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Hohe Banker-Boni, weniger Wohlstand

Die führenden Wirtschaftsnationen sind sich einig: Nie wieder sollen ihre Volkswirtschaften in die Geiselhaft der Banken geraten. Mehr Stabilität durch bessere Regeln und intensivere Aufsicht, so lautet das auf dem G-20-Gipfel in Pittsburgh beschlossene Ziel. In den kommenden Wochen entscheidet sich, ob die Rhetorik zur Realität wird. Während Experten in Zentralbanken und Regierungen über die richtigen Konzepte beraten, rüstet die Finanzindustrie zur Abwehrschlacht. Denn eins ist klar: Wird mehr Eigenkapital als Sicherheitspuffer notwendig, dann sinken die vom Kredithebel abhängigen Gewinne. Zusätzlich sind Regeln zur Begrenzung der Boni geplant. Die Gehaltsexzesse der Banker würden deutlich gebremst. Das dürfte außerhalb der Geldhäuser freilich niemanden stören. Also argumentiert die Finanzszene mit volkswirtschaftlichen Argumenten: Geringere Gehälter seien im Kampf um die besten Köpfe ein Nachteil, sie würden die Dynamik der Branche bremsen und mithin der ganzen Wirtschaft schaden. Doch das ist ein Irrtum. Eine moderatere Vergütungskultur in der Finanzbranche ist auch ökonomisch sinnvoll. Denn Wall Street, City of London und – in kleinerer Dimension – Frankfurt hatten sich vor der Finanzkrise zu einem schwarzen Loch entwickelt, das immer größere Kohorten der besten Universitätsabsolventen absorbierte. Für Zehntausende von Ingenieuren, Naturwissenschaftlern und Medizinern war der Wechsel in den Trading Room der Banken äußerst lukrativ. Für die Gesellschaften war es ein Verlustgeschäft. Im Idealfall stimmen der private Wert einer Tätigkeit, gemessen durch den Marktlohn, und ihr sozialer Wert, der Wert für die Gesellschaft insgesamt, überein. Doch die Realität sieht oft anders aus. So verliert bei rein spekulativen Wetten im Finanzsystem eine Seite genau den Betrag, den die Gegenseite gewinnt. Der soziale Wert dieser Transaktion ist gleich null. Trotzdem lohnt es sich für eine Bank, ihren besten Köpfen extrem hohe Gehälter zu zahlen. Denn der private Wert ihrer Leistung schlägt voll auf die Bilanz durch. Bei Ingenieuren ist es oft umgekehrt: Früher oder später verbreiten sich ihre Innovationen von einem Pionierunternehmen auf die ganze Industrie. Der soziale Wert ihrer Tätigkeit liegt daher oft über dem in der Entlohnung ausgedrückten privaten Wert. Liegt der private Wert jedoch weit über dem sozialen Wert, dann verschwendet eine Gesellschaft die wertvollste Ressource, ihr sogenanntes Humankapital. Studien belegen diese Schlussfolgerung. Die Ökonomen Thomas Philippon und Ariell Reshef haben ermittelt, dass die Gehälter im Finanzsektor bereits im Jahr 2000 rund 60 Prozent über dem Niveau anderer Wirtschaftszweige lagen. Werden Qualifikationsunterschiede berücksichtigt, bleibt ein Abstand von 40 Prozent. Ihre Kollegen Claudia Goldin und Larry Katz kommen für Harvard-Absolventen auf einen noch extremeren Wert. Die verdienten im Jahr 2006 im Finanzsektor dreimal so viel wie in anderen Branchen, wobei Einflüsse von Fachrichtung, Abschlussnote, Jahrgang et cetera herausgerechnet wurden. Auch die Anziehungskraft des schnellen Geldes auf die US-Elite ist eindeutig: Arbeiteten von den männlichen Harvard-Absolventen der Jahre 1969 bis 1972 nur fünf Prozent im Finanzsektor, so waren es unter den Alumni der Jahre 1988 bis 1992 bereits 15 Prozent. Spätestens seit der Finanzkrise ist klar, dass die scheinbare Höchstproduktivität der Banker tatsächlich nur ein Schein war. In einer Zeit, da fast alle Banken direkt oder indirekt von der öffentlichen Hand über Wasser gehalten werden, gibt es keinen Grund, ihre Gehaltsexzesse weiterhin zu akzeptieren. Durch eine bessere Regulierung des Finanzsektors würde die Kluft zum Rest der Wirtschaft verringert, der Braindrain aus anderen Branchen gestoppt. In den USA wirbt die Vereinigung der Industrieingenieure bereits für eine entsprechende Laufbahnentscheidung junger Absolventen: „Ingenieure produzieren echte Werte durch die Lösung von Problemen, statt durch Spekulation an den Finanzmärkten nur Scheinwerte zu schaffen.“ Sollte es der Politik auf dem nächsten G-20-Gipfel in Toronto gelingen, die Banken an eine kürzere Leine zu legen, bremst sie damit keineswegs den Wohlstand aus. Im Gegenteil: Die Maßnahmen könnten sich als echter Wachstumsimpuls erweisen.

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