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(picture alliance) Carlos Slim im Doppelpack – Der mexikanische Unternehmer mit seiner Wachsfigur

Carlos Slim - Der Kaiser von Mexiko

Sein Vermögen wird auf 74 Milliarden Dollar geschätzt: Carlos Slim ist der reichste Mann der Welt. Allerlei Kartellverfahren lassen „El Ingeniero“ kalt. Seine Unternehmen repräsentieren 9 Prozent der mexikanischen Volkswirtschaft. Die Hälfte aller mexikanischen Aktien gehört ihm.

Es war eine schwer verdauliche Nachricht, die Mexikos Wettbewerbs­hüter kürzlich an América Móvil übermittelten. Die Kartellbehörde CFC verhängte gegen den drittgrößten Mobilfunker der Welt eine Strafe, wie es sie noch nie zuvor in Mexiko gegeben hat. Rund 700 Millionen Euro soll das Telekommunikationsunternehmen zahlen, weil es nach Ansicht der Wettbewerbshüter der Konkurrenz überzogene Gebühren für das Weiterleiten der Anrufe durch seine Netze berechnet.

Viele mexikanische Unternehmen stünden angesichts eines solchen Bußgelds vor der Pleite. Aber América Móvil, Börsenwert knapp 50 Milliarden Dollar, bleibt cool und ruft die Gerichte an. Ein Unternehmenssprecher bezeichnet die Strafe als „willkürlich, opportunistisch und überzogen“. Sollte der Spruch der Kartellwächter wider Erwarten Bestand haben, bleibt ja immer noch der Hauptaktionär des Unternehmens: Carlos Slim. Der bullige Mexikaner von 71 Jahren ist der reichste Mensch der Welt. Sein Vermögen beträgt 74 Milliarden Dollar, wie die Rechenmeister des US-Wirtschaftsmagazins Forbes herausfanden. Alleine im vergangenen Jahr stieg Slims Wohlstand um 20,5 Milliarden Dollar. Das entspricht einem Gewinn von 56,16 Millionen Dollar am Tag. Carlos Slim könnte also in knapp 13 Tagen das Geld für das Bußgeld zusammensammeln.

Kein Wunder, dass ihm die Strafe dann nicht einmal einen Kommentar wert war. Auch das Ende Mai gegenüber Telmex verhängte Verbot, in den mexikanischen Pay-TV-Markt einzusteigen, scheint Slim nicht übermäßig zu stören, einen Angriff der Wettbewerber und der Behörden auf sein gigantisches Vermögen fürchtet er trotz der gegen ihn verhängten wettbewerbsrechtlichen Maßnahmen nicht. „Ich fühle mich nicht verfolgt“, sagte er in einem Interview mit der Financial Times Anfang Juni.

Wer sieht, wie gut Slims Einnahmenmaschine geschmiert ist, versteht seine Gelassenheit. Im Grunde ist es kaum verwunderlich, dass gegen seine Unternehmen kartellrechtlich ermittelt wird, gehören ihm doch große Teile Mexikos.

Slim ist der Geldmeister, die Mexikaner zahlen von morgens bis abends auf seine Konten ein. Sie führen ihre Telefonate über seine Anbieter. Für das Internet nutzen sie Slims Provider. Sie gehen in den Restaurants seiner Ketten essen. Sie schlafen in Betten aus seinen Kaufhäusern. CDs, Konzertkarten, Flugtickets, Krankenhausaufenthalte – immer verdient Slim. Läuft es mal in einer Branche schlecht, dann boomt ganz sicher die andere.

Selbst wenn die mexikanischen Kartellbehörden ernst machen sollten, müsste sich Slim keine Sorgen machen, da er einige seiner besten Akquisitionen in den vergangenen Jahren im Ausland getätigt hat. So erwarb er große Teile der brasilianischen Telekommunikationsbranche direkt nach dem Börsencrash in São Paolo 2002. Er besaß auch vorübergehend 3 Prozent des amerikanischen IT-Unternehmens Apple. Die Aktie stand bei seinem Einstieg bei 17 Dollar, ein Jahr später bei mehr als 100 Dollar. „Früher forderten Eroberer Tribute, heute Dividenden“, sagt Slim gerne in Bezug auf seine Auslandsgeschäfte.

Einmal etwa alle zwei Jahre lädt Slim zu einer Pressekonferenz in den Sitz seiner Investmentbank Inbursa in das exklusive Stadtviertel Lomas de Chapultepec in Mexiko-Stadt. Von hier aus steuert er sein Wirtschaftsreich mit 220000 Angestellten. Nur die mexikanische Bundesregierung gibt mehr Menschen Arbeit.

