Portrait - Unter Mördern und Irren

Ein Portrait von Patricia Highsmith zum 10. Todestag

Ihre Katze wäre man nicht gern gewesen. War die erklärte Tierfreundin Patricia Highsmith in ani­mierter Stimmung, pflegte sie ihr Lieblingstier in ein Handtuch zu packen und es darin in derart turbulente Schwingung zu versetzen, dass es, endlich auf dem Boden wieder freigesetzt, orientierungslos umhertorkelte. Auch ihre zweite Herzens-Spezies, die Schnecke, hatte es nicht unbedingt besser getroffen. Begab sich die Autorin suggestiver Thriller und Kurzgeschichten auf Reisen, führte sie in ihrer Handtasche an die zweihundert Exemplare nebst einem Salatkopf mit sich. Musste sie die Grenze in ein mit der Einfuhr von Schnecken nicht sympathisierendes Land überqueren, stellte sie wenigs­tens einige der Tiere unter ihrem Busen vor behördlichem Zugriff sicher. Und wollte sie eruieren, wie sich eine Leiche im Waldboden am besten vergraben ließ, konnten auch schon mal ein paar Schleimfüßler dort zu Nutz und Frommen der Literatur ihre letzte Ruhestätte finden. Miss Highsmith, so viel lässt sich sagen, hatte exzentrische Gewohnheiten.

Ihr Tag begann mit einem Glas Scotch oder Wodka und einer filterlosen Gauloise; außer diesem Kalorien­hieb nahm sie nur minimale Portionen Makkaroni oder Spaghetti sowie hie und da einen Happen Erdnussbutter zu sich. Geschrieben wurde drei bis vier Stunden am Tag im oder doch möglichst nahe beim Bett, jedenfalls im Schlaf­zimmer. Dort befand sich auch ihr Schreibtisch, da­rauf die «Olympia», auf der in unablässiger Folge Romane und Erzählungen, Reportagen, Drehbücher, ein Theaterstück, ein Ratgeber für das Verfassen von Kriminalromanen sowie Rezensionen entstanden – und Gedichte, gewidmet den zahlreichen, einander oft rasch ablösenden Geliebten. So ging der Alltag der Schriftstellerin letztlich nach immer gleichem Muster vonstatten, freilich an wechselnden Orten: in den USA, in Mexiko, in Italien, in England, in Frankreich und zuletzt im Tessin – überall dort ließ sie sich für eine mehr oder minder kurze Frist nieder, immer wieder schienen ihr Leben, ihre Arbeit, ihre Liebe neue Impulse von außen zu verlangen. Rastlosigkeit war ihr Erkennungszeichen. Ihr einziger Stabilisator: das Schrei­ben. Man darf sich Patricia Highsmith nicht als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Und sollte es auch gar nicht: «Ich wurde unter einem unglücklichen Stern geboren», gab sie, fast immer ruppig aufgrund extremer Schüchternheit, zu Protokoll. Von Mutter und Stiefvater im frühen Alter zwischen Texas und New York umhergezerrt und zwischenzeitlich zur Großmutter abgeschoben, enthielt die Geschichte des abgelehnten Kindes für Patricia Highsmith die bündige Erklärung, auf die alles Lebens- und Beziehungs-Unglück ihrer späteren Jahre sich zurückführen ließ. Und nicht wenige, die näher mit ihr zu tun bekamen, priesen sich und ihre Umgebung glücklich, dass schon das Kind Pat einen Aktionsraum für seine wild vagabundierenden Hassgefühle in der Kunst gefunden hatte – immerhin fasste bereits die achtjährige Mary Patricia Plangman den Plan, ihren Stiefvater Stanley Highsmith zu ermorden.

