G7-Trachtenempfang und woke Identitätspolitik - Tracht ist mehr Deutschland als Berlin

Ob ein Empfang der G7-Teilnehmer durch ein Komitee mit bayerischer Tracht angemessen ist, darüber kann man diskutieren. Interessant ist gleichwohl, dass die Kritik daran vor allem aus Milieus kommt, die ansonsten jeden noch so wirren Identitätskram bereichernd finden, deren Toleranz aber abrupt zu enden scheint, wenn beginnt, was sich im weitesten Sinne als „regionale Identität“ bezeichnen lässt. Dabei engagieren sich deutschlandweit mehr Menschen in Trachtenvereinen als in den politischen Parteien.

Empfangskomitee in Tracht: Der bayerische Ministerpräsident begrüßt Südafrikas Staatschef in der Residenz / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Es gibt einiges, das sich dem bayerischen Ministerpräsidenten vorwerfen ließe. Dass CSU-Chef Markus Söder nicht wüsste, welche Stöckchen er hinhalten muss, damit seine Kritiker darüber springen, gehört gleichwohl nicht dazu. Das zeigte sich auch rund um den G7-Gipfel, der zur Stunde auf Schloss Elmau nahe Garmisch-Partenkirchen stattfindet. Söder ließ unter anderem ein bald viel diskutiertes Begrüßungsbildchen in den sozialen Medien verbreiten, auf dem alle Vertreter der G7-Mitgliedstaaten abgebildet waren. Nur einer fehlte: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Außerdem begrüßte er Joe Biden, Emmanuel Macron und andere Gäste explizit in Bayern, nicht in Deutschland, und lobte bei der Gelegenheit das bayerisch-amerikanische Verhältnis, also nicht etwa das deutsch-amerikanische, was vor dem Hintergrund, dass der offizielle Gastgeber Bundesrepublik Deutschland heißt, ein bisschen seltsam wirken mag. Doch weil das für den CSU-Chef noch nicht genug bayerischer G7-Gipfel war, ließ er obendrein ein Empfangskomitee in Tracht auflaufen. Gerade so, als handle es sich bei G7 eigentlich um G8 – mit Bayern als oberstem Gastgeber und Königreich in den Grenzen von anno dazumal.

Söders diebische Freude an der Polarisierung

Die starke Betonung Söders auf das Bayerische dieses Gipfels lässt sich erstens vor dem Hintergrund erklären, dass kommendes Jahr gewählt wird im Freistaat. Deshalb konnte Söder gar nicht anders, als die Gelegenheit zu nutzen, sich als Landesvater zu inszenieren. Die Zeiten, in denen die CSU unangefochten an der Spitze des Freistaats herrschte, sind eben vorbei. Aber die ganze Inszenierung war zweitens auch ein typischer Söder, der eine diebische Freude daran hat, Restdeutschland durch kleine Sticheleien zur Weißglut zu bringen. Wohlwissend, dass er dadurch wiederum positive Resonanz in Bayern bekommt, weil das Bayersein eben immer wichtiger sein wird als inhaltliche Differenzen zwischen CSU-Chef und CSU-Klientel.

Dass sich von so viel Bayern beim G7-Gipfel manch ein nicht-bayerischer Beobachter provoziert fühlte, war freilich einkalkuliert und gewünscht. Und ein bisschen ist der Ärger sogar nachvollziehbar. Sehr wohl lässt sich darüber diskutieren, ob ein Empfangskomitee in Tracht das Bild auf die Bundesrepublik nicht stark verzerrt, weil damit allerlei Klischees bedient werden, die man im Ausland ohnehin von den Deutschen hat. Diesen Ärger kann man klug und humoristisch kanalisieren, wie es die taz mit der Schlagzeile „Endlich indigene Völker bei G7“ getan hat. Oder man reagiert pikiert, schimpft in den sozialen Netzwerken über bayerische Folklore und gibt sich selbst der Lächerlichkeit preis, weil man schon wieder über Söders Stöckchen gesprungen ist.