Auf der Einladung zum Treffen mit den Reportern heißt es extra: Pünktlich sein! Slim selbst kommt 40 Minuten zu spät. Die Wartezeit verkürzen Kellner in weißer Livree. Sie reichen Zitronenbrause und Häppchen, natürlich aus dem Restaurant von Slims Kaufhauskette Sanborns. Aus Lautsprechern rieselt Loungemusik.

Als die Musik verstummt, betritt Slim den Saal, ein kräftiger Mann mit massigem Gesicht, grau meliertem Haar und Schnauzbart. Ihm folgen sechs Männer, Chefs der wichtigsten seiner mehr als 200 Firmen: die Bosse der Slim-Holding Carso, der Telefon-Festnetzgesellschaft Telmex, der Bank Inbursa und der beiden Slim-Stiftungen. Sie alle sind Söhne, Schwiegersöhne oder Neffen. Die Männer repräsentieren mit ihren Unternehmen 9 Prozent des mexikanischen Bruttoinlandsprodukts – 81 Milliarden Dollar. Vier von zehn an Mexikos Börse gehandelten Aktien gehören zu einem von Slims Unternehmen. In der jüngeren Geschichte hat kein einzelner Mensch eine große Volkswirtschaft so sehr dominiert wie Carlos Slim.

Sein Aufstieg ist die Geschichte eines Wirtschaftsgenies, das aus Krisen Kapital schlägt wie kein anderer. Aber es ist auch die Geschichte über Macht und Monopole, wie sie nur in Mexiko zu einer solchen Erfolgsstory wird. Hier teilen sich wenige Mächtige das Land auf, und es gibt niemanden, der sie bremst.

Am 28. Januar 1940 kommt Carlos Slim Helú als fünftes von sechs Kindern auf die Welt. Sein Vater war 1902 aus dem Libanon nach Mexiko eingewandert und hatte mit einem Gemischtwarenladen ein kleines Vermögen verdient.

Carlos Slim eröffnet mit zehn Jahren sein erstes Konto, stellt fest, dass es kaum Zinsen abwirft – und kauft lieber Sparbriefe. Mit 15 bringt er es auf ein Vermögen von 5523 Pesos, heute wären das etwa 350 Euro. Er beginnt zu spekulieren, kauft seine ersten Aktien.

Carlos Slim studiert an der Universität UNAM in Mexiko-Stadt Bauingenieurswesen. Mit 21 schließt er seine Studien ab, bis heute nennt ihn das ganze Land respektvoll „El Ingeniero“.

Er arbeitet zunächst auch in seinem Beruf, betreibt aber nebenbei schon Unternehmensshopping. Er ist 25, da gehören ihm eine Abfüllanlage und eine Immobilienfirma. Die erste Million hat er verdient. Es folgen: ein Zigarettenhersteller mit den Rechten an Marlboro, eine Kupfermine, eine Druckerei. Während des Finanzcrashs zu Beginn der achtziger Jahre investiert Slim, als alle anderen aus Mexiko fliehen. Er kauft zu Billigpreisen eine Stahlfirma, einen Reifenhersteller, Baufirmen, Versicherungen und Hotels, sogar Bäckereien und Fahrradfabriken. Manche Unternehmen bekommt Slim zu 1 oder 2 Prozent des Buchwerts.

Den entscheidenden Schritt zum Superreichwerden macht Slim 1990, als die mexikanische Regierung zahlreiche Staatsbetriebe privatisiert, darunter die Telefongesellschaft Teléfonos de México, Telmex. Slim erhält an der Spitze eines Konsortiums den Zuschlag – für 1,76 Milliarden. Obendrauf gibt es auch noch das Festnetzmonopol für sieben Jahre.

Dieser Deal ist die Lizenz zum Gelddrucken. Heute sind Telmex und vor allem das im Jahr 2000 ausgegründete Mobilfunkunternehmen América Móvil Slims Goldesel. 87 Prozent der Mexikaner telefonieren über Slims Festnetzleitungen. Dazu kommt das Auslandsgeschäft: 225 Millionen Kunden in 18 Ländern Lateinamerikas telefonieren mit América Móvil. Vor zehn Jahren waren es nur 25 Millionen. Nur China Mobile und Vodafone haben mehr Klienten als América Móvil.

Der Ingenieur besitzt zwar den größten Telekommunikationsgiganten Lateinamerikas, hat aber selbst keinen Computer. Seine Treffen mit Reportern kommen ohne Pressemappen und Power-Point-Präsentationen aus. Statistiken und Investitionsvorhaben liest er aus schwarzen Notizbüchern vor. Slim führt eines der rentabelsten Wirtschaftsimperien der Welt wie einen Krämerladen.