Wie für alles, was das Leben und Schreiben dieser außerordentlichen Schriftstellerin ausmachte – 1991 stand sie sogar auf der Short List für den Literaturnobelpreis –, gibt es freilich auch zu diesem Persönlichkeitsbild noch eine zweite Wahrheit, eine gegenläufige Perspektive. In Andrew Wilsons mitunter bis zum Überdruss detaillierter, Intimstes nach außen kehrender Biografie unter dem Titel «Schöner Schatten» erscheint zu jedem Persönlichkeitsmerkmal der Thriller-Autorin irgendwann jedenfalls immer auch dessen Gegenteil. Neben ihrer allgemeinen Unruhe, ihrem jahrzehntelangen Umherziehen durch Länder und Kontinente, und ihrer eisernen Fixierung auf die literarische Arbeit ist schließlich ihre Ambivalenz, oder, weniger diskret gesagt: die Aufspaltung ihres Wesens in heftig widerstreitende Elemente, die dritte wesentliche Konstante im Dasein der Patricia Highsmith.


Die zwei Gesichter der Miss H.

Die am 19. Januar 1921 in Fort Worth/Texas geborene Tochter einer Illustratorin und Modezeichnerin hätte durchaus auch Malerin werden können. Bis an ihr Lebensende am 4. Februar 1995 mal­te und zeichnete sie (ebenso wie sie schreiner­te, schnitzte und Skulpturen anfertigte). In den fünfziger Jahren illustrierte die Kinderfeindin sogar ein Kinderbuch – ihre damalige Freundin hatte es verfasst: «Miranda the Panda is on the Veranda». Bildende Künstler sowie Menschen, die Gemälde lieben, Männer, die mit Kunst handeln (und sie fälschen), spielen in ihrem umfangreichen Œuvre denn auch eine zentrale Rolle – der Kunstsammler und Maler-Verehrer Tom Ripley, der für gefälsch­te Bilder bedenkenlos über Leichen geht, ist ihre herausragende literarische Figur. In ihm, dem Typus des Dandys, Charmeurs und eiskalten Killers, kulminierte auch ihre eigene Liebe zur bildenden Kunst. Und bei Gelegenheit sah man Highsmith, augenzwinkernd und triumphierend zugleich, auch mal mit seinem Namen unterschreiben.

Absolventin des renommierten New Yorker Barnard College und zwischen ihrem neunzehnten und einundzwan­zigsten Lebensjahr eingetragenes Mitglied der «Young Communist League», war sie ihrem eigenen Verständnis nach (und zumeist auch ihrem Wahlverhalten) eine Libe­rale, rechnete sich im politischen Spektrum der USA mithin zur Linken. Die Eisenhower-Ära mit ihrem aggressiven Konsumismus, ihrer Medien-Versessenheit wie ihrer bigotten religiösen Fassade verachtete sie; die McCarthy-Verfolgungen von Linken, Homosexuellen und Intellektuellen musste sie in allen drei Punkten als tendenziell auch gegen sich selbst gerichtet sehen.

Die Pazifistin Highsmith verabscheute den Korea- wie den Vietnam-Krieg, sie hasste Richard Nixon, fand
Ronald Reagan grotesk und empörte sich in den neunziger Jahren gegen den Irak-Krieg von George W. Bush senior. Die politischen Morde an John F. Kennedy und seinem Bruder Robert entsetzten sie ebenso wie der Mord an Martin Luther King. «Was für eine Welt!», notierte sie, die zu diesem Zeitpunkt schon in Europa lebte: «Was für ein Amerika!» Und doch entpuppte sie sich gerade in diesen Jahren auch als ressentimentgeladene Rassistin, die etwa den Zugang Schwarzer zu den Universitäten für den beginnenden Untergang des gebildeten Amerika hielt. Die Palästina-Politik Israels setzte sie, die seit dem Sechstage-Krieg aus ihrem Antisemitismus immer weniger Hehl machte, mit der versuchten Ausrottung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland gleich.


Coming Out im Stillen

Sie war eine noch bis in ihre späten Jahre hinein in unselig neurosengetriebene Liebesverhältnisse verstrickte Lesbe, die mit fortschreitendem Alter am liebsten großkarierte Männerhemden und Jeans, bei offiziellen Anlässen hingegen edle Hosenanzüge von einem reputierlichen Herren­ausstatter in Manhattan trug. Und doch verachtete Patri­cia High­smith Frauen prinzipiell als schwächliche Männeranhängsel und geistig minderbemittelte Hausmuttchen. Die Frauenbewegung der siebziger Jahre war ihr ein Gräuel. Ihr Idol dagegen: Margaret Thatcher.

