Schule - Kulturkampf um die richtige Unterrichtskultur

Seit Jahren werden die Lernleistungen unserer Schüler schlechter. Neben der größer gewordenen Diversität in den Klassenzimmern gibt es noch eine andere Ursache: Ein Kulturkampf gegen erfolgreiche Lernmethoden untergräbt das Leistungsprinzip.

Immer noch die beste Lernmethode: der vielgeschmähte Frontalunterricht / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Rainer Werner unterrichtete an einem Berliner Gymnasium Deutsch und Geschichte. Er verfasste das Buch „Fluch des Erfolgs. Wie das Gymnasium zur ,Gesamtschule light‘ mutiert“.

So erreichen Sie Rainer Werner:

Anzeige

Als ich an einer Berliner Schule einen Vortrag über besonders effektive Lernmethoden hielt, ging es in der anschließenden Aussprache hoch her. Vor allem junge Kollegen fielen über mich her, weil ich das vom Lehrer gelenkte Unterrichtsgespräch als eine besonders wirkungsvolle Unterrichtsmethode gelobt hatte. Was ich zum Besten gegeben habe, sei Old School im wahrsten Sinne des Wortes. Frontalunterricht sei undemokratisch und schülerfeindlich. Nur die schülerzentrierten Lernmethoden seien erfolgreich, weil sie das Lernen in die Hände der Schüler legten. Ich fragte die kritischen Kollegen, ob sie denn valide Beweise, z.B. wissenschaftliche Daten, zur Verfügung hätten, die untermauern, dass die schülerfreundlichen Methoden zu guten Lernergebnissen führten. Die Antwort war verblüffend: Was man jeden Tag selbst im Unterricht erlebe, müsse man sich nicht wissenschaftlich beweisen lassen. Ich verwies auf die Ergebnisse der großen Lernstudie des neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie, „Lernen sichtbar machen“ (2013). Darin stuft Hattie das Agieren der Lehrkraft als besonders wirkungsvoll ein, während er den Selbstlernmethoden der Schüler eine nur geringe Wirksamkeit attestiert. Überzeugen konnte ich die jungen Rebellen damit nicht.

Skandalisierung von Begriffen

An diesem Beispiel kann man sehen, wie Lehrkräfte, die sich für fortschrittlich halten, aber auch viele Wissenschaftler und Journalisten, den Kulturkampf um die richtige Unterrichtskultur an unseren Schulen führen. Sie versehen missliebige Lernmethoden mit pejorativen Signalwörtern, die ihnen ein Stigma verleihen sollen. So nennen sie das Unterrichtsgespräch immer „Frontalunterricht“. Das klingt nach militärischer Front oder dem Frontalzusammenstoß im Straßenverkehr. Es soll auch Assoziationen an den wilhelminischen Pauker wecken, der den Kindern den Lernstoff mit brachialen Methoden eintrichterte. Dass dies ein groteskes Zerrbild darstellt, ficht die Kulturkämpfer nicht an. Keine Schulklasse ließe sich solche altmodischen Paukmethoden heute noch gefallen. Das negativ konnotierte Wort erfüllt jedoch seinen Zweck, weil über die Vorzüge der didaktischen Interventionen des Lehrers dann nicht mehr geredet wird.

Unterrichtsgespräch besonders erfolgreich

Was John Hattie für besonders effektiv hält, ist das „reziproke Lernen“. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als das vom Lehrer gelenkte Unterrichtsgespräch. Diese uralte Lehr- und Lernform, die schon die griechischen Philosophen der Antike für sich entdeckt hatten, ist deshalb erfolgreich, weil die Schüler dabei durch kluge Fragen der Lehrkraft Schritt für Schritt zur Erkenntnis des Stoffes geführt werden und weil sie ihre Einwände und Nachfragen unmittelbar bei jedem Lernschritt einbringen können. Auch schwächere Schüler können mit ihren Fragen zum Zuge kommen. Ich habe erlebt, dass Schüler nach einer längeren Phase des „kooperativen“ Lernens in Arbeitsgruppen und des „individualisierten“ Lernens an Stationen nach dem „coolen“ Unterrichtsgespräch gegiert haben. Eine Abiturientin fragte mich etwas kokett: „Wann machen Sie wieder mal Ihren genialen Frontalunterricht?“

Warum fragt man nicht die Schüler, was ihnen am meisten nützt? Vor allem bei klugen Schülern ist das Unterrichtsgespräch beliebt, weil sie dabei am meisten lernen. Beim häufig praktizierten Gruppenunterricht geht ihnen das Lernen zu langsam voran. Zudem lastet die Arbeit meistens allein auf ihren Schultern, wobei die schwachen Schüler aus „solidarischen“ Gründen dieselbe Bewertung bekommen. Das Verhalten von Lehrkräften ist mitunter schizophren. Ich habe Kollegen erlebt, die monatelang schülerzentrierte Lernformen praktizierten. Als dann die Zeugnisse heranrückten und sie feststellten, dass die Schüler bei den Klassenarbeiten versagten, schwenkten sie um und praktizierten das effektive Unterrichtsgespräch. Typisches Beispiel für kognitive Dissonanz. Die „schülerfreundlichen“ Lernformen entspringen eben in erster Linie einem sozialen Impetus, nicht aber didaktischer Evidenz.

