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Zeremonienmeister des Dunklen

Der amerikanische Weltautor Edgar Allan Poe wurde am 19. Januar 1809 in Boston geboren. In den Genres Kriminalliteratur, Science-Fiction und Horrorstory setzte er Maßstäbe. Seine Lyrik begründete die moderne Poesie. Eine Würdigung.

Dieser Artikel ist bei unserem Kooperationspartner Rheinischer Merkur erschienen. Wäre es vollkommen abwegig, sich Edgar Allan Poe (1809–1849) einmal für ein paar Minuten als einen glücklichen Menschen vorzustellen, der uns in seinem kleinen Cottage in Fordham, heute in der New Yorker Bronx gelegen, empfinge? Als einen Gentleman in den Sechzigern, aus dessen breiter Stirn die weißen Haare schon zurückgewichen sind und dessen Blick bisweilen über den samtweichen Rasen vor den Fenstern schweift, über den blühende Kirschbäume ihre Schatten werfen, während unser Gastgeber mit seiner melodiösen Stimme von den triumphalen Erfolgen auf seiner Europareise spricht. Angesichts des Beifalls aus der Alten Welt hätten sich selbst die „Litterati“ von New York, nun legt sich für Sekunden ein bitterer Ton auf Poes Stimme, mit diesem „Südstaatler“ abgefunden. Das schönste auf dem alten Kontinent aber sei es gewesen – und hier fällt sein Blick auf Virginia, die soeben am Klavier Platz genommen hat –, dass er erleben durfte, wie gut die Schweizer Bergluft den angegriffenen Lungen seiner jungen Frau getan habe. Ein wenig verlegen streicht sich Virginia ihr schon von weißen Fäden durchsetztes schwarzes Haar aus dem noch immer mädchenhaften Gesicht. Dass der Dichter 1836 seine damals erst dreizehnjährige Cousine geheiratet hatte, war seinerzeit Anlass für unschöne Gerüchte gewesen. Doch nun hat auch Virginias Mutter, die Tante, Schwieger- und Ersatzmutter des früh verwaisten Meisters, hat Maria Clemm, den Raum betreten. Sie trägt eine dampfende Teekanne, und während der Hausherr noch sein Gedicht von dem wunderbaren Mädchen „Annabel Lee“ anstimmt, erfüllt dieser Dampf den Raum. Stimmen und Wände lösen sich darin auf, riesige weiße Vögel durchjagen das wolkige Chaos. „Tekeli-li! Tekeli-li!“, gellt ihr Ruf. Von fern her tönen Rabenschreie, klingt ein krächzendes „Nimmermehr“. Und durch die Straßen Baltimores eilt ein Bote mit einem Zettel, den er Poes Freund Dr. J. E. Snodgrass überbringen soll: „Sehr geehrter Herr, hier ist ein Herr im schlimmen Zustand, vor Ryans Wahllokal im 4. Bezirk, der sich Edgar A. Poe nennt und in großer Not zu sein scheint. Er sagt, er sei mit Ihnen bekannt, und ich versichere Ihnen, dass er dringend Hilfe braucht.“ Jede Hilfe kam zu spät. Am 19. Januar 1809 in Boston als Sohn eines Schauspielerpaars geboren, starb Poe am 7. Oktober 1849 im Washington College Hospital von Baltimore. In Neuengland zur Welt gekommen, dank seines Pflegevaters John Allan in den Südstaaten und in England erzogen, eines der größten und eigenwilligsten poetischen Talente seines Jahrhunderts, war er wie ein Hund in der Gosse zugrunde gegangen. Und das nur kurz nachdem er, nach einer schweren Krise, wieder öffentliche Erfolge hatte erleben dürfen und sich mit einer wohlhabenden Witwe verlobt hatte. Virginia, sein Liebling, war freilich schon am 30. Januar 1947 ihrer Tuberkulose erlegen. An den Meister des hochliterarischen Horrors schien sich das Glück nur zaghaft heranzutrauen, und wenn es dann greifbar war, schien jener Dämon die Oberhand zu gewinnen, den Poe 1845 in einer Geschichte den „Imp of the Perverse“, den Geist der Verkehrtheit, genannt hatte. Frühe