Westminster-Erklärung - Ein Zeichen gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit

Unterzeichnet von 137 Akademikern, Publizisten und Intellektuellen, warnt die Westminster-Erklärung vor dem „industriellen Zensur-Komplex“. Dass ein Großteil der Medien darüber gar nicht berichten wird, unterstreicht die These der Initiatoren.

Das A und O der Demokratie im Blick: Co-Initiator Michael Shellenberger / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Shantanu Patni studiert Osteuropa-Studien an der Freien Universität Berlin. 

So erreichen Sie Shantanu Patni:

Anzeige

Im Zuge der Corona-Pandemie gerieten die Sozialen Medien in eine Zwangslage. Auf Druck von Regierungen sollten sie Inhalte, die auf ihren Plattformen kursierten, strengeren Kontrollen unterziehen. Die Entscheidung darüber, welche Beiträge als Desinformation zu gelten hatten und somit im Interesse des allgemeinen Gesundheitsschutzes gelöscht gehörten, oblag dabei selbstverständlich den zuständigen Regierungsorganen. Denn sie waren es ja, die von sich behaupteten, im Besitz der Wahrheit zu sein, sodass vorgeblich falsche Analysen und Perspektiven unterbunden werden konnten. Die Plattformen wiederum zeigten sich allzu gerne bereit dazu, die Vorgaben konsequent durchzusetzen. 

Heute muss man wohl sagen, dass die Pandemie nur eine von vielen Situationen gewesen ist, in denen Sicherheitsbedenken auf die Spitze getrieben wurden, um auf diese Weise Einschnitte in die Meinungsfreiheit zu rechtfertigen und einer Meinungs-Monokultur den Weg zu bahnen. Denn auch in anderen Zusammenhängen wurde bereits auf die oben angeführte Argumentation zugegriffen. Man denke nur an die zurückliegenden US-Wahlen, wo immer wieder und eindringlich auf die Gefahr hingewiesen wurde, dass äußere, feindliche Kräfte Einfluss auf die Meinungsbildung auszuüben versuchten. Dabei waren die Sorgen natürlich nachvollziehbar. Die Lösung des Problems aber bestand zumeist darin, mittels verschiedenster Strategien jegliche unliebsame Ansichten aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu schaffen.

Die Ursprünge der Erklärung und ihrer Initiatoren

Einen Höhepunkt erreichte diese Form der Meinungskontrolle im Oktober 2020, kurz vor dem damaligen Urnengang zur US-Präsidentschaftswahl. Die amerikanische Tageszeitung New York Post veröffentlichte damals einen Bericht, in welchem es um die Inhalte eines Laptops ging, der dem Sohn des demokratischen Kandidaten, Hunter Biden, gehört haben soll. Es dauerte nicht lange und Twitter sperrte das Konto der Zeitung. Doch auch andere Beiträge zum Thema wurden gelöscht, und Benutzerkonten wurden zumindest vorübergehend gesperrt. Später stellte sich dann jedoch heraus, dass der Bericht der New York Post nicht nur Hand und Fuß hatte, vielmehr wurde auch deutlich, dass die großen Plattformen auf Anweisung des FBI gehandelt hatten. Der Fall schlug hohe Wellen, zumal das alles wieder mal unter dem Vorwand geschehen war, mit der Unterdrückung von unliebsamen Nachrichten die Demokratie schützen zu wollen. Der Umgang mit der Berichterstattung um Hunter Bidens Laptop soll später Elon Musk sogar dazu veranlasst haben, den involvierten Kurznachrichtendienst Twitter zu kaufen.

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Nachdem dieses spektakuläre Geschäft abgewickelt war, lud Musk diverse Journalisten ein, um mit ihnen die Pandemie sowie die Ereignisse um die US-Wahlen aufzuarbeiten. Dafür erhielten die Journalisten Zugang zu internen Firmendaten, auf deren Basis sie rekonstruieren konnten, wie in der infrage stehenden Zeit mit Entscheidungen über Wahrheit und Unwahrheit verfahren wurde. Unter ihnen waren unter anderem Michael Shellenberger, Matt Taibbi und Bari Weiss. Das Ergebnis ihrer Recherche waren die „Twitter Files“, eine Reihe von Berichten, die detailliert aufzeigten, mit welchen Methoden unerwünschte und problematische Äußerungen unterdrückt wurden. 

Der „industrielle Zensur-Komplex“

Just jene drei Journalisten haben nun unter dem Titel „The Westminster Declaration“ eine Erklärung initiiert, die mittlerweile von zahlreichen namhaften Publizisten, Intellektuellen und Aktivisten unterzeichnet wurde – darunter auch von Julian Assange, John Cleese oder Slavoj Žižek. Ihre Erklärung ist das Ergebnis einer im Juni dieses Jahres abgehaltenen Veranstaltung in Westminster, in der es um das Thema „industrieller Zensur-Komplex“ ging, eine Wortprägung in Anlehnung an US-Präsident Eisenhowers Warnung vor dem „militärisch-industriellen Komplex“.

