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„Shades of Grey“ - Wenn Sadomaso Mainstream wird

Besitzen Sie eine Reitgerte? Nein? Dann wird es aber höchste Zeit! Denn wer heutzutage ein aufgeklärtes Sexualleben führen will, der nehme sich E. L. James romantischen SM-Porno „Shades of Grey“ zur Hand, verabschiede sich vom Blümchensex und fange an, Klapse zu verteilen

Zugegeben, was sich die Münchner Werbeagentur UNO für das Cover der deutschen Erstausgabe von „Shades of Grey“ hat einfallen lassen, ist ganz nett. Eine purpurne Calla ziert den Umschlag. Die farbigen Blätter sind reliefartig hervorgehoben, sodass man ihre geschwungenen Ränder mit den Fingern ertasten kann. Aus ihnen ragt ein gelblicher, selbstverständlich phallusartiger Blütenkolben hervor, dessen leuchtende Spitze man mit den Augen leider Gottes automatisch fixiert. Ein kreisrunder Ausschnitt darunter gibt den Blick schließlich auf die Umschlaginnenseite frei, auf der der Titel mit dem Zusatz „Geheimes Verlangen“ zu lesen ist. Und wie ein Voyeur fühlt man sich dabei ertappt, durch das verbotene Schlüsselloch dieses samtartig beschichteten Handschmeichlers gespitzelt zu haben, weil man ahnt, was sich dahinter verbirgt.

Damit schreitet man also zur Kasse, an der man ein unnötig verschwörerisches Schmunzeln und eifriges Nicken entgegen nimmt, bedankt sich etwas irritiert und verlässt die Buchhandlung. Und würde der Berliner Sommer kein derartig graues Trauerspiel abgeben, und würde sich das deutsche Feuilleton nicht in passend regenähnlicher Manier seitenweise über diesen Roman ergießen, man hätte den ersten Teil dieser ingesamt 1664-Seiten dicken Trilogie getrost auf seinem Bestseller-Stapel liegen lassen können. In guter Gesellschaft mit Charlotte Roches „Schoßgebeten“, die den Weg aus dem Lager irgendwie zurück in den Laden gefunden haben. Wohl um den mommy porn der 49-jährigen Hausfrau Erika Leonard, die unter dem Pseudonym E. L. James schreibt, artverwandt zu flankieren. Meinetwegen. Außerdem wollen wir ja mitreden. Also bitte, her mit dem bisschen Porno.

Die Geschichte ist schnell erzählt. Eine hübsche und vor allem unerfahrene Literaturstudentin mit dem mehr als Pornobranchen-affinen Namen „Anastasia Steel“ trifft bei einem Interview in Seattle auf ihren künftigen Habitué, den attraktiven, sehr erfolgreichen und etwas älteren Unternehmer Christian Grey, der dem Namen nach wiederum einem Oscar-Wilde-Roman entsprungen sein könnte. Zum ersten Mal in ihrem Leben verspürt die 21-jährige Jungfrau (!) mit der „wunderschönen Alabasterhaut“ ein noch nie da gewesenes sexuelles Verlangen, das fortan von „Mr. Grey“ beziehungsweise „Sir“ gestillt wird. Der (hoffentlich) einzige Grund, weshalb dieser seichte Rosamunde-Pilcher-Plot derzeit ein beinahe schon obszönes Maß an Aufmerksamkeit einfährt, ist die Tatsache, dass Christian Grey eine Vorliebe für sadomasochistische Sexualpraktiken hat. Um bei der viel zitierten Quintessenz zu bleiben: „Ich mache keine Liebe. Ich ficke … hart.“ Und das über 608 lange Seiten.

15 Millionen verkaufte Exemplare rutschten bisher alleine in den USA über die Ladentheke und laufen damit sogar J. K. Rowlings „Harry Potter“ und Stephanie Meyers „Twilight“-Sage den Rang ab. Auf der US-amerikanischen Amazon-Seite belegen die Bände eins bis drei sowie die Sammelbox die ersten vier Plätze der Bestseller-Liste (auf der deutschen Seite steht der erste Band ebenfalls auf Platz eins, zwei und drei folgen auf Platz drei und fünf). Brat Easton Ellis („American Psycho“) soll auf Twitter schon freudig mit den Hufen scharren, er möchte nämlich das Drehbuch schreiben, gerne mit David Cronenberg als Regisseur und für den männlichen Part wurde auch schon eine geeignete Besetzung ausgespäht: Teilzeit-Vampir Alexander Skarsgård aus der eigentlich fantastischen HBO-Serie „True Blood“. (Die Filmrechte liegen in Wirklichkeit längst bei Universal.) Und diese ganze Aufregung nur wegen ein paar Klapsen auf den Po?