Wie Sozialpolitik als Pädagogik ausgegeben wird

Es ist der große Irrtum linker Schulreformer, schulische Bildung ließe sich nach den Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit organisieren. Aus diesem Grundirrtum resultieren viele der Probleme, die wir an unseren Schulen beklagen. Bei vielen Eltern fällt der Appell an das Soziale freilich auf fruchtbaren Boden, erhoffen sie sich doch eine Chance auf einen guten Schulabschluss für ihre Kinder selbst dann, wenn diese nur mittelmäßig begabt sind. Aufstieg durch Bildung: Was früher Leistung bewirkte, soll heute die soziale Gerechtigkeit garantieren. In der Sozialpolitik wird soziale Gerechtigkeit durch Umverteilung realisiert. Doch: Wann ist Bildung gerecht? Umverteilung greift hier offensichtlich nicht. Geistesgaben und familiäre Zuwendung kann man nicht von einem Kind auf das andere übertragen.

Sozialdemokraten und Grüne haben sich eine besondere Methode einfallen lassen, um das Ziel der Bildungsgleichheit zu erreichen: die Umverteilung der Schüler. Nichts anderes intendieren integrative Schulformen wie die modische Gemeinschaftsschule. Die leistungsstarken Schüler werden in eine Lerngemeinschaft mit den leistungsschwachen gezwungen. Wenn die guten Schüler schon durch Begabung und familiäre Sozialisation bevorteilt sind, sollen sie wenigstens nicht unter ihresgleichen die Schulbank drücken dürfen, sondern Bank an Bank mit den sozial Benachteiligten lernen.

Ich will nicht ausschließen, dass sozialdemokratische Bildungspolitiker tatsächlich glauben, bei dieser „gerechten“ Mischung der Kinder würde etwas vom Leistungsvermögen der starken auf die schwachen Lerner abfärben. Meine langjährigen Erfahrungen an einer Gesamtschule haben mich eines Besseren belehrt. Auch an den 2010 neu gegründeten Berliner Sekundarschulen, die durch Fusion von Haupt- und Realschulen entstanden sind, überwiegt unter den Lehrkräften inzwischen die Skepsis. Schulleiter geben offen zu, dass sich die Realschüler eher den Leistungen und dem Sozialverhalten der Hauptschüler angepasst haben als umgekehrt.

Griffige Formeln gegen pädagogische Evidenz

Zu den wirkungsvollsten PR-Formeln einer egalitären Bildungspolitik gehört die Verheißung vom „längeren gemeinsamen Lernen“. Sie klingt sozial und gerecht und setzt diejenigen ins Unrecht, die an der Einteilung der Schüler nach Begabung festhalten. Ihnen unterstellt man soziale Kälte und – horribile dictu – die „Selektion“ unschuldiger Kinder. Die Assoziation mit der Selektion der Juden durch die SS an der Rampe von Auschwitz nehmen die Gerechtigkeitsadepten billigend in Kauf. Den Eltern wird suggeriert, dass ihr Kind vor allem davon profitieren könne, dass es in einer Klasse lernt, in der Kinder aller Begabungen gemeinsam unterrichtet werden. Es wird ein regelrechtes Idyll gemalt, das an die Utopie vom Garten Eden erinnert: Die Schüler bilden eine harmonische Gemeinschaft, in der die Lernstarken den Lernschwachen selbstlos beistehen.

 

Mehr von Rainer Werner:

 

In meiner zwölfjährigen Arbeit an einer Berliner Gesamtschule habe ich von dieser Idylle nichts bemerkt. Im Gegenteil. Die intellektuellen Überflieger waren genervt davon, dass die Lehrer den Lernprozess immer wieder unterbrachen, um den schwächeren Lernern das Problem ein weiteres Mal zu erklären. Die schwachen Schüler fühlten sich durch die Dominanz der guten Schüler gedemütigt, weil sie sich deren Geisteskraft und Eloquenz nicht gewachsen fühlten. Erst als die schwachen Schüler in einem Fachleistungskurs unter sich waren, blühten sie auf, weil sie nicht befürchten mussten, dass ihnen die guten Lerner ständig mit ihren klugen Antworten in die Quere kommen. Lehrer wissen sehr gut, dass das Lernen in leistungshomogenen Lerngruppen besser gelingt als in heterogenen. Der Fetisch Diversität hat jedoch dazu geführt, dass man an der bunten Schülermischung selbst dann festhält, wenn die Lernergebnisse nicht optimal ausfallen.  