Kritische Fragen stellt niemand auf der Pressekonferenz. Jeder weiß, dass der Patron manche besonders wenig mag, etwa diese: Wie kann man 74000000000 Dollar in einem Land zusammensammeln, in dem 50000000 Menschen, knapp die Hälfte der Bevölkerung, unterhalb der Armutsgrenze leben müssen. Reportern, die solche Fragen stellen, schneidet Slim gewöhnlich das Wort ab und verweist auf die Zigtausenden von Arbeitsplätzen, die er schafft. Das sei sein Beitrag zur Armutsbekämpfung.

Einer der wenigen Mexikaner, die sich öffentlich kritisch äußern, ist Juan E. Pardinas. Er empfängt in einem dunklen Besprechungsraum einer großen Villa im vornehmen Stadtteil Polanco und wägt seine Worte mit Bedacht. Pardinas ist Direktor des Instituts zur Förderung des Wettbewerbs (IMCO). Das private Forschungsinstitut wird von dem Teil der mexikanischen Großindustrie finanziert, an dem Slim nicht beteiligt ist.

„Señor Slim kann Märkte revolutionieren, er ist ein ökonomisches Genie“, lobt Pardinas. Der Ingenieur wisse aber auch seine ökonomische Macht einzusetzen. Slim drohe Zeitungen gerne mit dem Entzug von Anzeigen, wenn sie zu viele Annoncen von Konkurrenzunternehmen druckten. „Ohne die Anzeigen von Slims Unternehmen ist so ein Blatt in kurzer Zeit bankrott“, sagt Pardinas. Ähnlich ging Slim kürzlich im Streit um die Durchleitungsgebühren gegen den TV-Konzern Televisa vor. Dieser forderte von Slim die Senkung der Preise für das eigene Telefonangebot. Daraufhin strich Slim für 2011 alle Werbung seiner Firmen bei Televisa, wodurch die Werbeeinnahmen des TV-Multis um 4 Prozent fielen.

Slim schöpft sein Monopol aus und verteidigt es. Wer ihn daran hindern will, den bekämpft er. Schon vor vier Jahren versuchte die Regierung von Präsident Felipe Calderón Telmex zum Senken der Durchleitungsgebühren für Festnetz- und Mobilanbieter zu bewegen. Slim schickte seine Anwälte los: „Wir haben ein derartiges juristisches Chaos geschaffen, dass sich die Regierung am Ende nicht durchsetzen konnte“, erzählte ein früherer Telmex-Anwalt dem New Yorker. Angeblich erwirkten Slims Juristen gegen Manager von Konkurrenzunternehmen sogar Haftbefehle, sodass diese das Land verlassen mussten.

Innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat Mexiko das teuerste und zugleich langsamste Internet. Auch die Telefonkosten sind gemessen am Pro-Kopf-Einkommen nirgends höher. Nach Berechnungen der Kartellbehörde CFC bezahlen Mexikaner 40 Prozent zu viel für Festnetz- und Mobiltelefonie, weil es keinen Wettbewerb gibt.

„Schuld hat der Staat, nicht Slim“, sagt aber selbst IMCO-Direktor Pardinas. „Er ist zu schwach, um gegen diese Mogule vorzugehen.“ Dafür sorgen auch die engen persönlichen Beziehungen zwischen Politikern und Wirtschaftselite. Regierende und Abgeordnete kümmern sich lieber um die Interessen von Freunden und eigenen Unternehmen als um Verbraucherschutz.

Mexiko ist heute nicht mehr ohne Slim denkbar. Aber Slims Aufstieg ist auch nur in einem Land wie Mexiko möglich, das unfähig ist, wettbewerbsfeindliche Wirtschaftsimperien zu verhindern. „Slim ist nur das Symbol für ein weit größeres Problem“, sagt Pardinas.

Auch in anderen Branchen duldet die Politik Monopole und Duopole. Lorenzo Zambrano und sein Weltkonzern Cemex treiben die Zementpreise hoch. Den Fernsehmarkt dominieren Emilio Azcárraga und Ricardo Salinas mit ihren Unternehmen Televisa und TV Azteca. Der Staat tritt mit seinem Mineralölunternehmen Petróleos Mexicanos (Pemex) und dem Stromanbieter CFE selbst als engagierter Monopolist mit zu hohen Preisen auf. Und sogar die illegale Wirtschaft bringt hier Monopol­imperien hervor. Unter den elf mexikanischen Milliardären in der Forbes-Liste findet sich auch Joaquin Guzmán Loera, genannt El Chapo, mit einem Vermögen von einer Milliarde Dollar. Guzmán ist der flüchtige Boss des Sinaloa-Drogenkartells, der mächtigsten Gruppierung innerhalb der mexikanischen Rauschgiftmafia.

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