In den vierziger Jahren hatte Highsmith ein halbes Jahr lang versucht, sich ihre Homosexualität weganalysie­ren zu lassen, um ihren damaligen Verlobten, den Schriftsteller Marc Brandel, heiraten zu können (der revanchierte sich für das gelöste Eheversprechen mit einem Dreiecksroman, in dessen Zentrum ein lesbisches Paar und ein hilflos um Liebe ringender Mann standen). Highsmiths zweiter Roman «The Price of Salt», der 1952 unter dem Pseudonym Claire Morgan erschien und jahrzehntelang ein Kultbuch und Taschenbuch-Bestseller blieb, entstand zur selben Zeit wie Brandels Rachewerk. Sie erzählte darin – ausgehend von einem eigenen Erlebnis – die Geschichte vom Happy End einer zunächst ganz unwahrscheinlichen Liebesbeziehung zwischen einer gutbürgerlichen verheirateten Frau und der Aushilfsverkäuferin einer Spielwaren-Abteilung. So bewegt jedoch ihr eigenes Liebesleben auch war und so bekannt sie selbst daher als Herzensbrecherin in ihrer Szene – erst 1990 konnte Patri­cia Highsmith es über sich gewinnen, einer Neuauflage des Buches unter ihrem eigenen Namen zuzustimmen. Und selbst dann blieb es gewissermaßen bei einem Coming Out im Stillen.


Ein «Ungeheuer in Beziehungen»

Lebenslang peinlich darauf bedacht, ihre lesbische Identi­tät vor der Öffentlichkeit zu verbergen, wollte sie die für die meisten Highsmith-Aficionados frappierende Publikation keinesfalls kommentieren, obwohl die Enthüllung ihres Lesbisch-Seins ihrem Ruf zu diesem Zeitpunkt gewiss keinen Abbruch mehr getan hätte. Wohl vertraut im schreibenden Umgang mit Tod und Teufel, sah sie Morde als Faszinosum, und auch sonst schreckte sie so schnell vor keinem Tabubruch zurück. Galt es aber, den Anschein von Sitte, Anstand und Wohlverhalten zu wahren, war und blieb sie ganz die konventionelle Texanerin.

Eine Freundin nannte das eruptive Widerspruchsbündel Highsmith rückblickend ein «Ungeheuer in Beziehungen», das mit seinen Putz-, Wasch- und Ordnungszwän­gen auch seine Liebhaberinnen terrorisierte, in schlechter Laune zwei Freundinnen mal eben aus dem Garten eine tote Ratte ins Schlafzimmer schleuderte und überhaupt zu so plötzlichen wie gewaltsamen Attacken neigte. Andere Vertraute dagegen bezeugen neben der notorischen Schüchternheit der Schriftstellerin übereinstimmend
ihre feinen Manieren, ihre Höflichkeit, eine sanfte, wohlklingende Stimme, dazu ihre augenfällige Attraktivität und Eleganz während vieler Jahrzehnte sowie eine liebe­volle Zugewandtheit in Worten und Taten – sogar Großzügigkeit wird der gemeinhin als misanthropischer Geizkragen verschrienen Autorin vereinzelt attestiert: Das «Ungeheuer» hatte offenkundig Erziehung, Stil und, siehe da, ein Herz. Nur konnte keiner sagen, wann und wem gegenüber es sich jeweils regen und wann es diese Regung wohl wieder einstellen würde.

Es gibt keinen Grund, nur jeweils eine dieser beiden gegensätzlichen Sichtweisen für wahr zu halten. Vielmehr scheint es so, als sei ein (sich im Laufe der Jahrzehnte  noch vertiefender) Riss durch diese Person gegangen, der sich nur im Schreibprozess vorübergehend schließen ließ. Nur wenn sie schrieb, war Patricia Highsmith offenbar eins mit sich und konnte dem, was sich in ihrem Inneren bekriegte, auch in der äußeren Wirklichkeit einen sprechenden Ausdruck verleihen.