Leistung steht nicht mehr im Vordergrund

Studien belegen, dass die starke heterogene („gerechte“) Mischung einer Lerngruppe zu Lasten der Leistung geht. Ich kenne kein Unterrichtsverfahren und kein Lernmaterial, die es schaffen könnten, die Kluft zwischen Hauptschülern hier und künftigen Abiturienten dort zu überbrücken. Die Gemeinschaftsschulen flüchten sich in die Individualisierung des Lernens. Der gemeinsame Lernprozess in der Gruppe wird fragmentiert, indem jeder Schüler seinem eigenen Lernprogramm folgt.

Die Ironie dabei ist, dass eine Schulpolitik, die das „längere gemeinsame Lernen“ propagiert, im Mikrokosmos der Schule der Vereinzelung der Schüler das Wort redet. Kritische Didaktiker betonen immer wieder, dass sich das individualisierte Lernen nur für die Kinder aus dem Bildungsbürgertum eignet, weil sie zu Hause gelernt haben, sich selbst zu organisieren. Schwache Schüler aus der deutschen Unterschicht und Schüler aus dem Migrantenmilieu kommen bei dieser Lernform unter die Räder, weil sie die lenkende und helfende Hand der Lehrkraft benötigen. Sie wird ihnen aber vorenthalten, weil der Lehrer nur noch als Lernbegleiter fungieren darf.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die seit Jahren schlechter werdenden Schülerleistungen auf das Überhandnehmen dieser Lernmethode zurückzuführen sind. Einen Tiefpunkt markierte der IQB-Bildungstrend 2021. Ihm zufolge verfehlten in der Orthografie 30 Prozent der Schüler den Mindeststandard, in Mathematik waren es 22 Prozent. Zur Einordnung: Wer in diesen beiden Disziplinen den Mindeststandard verfehlt, kann weder richtig schreiben noch korrekt rechnen.

Für eine Rückkehr des Leistungsprinzips

Eine Differenzierung nach Begabungen wird überall als sinnvoll angesehen – nur nicht in der Schule. Im Showbusiness und im Sport hält man unverdrossen an der Bestenauslese und am Leistungsprinzip fest. Niemand käme auf die Idee, in die Fußballnationalmannschaft drei Spieler aus der Kreisklasse aufzunehmen, um der sozialen Gerechtigkeit Genüge zu tun. In der Ausbildung von Musikern und Sängern ist die Auslese hart, mitunter auch tränenreich. Wer sich am Ende durchsetzt, gehört zu den Spitzenkönnern des Genres.

Der konservative Journalist Joachim Fest charakterisierte den Beginn der Egalitätspolitik in den 1970er Jahren so: Man „huldigt einer Gleichheitsidee, zu deren Eigenart nicht nur gleiche Startbedingungen gehören. Hierzulande will man auch, dass alle gleichzeitig im Ziel einlaufen. Niemand soll den anderen übertreffen.“ Was unsere Schulen dringend brauchen, ist eine Rückbesinnung auf das Leistungsprinzip, das am besten zum Ausdruck kommt, wenn man zumindest in den Hauptfächern Deutsch, Mathematik und Englisch zu begabungsgerechten Lerngruppen zurückkehrt.

Überbringerin schlechter Botschaften abgestraft

Astrid-Sabine Busse (SPD), von 2021 bis 2023 Schulsenatorin von Berlin, galt in all den Jahren, in denen sie die Grundschule an der Kölnischen Heide leitete, als robuste Pädagogin, die sich nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen ließ. Sie zeigte sich vor allem wehrhaft gegenüber den Einflüssen muslimischer Väter auf ihre Schule. 2009 sagte sie in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung über migrantische Familien in Neukölln: „Sie bleiben einfach untereinander. Man muss sich hier ja auch gar nicht mehr integrieren. Man nimmt das Viertel in Besitz, und man lässt sich pampern.“ 2018 zog Busse in einem Zeitungsinterview ein bitteres Fazit: „Wir sind arabisiert“.

Als Busse Senatorin war, zerrten linke Parteifreunde diese Zitate ans Tageslicht und verlangten von ihr eine Entschuldigung. Um ihr Amt nicht zu gefährden, kroch sie zu Kreuze und distanzierte sich in einer öffentlichen Erklärung von ihren damaligen Äußerungen. An vorderster Front der Kritiker agierte Parteifreundin Sawsan Chebli, selbst arabischer Abstammung, die Astrid Busse prompt Rassismus vorwarf. Dieser Fall zeigt wieder einmal, wie es linke Kräfte schaffen, ein realitätstaugliches Zitat zum Skandal aufzublähen, um über den Sachverhalt, um den es geht – die Islamisierung unserer Schulen – kein Wort verlieren zu müssen. Dabei finden sich für ein schleichendes Vordringen des Islam an Berlins Schulen zahlreiche Belege.  Der Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung (Devi) hat 2021 im Auftrag des Bundesfamilienministeriums an zehn Schulen im Berliner Bezirk Neukölln untersuchen lassen, in welcher Weise sich religiöse Konflikte im schulischen Alltag auswirken. Neun der befragten Schulen berichteten von alarmierenden Formen „konfrontativer Religionsbekundung“, die von strenggläubigen muslimischen Familien über ihre Kinder in die Schulen getragen werden.