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Tatsächlich, noch immer scheint das zentrale Motiv in „Shades of Grey“, der Sadomasochismus, wahrscheinlich für die biedere Mehrheit unter uns unbekanntes Terrain zu sein, eine weit entfernte Fantasie. Dabei ist das facettenreiche Spektrum gelebter Sexualität auch jenseits der Norm (wie auch immer diese Norm aussehen mag) kein Novum, die erotische Literatur gefühlt so alt wie Methusalem. Man denke nur an den Marquis de Sade höchstselbst, der, gefangen in der Pariser Bastille, im Jahr 1785 seine Skizze sadistischer Sexualpraktiken in „Die 120 Tage von Sodom“ niederschrieb; knapp 200 Jahre später skandalträchtig verfilmt von Pasolini. Oder an Anne Desclot, eigentlich Pauline Réage, deren „Geschichte der O“ (1954) von Susan Sontag in ihrem Essay „The Pornographic Imagination“ (1969) als Beispiel für die Legitimation „anspruchsvoller Pornografie“ und damit als eigenständiges literarisches Genre ausgewiesen wurde.

Längst hat die Pornografie und damit auch die an der Figur des Christian Grey statuierte spezielle Neigung für Bondage & Disciplin, Dominance & Submission, Sadism & Masochism, kurz BDSM, Einzug in unsere Gesellschaft gefunden, in den Mainstream. Und wurden etwaige verruchte Schmuddelheftchen früher noch verschämt unter dem Bett gehortet, so finden wir sie heute eben gebunden und gestapelt in jeder halbwegs gut sortierten Buchhandlung. So what?

„Shades of Grey“ kleidet sich bewusst in ein renitent liberales Gewand, präsentiert sich als vermeintlich moderner, als exotischer Gegenentwurf zur gesellschaftlich domestizierten Paarbeziehung. Hier geht E. L. James der viel diskutierten Frage nach, wie sich frei ausgelebte Sexualität heute gestalten lässt, welche Bedeutung sie für den einzelnen hat – doch das in bemerkenswerter Einfalt (vor allem auf sprachlicher Ebene).

Anstatt diese Frage, der bereits Carry Bradshaw jahrelang in ermüdender und vor allem klischeehafter Redundanz nachging, progressiv zu beantworten, präsentiert sie uns einen weichgezeichneten Romantikporno. In dem jede nur mögliche Grenzüberschreitung zuerst demokratisch ausgehandelt und anschließend vertraglich festgelegt wird. In dem in jeder Szene irgendwo ein Kondompäckchen reißt und nach jedem Peitschenhieb zur Not ein Arzt konsultiert werden kann. In dem ein Personal Trainer auf die körperliche Fitness und eine ausgewogene Ernährung achtet, so dass einem bei den anstrengenden Fesselspielchen auch ja nicht schwindelig wird. In dem Christians „harte und doch sanfte“ Erektionen Anas „innere Göttin“, so oft „erschüttern“, „beben“ und „zittern“ lassen, dass die Geschichte kurz vor der Parodie steht. „Wow!“ So wird im Roman, der nach eigenem Bekennen der Autorin ihrer Midlife-Crisis entsprungen ist, jeder noch zu schmutzige Gedanke, jede noch so unartige Triebhaftigkeit im nächsten Atemzug gestriegelt und von einem prüden Über-Ich klinisch steril gemacht.

Dabei stößt das Buch gerade bei Feministinnen die Debatte an, ob Devotheit bei Frauen Gewaltfantasie schürt, oder doch eher einen emanzipatorischen Aspekt innehat, nämlich dahin gehend, sich freiwillig einem Mann beim Liebesspiel zu unterwerfen. So geht es im Roman auch weniger um die sadomasochistische Spannung, die sich in der körperlich praktizierten Gewalt zwischen Ana und Christian in dessen „Spielzimmer“ entlädt. Es geht um Kontrolle, die von beiden Seiten demonstriert wird. Und auch wenn Christian als „Dom“ vordergründig „Herr“ über sämtliche sexuelle Gefälligkeiten zu sein scheint, so reflektiert sich Ana mit dem sich immer wieder einschaltenden „Unterbewusstsein“ – als quasi metafeministische Kontrollinstanz – als selbstbewusste Frau, die so nicht zwingend in Diskrepanz zu ihrer Rolle als „Sub“ stehen muss. Vielmehr werden an der Beziehung zwischen Ana und Christian unterschiedliche Bedürfnisse und Geschlechterrollen statuiert, die Männlein und Weiblein gleichermaßen in einem ständigen Oszillieren zwischen dem Drang nach persönlicher Freiheit und einem willenlosen Begehren zeigen.

Man mag von „Shades of Grey“ halten was man will. Außer Frage steht jedenfalls, dass Erika Leonard, die in diversen „Twilight“-Foren den Nickname „Snowqueen’s Icedragon“ trägt, mit ihrem Roman einen Nerv getroffen hat. Was man ihm außerdem trotz aller Plumpheit zugute halten muss, ist, dass er nicht mehr sein will, als er tatsächlich ist: Harmloses Geplänkel über Sex, ohne sprachliche Höhepunkte. Wer heutzutage also ein aufgeklärtes Sexualleben führen möchte, der sperre seine Duftkerzen weg und sage der Missionarsstellung bis auf unbestimmte Zeit „Ade“. Reitgerten gibt es bei Amazon schon für 3,99 Euro. Zur Not taugt die auch noch als Fliegenklatsche.

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