«Physische Grausamkeit zieht mich an»

Nach alledem kann es kaum verwundern, dass männliche Protagonisten mit abrupt wechselnden, aggressiv vom anderen Besitz ergreifenden Identitäten den Mittelpunkt dieses Werks bilden – Männer, die in nur oberflächlich ka­schierten homoerotischen Beziehungen zueinander stehen, ein Doppelleben führen und zwischen Einbildung und Realität auf die Dauer immer weniger unterscheiden können; die einander belauern und verfolgen, und von denen schließlich der eine zum Mörder des anderen wird.

Die Ambivalenz als Daseins- und Denkform, die die Schriftstellerin in ihrem Alltag oft in Depressionen und Wahnsinns-Ängste stürzte, war nicht nur ihr persönliches Merkmal und ein Kennzeichen ihrer literarischen Figuren. Sie war auch das Grundprinzip ihrer Romane und Geschichten selbst. Schon auf dem College, wo sie Engli­sche Literatur, Creative Writing, Griechisch, Latein und Zoologie belegt hatte und neben Marx und Stalin auch Freud, Dostojewskij, Proust und Poe las, hatte sie sich als Redakteurin der College-Zeitschrift «Barnard Quarterly» eine Möglichkeit geschaffen, ihre eigenen Kurzgeschichten zu veröffentlichen – für Patricia Highsmith stand von Anfang an fest, dass sie Schriftstellerin werden wollte und sonst gar nichts. Aber Realistin war sie immerhin auch. Die junge Intellektuelle im New York der vierziger und fünf­ziger Jahre, die sich mit Kafka, Sartre und Camus beschäf­tigte (und Intellektuelle selbstredend hasste), bestritt fast zehn Jahre lang für 30 $ pro Woche ihren Lebensunterhalt als zunächst fest angestellte, später frei arbeitende Comic-Texterin. Abends und nachts schrieb sie ihre Geschichten, die alsbald auch von großen Zeitschriften angenommen wurden und ihr die Türen zur New Yorker Literatur­szene öffneten.

Schon ihr erster, Ende der vierziger Jahre begonnener Roman-Versuch weist die Konstellation auf, die später dem «Talentierten Mr. Ripley» wie allen folgenden Ripley-Romanen das Gepräge geben sollte: «The Click of the Shutting» war als homoerotische Doppelgänger-Geschichte zwischen zwei Männern unterschiedlicher sozialer Herkunft angelegt, von denen der eine schließlich die Identität des anderen besetzt. Zwei weitere Grundprinzipien standen vor dem öffentlichen Beginn dieser Schriftstellerinnen-Karriere ebenfalls schon fest: Patricia Highsmith wollte unterhaltsam schreiben; und sie wollte Mord-Geschichten mit psychologischem Hintergrund erzählen. «Das Morbide, das Grausame, das Ano­male fasziniert mich», notierte sie in ihrem Tagebuch, «Mord fasziniert mich, physische Grausamkeit zieht mich an».

Während sie sich auf der einen Seite ernst­haft mit Autoren wie André Gide und Eliza­beth Barrett Browning befasste, vertiefte sie sich nicht minder aufmerksam in die Lektüre krimi­nalistischer Trivialromane. Auch die Erzähltechnik des Thrillers, so viel wusste die material­bewusste Kunst-Handwerkerin, musste erst gelernt werden.

Woran Chandler und Hitchcock scheiterten

Mit dem Roman «Zwei Fremde im Zug» fängt dann 1950 alles wirklich an – ein Anfang sogleich mit einem Meisterwerk, mit Fanfarenstoß und Paukenschlag: Seht her, hier ist eine literarische Autorin, die offenbar schon alles kann – und zwar auf dem Gebiet der Literatur ebenso wie auf dem Suspense-Terrain! Die Kritik zeigt sich hingerissen von der so subtilen wie tückischen Geschichte zweier grundverschiedener Männer, deren einer den anderen zu einem Mord über Kreuz verführt und so auch die beiden selbst ins Unheil reißt. Das Buch verkauft sich beachtlich, wird rasch auch nach England und Frankreich weitervermittelt, Alfred Hitchcock erwirbt die Filmrechte, für ganze 7.500 $. Aber obwohl kein geringerer als Raymond Chandler, der Altmeister des Hard Boiled Thriller, für ein Honorar von 2.000 $ pro Woche beauftragt wird, das Drehbuch zu schreiben, will der Umbau vom Buch zur Filmvorlage nicht gelingen: Der altern­de Meisterautor scheitert und wird abgelöst.