Die Unterzeichner weisen in ihrer Erklärung darauf hin, dass moderne Zensur nicht nur von Regierungen und Medienplattformen ausgeht, sondern auch von einer Kombination aus NGOs, Universitäten und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft, die ihre Aktionen teilweise sogar untereinander koordinieren. Kritiker des Begriffs „Zensur“ weisen dabei gerne darauf hin, dass es eine solche gar nicht geben könne, solange man die Möglichkeit habe, sich offen über diese Zensur zu beklagen. Dabei ist längst klar, dass die moderne Zensur mit weit subtileren Methoden zu Werke geht als die Zensur des 20. Jahrhunderts. Eine dieser Methoden ist etwa das sogenannte „Shadow-Banning“. Dabei werden Inhalte nicht gelöscht, man zeigt sie nur einfach nicht im Suchverlauf oder auf der Profil-Seite des Users an – und das selbst dann nicht, wenn man den Titel eines Beitrags Wort für Wort in eine Suchmaschine eingibt.

Letzteres etwa war die Methode, die auch gegen Jay Bhattacharya, Martin Kulldorf und Sunetra Gupta zum Einsatz kam. Die drei Epidemiologen aus Stanford, Harvard und Oxford waren im Oktober 2020 die Initiatoren der „Great-Barrington-Erklärung“, einem Plädoyer gegen die damalige Lockdown-Politik der meisten westlichen Regierungen.

Doch der „Schatten-Bann“ war noch nicht alles. Hinzu kam, dass in einem Großteil der etablierten Medien die Erklärung, die die Unterschrift tausender medizinischen Experten und Wissenschaftler trug, schlicht ignoriert wurde. Bis heute ist die „Great-Barrington-Erklärung“ daher weitgehend unbekannt geblieben. Die Tatsache, dass es bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Pandemie ein Gegenmodell zu den dann tatsächlich beschlossenen Maßnahmen gegeben hätte, hat weite Teile der Öffentlichkeit also nie erreicht. Jüngst übrigens hat auch ein Richter im US-Bundesstaat Louisiana Bhattacharya, Kulldorf und Gupta Recht gegeben. In seiner Verfügung stellte er fest, dass Regierungsbeamte die großen Plattformen unter Druck gesetzt hätten, um auf diese Weise die Verbreitung der „Great-Barrington-Erklärung“ auszubremsen.  

Bekommt das die Öffentlichkeit mit?

Unter den geplanten oder bereits verabschiedeten Gesetzen, vor denen die Westminster-Erklärung explizit warnt, sind unter anderem das Hassrede-Gesetz in Irland, das Gesetz gegen Hasskriminalität in Schottland, das Fehlinformationsgesetz in Australien und das Online-Sicherheitsgesetz in Großbritannien. All diese Gesetze haben gemeinsam, dass in ihren Texten mit unzureichend definierten Begriffen gearbeitet wird, die im konkreten Fall einen großen Interpretationsspielraum zulassen. Nicht zuletzt enthält die Erklärung der besorgten Wissenschaftler und Publizisten auch einen Hinweis auf Paragraf 130 Absatz 5 des deutschen Strafgesetzbuches. Laut diesem Paragrafen kann neuerdings die Leugnung oder die grobe Verharmlosung von Kriegsverbrechen bestraft werden.

Am Ende plädieren die Unterzeichner lediglich dafür, das A und O der Demokratie im Blick zu behalten: die Meinungsfreiheit. Denn ohne diese Grundbedingung der offenen Gesellschaft können Entscheidungsträger nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Zudem wäre der Prozess der Entscheidungsfindung nicht demokratisch, solange die Äußerung jeglichen Dissenses grundlegend verdächtig ist. Ein Diskussionsklima, in dem die Träger abweichender Meinungen in der Angst leben müssen, als Störenfriede abgestempelt und sozial ausgegrenzt zu werden, ist der Demokratie nicht förderlich. Meinungsfreiheit ist die beste Verteidigung gegen Desinformation, so die Autoren der Erklärung. Faktenchecker würden ihnen in diesem Punkt vermutlich nur allzu gerne widersprechen. Ob die Kernbotschaft der Erklärung in den Leitmedien aufgegriffen und ernst genommen wird, darauf sollte man allerdings nicht wetten.

Den Text der „Westminster Declaration“ finden Sie hier im englischen Original und in deutscher Übersetzung.

Anzeige