Was die Pikierten betrifft, ist vor allem dies interessant: Das reine Geschimpfe über den Trachtenempfang kommt primär aus Milieus, die ansonsten jeden noch so wirren Identitätskram bereichernd und unterstützenswert finden. Also von Teilen der Grünen und der SPD etwa, von Spiegel-Redakteuren und selbstverständlich von Leuten, die an irgendeiner Hochschule Gender Studies studieren. Denn sobald es um das geht, was sich vielleicht als „regionale Identität“ beschreiben ließe – wofür eine Tracht ja nur eine Ausdrucksform ist – fürchten die Tolerantesten unter den Toleranten eben schon bei jedem Gamsbart einen Rückfall in dunkle Zeiten. „Welche Gesellschaft soll das bitte abbilden?“, dröhnte es in der Folge vielfach in den sozialen Netzwerken. Eine gute Frage, die eine Antwort verdient. Nur fällt die leider anders aus, als man sich das in weiten Teilen der Berliner Politik- und Journalisten-Blase wünschen mag.

 

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An den Realitäten vorbei

Der Autor dieser Zeilen hat nachgesehen, welchen Stellenwert Tracht in Deutschland eigentlich hat, auch über Bayern hinaus, und das Ergebnis ist aus traditionsbewusster Warte ganz wunderbar: Deutschlandweit sind nach Zahlen des Deutschen Trachtenverbands rund zwei Millionen Erwachsene in Trachtenvereinen aktiv, hinzu kommen gut 200.000 Kinder und Jugendliche, die sich ebenfalls im Sinne des Brauchtums engagieren. Plus all jene freilich, die nicht in solchen Vereinen aktiv sind, aber trotzdem gerne Tracht tragen. Die lederhosene Dunkelziffer, wenn man so will.

Die Liebe zum brauchtümlichen Gewand ist also erstens, anders als von den Immerbessermeinenden suggeriert, mitnichten eine exklusiv bayerische. Und sie ist zweitens kein folkloristisches Randphänomen, sondern de facto ein Massenphänomen, dem sich weit mehr Menschen auf Vereinsebene verpflichtet fühlen, als alle Parteien dieses Landes zusammen Mitglieder – oder die üblichen Verdächtigen Follower – haben. 

Eine Antwort auf die Frage also, welche Gesellschaft trachtentragende Bayern eigentlich abbilden sollen, lautet: Tracht ist jedenfalls mehr reales Deutschland als vieles andere, das in gewissen Milieus anno domini 2022 als „deutsche Gesellschaft“ gewünscht und propagiert wird. In halbseidenen Artikeln, in identitätspolitischen Gesetzesentwürfen oder auf den bunt-diversen Plakaten der Werbeindustrie. Einfach deshalb, weil sich nach wie vor deutlich mehr Menschen, sagen wir, für Heimatlieder aus dem Stegreif interessieren als dafür, auswendig zu lernen, wie viele Geschlechter es mittlerweile in Wokehausen geben soll.

Einfach weitermachen

Die übergroße Mehrheit nutzt keine Gendersternchen, sie beschäftigt sich auch nicht mit irgendwelchen Critical-Whiteness-Theorien, die junge Student*innen aus den USA importieren, und der Großteil des Landes ist trotz des linksgrünen Zeitgeistes, mit dem tagtäglich vorwurfsvoll auf ihn geschossen wird, mit sich selbst im Reinen. Vor allem in Bayern, wie der Autor aus eigener Erfahrung zu berichten weiß, aber ganz sicher nicht nur dort. Einfach deshalb, weil sie nicht in Berlin wohnen, seriösen Jobs nachgehen und das Wochenende lieber im Vereinsheim als bei zeitgeistkorrekten Poetry Slams verbringen. Die gute Nachricht ist also: Nicht ein einziger Trachtenliebhaber wird sein Gewand an den Nagel hängen, bloß, weil sich irgendeine Minderheit davon getriggert fühlt. Dafür sind es einfach noch zu viele.

Apropos: Wirklich folkloristisch war am Wochenende ohnehin etwas anderes. Nämlich die nur rund 1000 Demonstranten, die in Garmisch-Partenkirchen in alt-linker Manier gegen G7 demonstrierten. Das Symbol der DKP war dabei häufiger zu sehen, von einer ukrainischen Flagge dagegen keine Spur. Da muss man sich schon fragen, welche linke Protestgesellschaft das eigentlich abbilden soll?! Vielleicht mal schauen, was die vom Spiegel twittern. 

Noch nicht genug polarisiert? Dann hören Sie doch den Cicero-Podcast mit Ex-Bild-Chef Julian Reichelt.

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