So zeigt sich gleich bei ihrem ersten Buch, was sich bei allen folgenden Highsmith-Verfilmungen wiederholen wird – die Romane dieser Autorin sind ohne gravierende Einbußen und schwere Einschnitte in die Vorlage nicht zu verfilmen, mögen die Regisseure nun Alfred Hitchcock oder René Clément, Wim Wenders, Claude Chabrol, Sydney Pollack oder Liliana Cavani heißen. Denn immer erzählt Highsmith so viel mehr, als sich direkt in filmische Dialoge und Aktionen ummünzen ließe. Und immer ist es gerade das Besondere ihres schreibenden Zugriffs, das in der visuellen Bearbeitung verloren geht – ihre Infrage­stellung dessen, was, unter welchen Bedingungen, Kunst ist, was Wirklichkeit, was Projektion; ihre sowohl differenzierende wie schockierend amoralische Sicht auf ethische Grundprobleme; dazu ein sachte, beinah zutraulich lauernder Wahnsinn im Hirn wenigstens eines der Prota­gonisten und, nicht zuletzt, der stets gegenwärtige homo­erotische Subtext.

Anders gesagt: Highsmiths Stoffe wirken in der Verfilmung, die optische Eindeutigkeiten produzieren muss, leicht platt, und auf den Stoff kommt es bei ihr ohne­dies ­nur in zweiter Linie an. Wesentlich ist die Erzähl­weise: der (fast immer gewohnte Wahrnehmungen verzerrende, sie jedenfalls zunehmend irritierende) Blick aus dem Inneren der Figuren auf ihre Wirklichkeit, der den Leser unmittelbar für deren Irr-Sinn vereinnahmt – und die Abwesenheit damit einer nach einfachen, überschaubaren Gesetzen abrollenden Psycho-Logik. Hollywoods Hang zum Happy End, für eine zwischen Manie und Depression hin und her schleudernde Seele wie Highsmith von vornherein nicht konsumabel, tut ein Übriges, ihren Einsichten in eine fast unmerklich aus dem Ruder laufende Rea­lität im Film die Spitze zu nehmen.


Jeder ist zu allem erdenklichen Bösen fähig

Zweiundzwanzig Romane hat Patricia Highsmith zwischen 1950 und 1995 veröffentlicht; mindestens drei weitere wurden begonnen und aufgegeben. Hinzu kamen noch sechs publizierte Erzählungs-Bände sowie etliche weitere Geschichten, die sich im Nachlass fanden. All ihre Inte­ressen, Neigungen, Träume und Begierden aber, alle Obsessionen und nicht zuletzt all ihre mit den Jahren erwor­bene Kunstfertigkeit bündelten sich in den fünf Romanen, in deren Zentrum ihr Alter Ego Thomas Ripley steht. Diese Projektionsfigur begleitet die Autorin von 1955, als «Der talentierte Mr. Ripley» erschien, bis vier Jahre vor ihrem Tod. In Ripleys Entwicklung dürfte im Ablauf von fast vierzig Jahren auch ein Gutteil der schwankenden inneren Zustände Patricia Highsmiths eingegangen sein: Beginnend als smarter junger Kleinkrimineller, der sich mit dem beherzten Schlag eines Ruderblatts auf den Kopf seines Freundes Dickie Greenleaf sowie mittels Fälschung und zeitweiliger Übernahme der Dickie-Identität eines beträchtlichen Vermögens versichert, findet er sich nur we­nige Jahre später als kultivierter Landhausbesitzer in Frank­reich seinerseits der Verfolgung, Verwirrung und Melancholie preisgegeben.

