner Partei immer noch einflussreichen Veteranen der Anti-Atom-Bewegung anlegt, riskiert er lieber einen Aufstand der Generation Greta.

Das ist bedauerlich, aber irgendwie auch nachvollziehbar. Weniger nachvollziehbar ist, warum andere politischen Kräfte dabei mitmachen. Die FDP erinnert zwar immer wieder daran, dass der Atomausstieg vielleicht doch keine so gute Idee war. Doch sie spielt das immer teurer werdende Spiel der Grünen mit und schafft es nicht, einen wirklichen Neuanfang in der Energiepolitik zu fordern.

Bei der SPD wiederum scheinen diejenigen, die sich aus Traditionsbewusstsein noch der Arbeiterschaft verpflichtet fühlen, einen großen Bogen um das Thema zu machen. Oder sie hoffen darauf, ebenfalls aus Traditionsbewusstsein, dass doch bald wieder russisches Gas durch die Pipelines fließt. Denn das war ja die bisherige Lösung, die den von Rot-Grün erstmals beschlossenen Atomausstieg und die deutsche Energiewende bis zum Ukraine-Krieg stets begleitet hat: Wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, strömt wenigstens noch das Erdgas.

Richtig zu Ende gedacht war das schon damals nicht. Nur was jetzt noch dazu kommt, ist die neueste grüne Idee: alles auf Elektro. Wir heizen mit der Wärmepumpe, fahren mit dem Batterieauto und in den Fabriken soll möglichst auch alles mit Strom gemacht werden oder über den Umweg „grüner Wasserstoff“.

Es herrschte eine Schockstarre

Dass dann in Deutschland der Strom bald knapp und deshalb teurer wird, war bereits vor dem Ukraine-Krieg absehbar. Ex-BASF-Chef Jürgen Hambrecht, der 2011 Angela Merkels Atomausstieg in einer Ethikkommission abgesegnet hatte, erklärte zehn Jahre später im Cicero-Interview, warum er dies aus heutiger Sicht für einen Fehler hält:

„Die Energiewende wurde unter der Annahme ersonnen, dass der Stromverbrauch gleich bleibt. Die Regierung hat sogar davon geträumt, dass er durch Effizienzmaßnahmen sinken wird. Und jetzt stehen wir vor einer ganz anderen Situation. Mit der angestrebten Elektrifizierung des Transports und der Industrie wird der Strombedarf künftig vier- bis sechsfach so hoch sein wie heute. Allein die chemische Industrie wird, wenn alle Produktionsprozesse auf elektrische Energie umgestellt werden, so viel Strom verbrauchen wie heute ganz Deutschland.“

Hambrecht erkannte also 2021 schon, was durch das Ausbleiben der russischen Gaslieferungen noch verstärkt wurde: 

„Ich habe den Eindruck, dass eine Art Schockstarre herrscht, weil niemand weiß, wie das Dilemma zwischen sicherer, bezahlbarer Energieversorgung und dem Klimaschutz gelöst werden soll. Es fehlt ein an der praktischen Umsetzbarkeit orientiertes Konzept. Die Transformation zur Klimaneutralität ist eine gewaltige Herausforderung, der sich niemand wirklich stellen will.“

Genau so ist es. Aus der Schockstarre ist zwar seit der Übernahme des Wirtschaftsministeriums durch die Grünen panikartige Betriebsamkeit geworden. Aber es fehlt immer noch ein in sich schlüssiges Konzept, das politisch durchsetzbar ist und den Wohlstand unseres Landes sichert statt ihn zu gefährden. Das Stromangebot erst zu verknappen und dann mit Steuererleichterungen (die ja auch gegenfinanziert werden müssen) oder Subventionen und mit politischen Maßnahmen, die gegen Gasheizungen und Verbrennungsmotoren gerichtet sind, den Stromverbrauch zu fördern, ist kein Konzept, sondern Ausdruck von Verzweiflung. 

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