Traumata eines verschwundenen Vaters und einer früh verstorbenen Mutter mögen eine Rolle gespielt haben, Konflikte mit dem kaufmännisch denkenden Pflegevater, und vor allem auch der Alkohol. Viele seiner Geschichten haben etwas Manisches, Delirierendes, aus dem die Schreie der „Schwarzen Katze“ gellen, aus dem „Das Herz, das nicht schweigen wollte“, dröhnt. Es müssen die schlechtmöglichsten Wendungen des Lebens gewesen sein, die Poe am meisten faszinierten und nicht losließen. Lebendig begraben zu sein („The Premature Burial“, 1844) zählt zu den von ihm am häufigsten variierten Motiven, und es bedurfte dazu gar keines Sarges. Sein „Arthur Gordon Pym“ lässt sich freiwillig in einer großen Holzkiste verstecken, um als blinder Passagier sein Zuhause hinter sich zu lassen. Mr. Valdemar, Held der schauerlichsten seiner Schauergeschichten, bleibt nach dem Tode in seinem durch Hypnose konservierten Körper gefangen, bis dieser Körper geweckt wird und binnen Sekunden verwest. Andererseits hat die Kunst auch die Fähigkeit, Lebensspuren zu bewahren, Leben in sich aufzusaugen, wie in der 1842 publizierten Erzählung „Life in Death“ (Später „The Oval Portrait“), in dem eine schöne Frau stirbt, als ihr Bild vollendet ist. Wenige Monate vor seinem endgültigen Sturz in den Malstrom gestand Poe seiner von ihm „Muddy“ genannten Schwiegermutter, dass er sich wieder sehr betrunken habe: „Es war wegen Virginia“. Ein Schmerz, der einfach nicht schweigen wollte. Seit seiner Kindheit trug Poe auch jenes dilettantisch gemalte Bild mit sich, das seine verstorbene Mutter zeigte. Läge es also nicht nahe, sich Edgar Allan Poe als einen unglücklichen Menschen vorzustellen, dessen Hang zum Morbiden Ausdruck eines lebenslangen Ringens mit dem Tod und der Vergänglichkeit der wenigen war, die er liebte und die ihn liebten? Von der Allmacht des Todes sprechen nicht nur seine Geschichte von der „Maske des Roten Todes“ (1842) und seine Ballade vom „Conqueror Worm“ („Eroberer Wurm“, 1843). Totenstädte, Spukpaläste und Liebe am Rande des Grabes durchziehen sein Werk so tief wie jener fatale Riss die Mauern des Hauses Usher (1839). Und das „Nimmermehr“ seines Gedichts „Der Rabe“ scheint aus dem amerikanischen Schulunterricht nimmermehr wegzudenken. Barocke Vanitas-Bilder wurden hier zum poetischen Baustoff einer literarischen Moderne, deren Impulse dank Baudelaire in Frankreich auf fruchtbareren Boden fielen als in Poes Heimat. Zwischen dem bevorstehenden 200. Geburtstag Poes und seinem 160. Todestag im Herbst bieten Hans-Dieter Gelferts knappe und pointierte Biografie und die von Hans Schmid und Michael Farin besorgte Neuausgabe des „Arthur Gordon Pym“ beste Gelegenheiten, solche Spuren in Leben und Werk des Dichters weiter zu verfolgen. Dank ausführlicher kritischer Kommentare und zusätzlicher Materialien zum „Pym“ haben Schmid und Farin dem Autor posthum beschert, wovon er zu Lebzeiten nur träumen durfte – ein Buch von der Länge eines Romans, den der Meistererzähler und Dichter Poe nie zustande gebracht hat. Ein souveräner Bearbeiter ausufernder Stoffmassen war Poe, das zeigen die zahlreichen Fehler im „Pym“, nicht: Dort verliert der Held den Mastes seines Bootes, um wenig später ein Notsegel daran zu befestigen. Man sieht Poe hier – unbeschönigt und klarer als irgendwo anders – als einen Autor, der schreibend um eine bürgerliche Existenz kämpfen musste, aus der ihn sein Geist der Verkehrtheit immer wieder herausbefördert hat.

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