«Jeder ist zu allem erdenklichen Bösen fähig», hatte Highsmith Anfang der fünfziger Jahre in ihren Arbeits­notizen festgehalten – das sollte auch die Richtschnur für die Ripley-Figur sein. Wenn Tom überhaupt einen seiner zahlreichen Morde bedauert, so wäre es gewiss derjenige an Dickie Greenleaf, der ihn selbst unter die Rich and Beautiful katapultierte – eine arge Freundestat. Schon in «Ripley Under Ground» (1970) aber gilt es nur mehr den auf sinistre Weise erworbenen Besitzstand mor­dend zu verteidigen, während der Held in «Ripley’s Game» (1974) unter Höllengelächter zum Auftragskiller an Mafiosi herabsinkt. Dieser äu­ßersten Entfremdung vom eigenen Kultur-Ideal folgt im nächsten Band unvermeidlich Schwer­mut: «Der Junge, der Ripley folgte» (1980), schön, reich und schuldbeladen, ist auch durch einen Tom in Lippen­stift und Fummel sowie einen weiteren Mafioso-Mord nicht mehr zu retten. «Ripley Under Water» (1991) endlich zieht die deprimierende Bilanz: Ein neidbesessener Verrückter nimmt nun Tom Ripley aufs Korn und droht dessen gesamtes Lebensgebäude als Cembalo spielender Kunstliebhaber mit ansehnlichem Besitz und ebenso ansehnlicher reicher Gattin zum Einsturz zu bringen. Ripley kann sich noch einmal befreien. Aber er wird fortan nicht mehr derselbe sein.

Aber auch Patricia Highsmiths Schreibhaltung ihrem Lieblingshelden gegenüber hat sich in ihrem letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Roman verändert. Alles scheint da plötzlich mürbe geworden, die Handlungs-Motive nicht anders als Toms eigene Abwehrkraft. Und der einst so zwingende, den Leser immer wieder an den Rand der eigenen moralischen Grundsätze treibende Blick aus seinen Augen auf die Welt – eisig, abschätzend, den eigenen Vorteil auf Kosten des Lebens anderer suchend –, hat etwas Unstetes angenommen. Haben sich all die Verbrechen doch nicht gelohnt? möchte man fragen, während Tom sich in der letzten Szene des letzten belastenden Beweisstücks entledigt. Welche Verbrechen? hätte der frühere Ripley unverschämt grinsend zurückgefragt. Derjenige des letzten Bandes aber würde nur die Achseln zucken. Und voller Unruhe den nächsten Angriff auf seine geliehene, äußerlich so komfortabel bewohnte Identität erwarten.


Die Welt, aufs Skelett gebracht

Mitten hinein in die Köpfe ihrer Mörder und Irren hat Patricia Highsmith ihre Leser gezogen, und was sie da mit deren Augen sahen, erwies sich als eine Realität mit hohem Irrsinns-Potenzial – eine zutiefst kranke, zerfasernde, selbstzerstörerische Welt. Die mochte durchaus nicht jeder sehen: Patricia Highsmiths Romane waren alles andere als Verkaufsschlager. In den USA gelangten sie zu ihren Lebzeiten über eine Auflage von 8000 Exemplaren nie hinaus, auch in Europa war der Verkauf keineswegs  glorios. Häufig wurde ein Highsmith-Manuskript von mehreren Verlagen abgelehnt, bis einer es, nach etlichen Streichungen, endlich doch noch druckte. Und am Ende ihres Lebens stand die Autorin zum zweiten Mal ganz ohne amerikanischen Verlag da.

Auch die Kritik, die sie ein Jahrzehnt lang gefeiert hatte, zeigte in den sechziger Jahren bereits deutliche Erscheinungen von Übersättigung an ihren «immergleichen Ob­sessionen». Vor allem aber arbeiteten die Rezensenten sich daran ab, dass sie die Romane keinem Genre eindeutig zuordnen konnten. Handelte es sich um Thriller? Um Belletristik? «U» oder «E»? Ambivalent bis in die lite­rarische Form ihrer Werke hinein, hatte die Autorin sich auch hier eine eigene Schneise geschlagen und den mit Grauen und Entsetzen unterhaltenden Roman auf hohem literarischen Niveau zum eigenen Typus erhoben.

Was es ihr bei den Lesern nicht leichter machte, insbesondere bei den amerikanischen nicht. Denn die hatten auch noch hinzunehmen, dass die dunkle Seite von God’s Own Country in diesen Büchern in grellster Beleuch­tung erschien – Romane wie «Tiefe Wasser», «Die gläserne Zelle», «Ediths Tagebuch» oder «Leute, die an die Tür klopfen» stellten innerhalb eines Vierteljahrhunderts die Folgen amerikanischer Politik für die Existenz nicht-konformer, auch nicht passend zu machender Einzelner schonungslos aus. Das war kein schöner Anblick.

Die politische Autorin Patricia Highsmith aber ist auch hierzulande erst noch zu entdecken. Eine Roman­figur wie die im «Zittern des Fälschers» mit dem Spottnamen «WULST» belegte etwa – abgekürzt für «WerteUndLebensStil» – dürfte heutzutage die lebhaftesten Vorstellungen hervorrufen. Wie einem überhaupt angesichts der erzählerisch völlig unangestrengten Rückführung politischer Machenschaften und gesellschaftlicher Gewaltszenarien auf den christlichen Fundamentalismus made in USA in ihren zeitkritischen Romanen heute plötzlich die Augen aufgehen.

Patricia Highsmith, die mit Oscar Wilde dafürhielt, Arbeit sei «keine Realität, sondern eine Möglichkeit, die Realität loszuwerden», hat damit scheinbar gegen ihre Absicht erreicht, was nur großer Literatur gelingt: in ihren Werken einen Blick auf die Wirklichkeit zu installieren, der heute fast noch aktueller, präziser und treffender wirkt als zur Zeit seiner ursprünglichen Fixierung. Die westliche Welt sehen wir skelettiert, entblößt bis auf ihre Funktions­mechanismen. Und erkennen in Tom Ripley den Jedermann der Gegenwart: einen Puppenspieler, hinter feiner Fassade kalt auf seinen Vorteil versessen, den am Ende die eigenen Objekte überwältigen. Und finden uns selbst schließlich als Teil eines realen Entsetzens-Szenarios, wie es uns in den Romanen doch eben erst mit Spannung, Witz und Intelligenz so kultiviert und überaus angenehm unterhielt.

 

Bücher von und über Patricia Highsmith

Der Diogenes Verlag gibt seit 2002 die Werke von Patricia Highsmith in neuer Übersetzung und jeweils mit einem (äußerst informativen) Nachwort von Paul Ingendaay neu heraus. Bereits erschienen sind in dieser Reihe u.a.:

Zwei Fremde im Zug
Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz.
Diogenes, Zürich 2002. 447 S., 21,90 €

Der talentierte Mr. Ripley
Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz.
Diogenes, Zürich 2003. 426 S., 11,90 €

Ripley Under Ground
Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz.
Diogenes, Zürich 2002. 442 S., 11,90 €

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Aus dem Amerikanischen von Matthias Jendis.
Diogenes, Zürich 2003. 403 S., 22,90 €

Der Junge, der Ripley folgte
Aus dem Amerikanischen von Matthias Jendis.
Diogenes, Zürich 2004. 480 S., 21,90 €

Ripley Under Water
Aus dem Amerikanischen von Matthias Jendis.
Diogenes, Zürich 2004. 432 S., 22,90 €

Tiefe Wasser
Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl.
Diogenes, Zürich 2003. 402 S., 21,90 €

Der süße Wahn
Aus dem Amerikanischen von Christa E. Seibicke.
Diogenes, Zürich 2003. 441 S., 21,90 €

Die gläserne Zelle
Aus dem Amerikanischen von Werner Richter.
Diogenes, Zürich 2003. 380 S., 21,90 €

Das Zittern des Fälschers
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren.
Diogenes, Zürich 2002. 386 S., 11,90 €

Der Schneckenforscher. Stories
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren.
Diogenes, Zürich 2003. 275 S., 19,90 €

Lösegeld für einen Hund
Aus dem Amerikanischen von Christa E. Seibicke.
Diogenes, Zürich 2002. 423 S., 21,90 €

Elsies Lebenslust
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren.
Diogenes, Zürich 2004. 476 S., 22,90 €
 

Andrew Wilson
Schöner Schatten. Das Leben von Patricia Highsmith
Aus dem Englischen von Susanne Röckel und Annette Grube.
Berlin Verlag, Berlin 2003. 746 S., 36 €

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.