Schulpraktikerin bestätigt Missstände

Als der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz in der Talkshow von Markus Lanz davon berichtete, dass Grundschullehrerinnen von muslimischen Vätern bedrängt werden, wenn sie gegen ihre Söhne („kleine Paschas“) wegen schlechten Betragens Sanktionen verhängen, erhob sich ein Shitstorm der Entrüstung über die „rassistische“ Wortwahl. Über den Sachverhalt selbst, den Grundschullehrerinnen in Brennpunktschulen täglich so erleben, brauchte man dann nicht mehr zu reden. Die Österreicherin Doris Unzeitig, die jahrelang als Rektorin eine Grundschule im Berliner Bezirk Schöneberg geleitet hat, wunderte sich in einem Interview darüber, dass man bei uns über die Wortwahl eines Politikers streitet und nicht darüber, wie man die vielen Probleme an unseren Schulen löst: „In jedem Fall hat der CDU-Vorsitzende den Nagel auf den Kopf getroffen und eine betrübliche Tatsache beschrieben. (…) Pöbeleien und Gewalt unter Schülern und der auch religiös bedingte Kultur-Clash in den Klassenzimmern gingen so weit, dass ich einen privaten Sicherheitsdienst engagierte, was der rot-rot-grüne Senat mit Argwohn betrachtete. Kinder beschimpften meine Kolleginnen und Kollegen mit Ausdrücken, die in TV-Dokus bisweilen mit ,Piep‘-Zeichen übertönt werden.“

Auch der ehemalige Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Heinz-Peter Meidinger pflichtete Friedrich Merz bei. In Interviews untermauerte er das Zitat von Friedrich Merz mit Beispielen aus der schulischen Praxis. An diesem Beispiel kann man sehen, wie ein klassisches Ablenkungsmanöver funktioniert. Anstatt sich auf den Kern der Aussage des CDU-Chefs einzulassen und Lösungen für das Problem zu diskutieren, reißt man einen vermeintlich anstößigen Begriff aus dem Zusammenhang und skandalisiert ihn. Der Rassismusvorwurf erzeugt dann den größtmöglichen Ekelfaktor, der im links-grünen Milieu möglich ist. Die migrantische Klientel bleibt dann von der Verpflichtung zu korrektem Verhalten in der Schule verschont. Dass die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), in diesen Chor einstimmte, zeigt, dass ihr ebenfalls nicht an der Lösung des Problems gelegen ist.

Wie sich eine skandalisierte Forderung doch noch durchsetzt

Im August 2019 forderte der heutige Generalsekretär der CDU, Carsten Linnemann, dass Kinder ausreichend Deutsch sprechen müssen, bevor sie an der Grundschule aufgenommen werden. „Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen“, sagte er der Rheinischen Post. Probates Mittel sei eine Vorschulpflicht. Notfalls müsse eine Einschulung auch zurückgestellt werden. Auch hier setzte prompt die Empörungsmaschinerie ein. Linke Politiker unterstellten dem Politiker, er gehe auf Stimmenfang im rechten Sumpf. Auch hier bekam Linnemann Unterstützung durch den Schulexperten Hans-Peter Meidinger: „Grundlegende sprachliche Förderung muss vor der Grundschule erfolgen. (…) Ich bin ein absoluter Anhänger von bundesweiten, flächendeckenden Sprachstandtests bei Drei- und Vierjährigen.“

Vier Jahre und einige Schulleistungsstudien sind inzwischen ins Land gegangen und haben die Diagnose von Carsten Linnemann eindrücklich bestätigt. Die am 16. Mai 2023 in Berlin veröffentlichte Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) zeigt, dass 25 Prozent der Kinder in der vierten Klasse nicht über die entsprechende Lesekompetenz verfügten, die eigentlich für den Übergang ins weiterführende Schulsystem nötig wäre. Bei der IGLU-Erhebung von 2017 lag der Anteil dieser Gruppe noch bei 19 Prozent. Nach dem Schock über diese Resultate wird allerorten nach einer verbindlichen Sprachstandserhebung im Alter von fünf Jahren gerufen. Auch vom Ende der Freiwilligkeit ist jetzt die Rede. Vor vier Jahren hat man einen sinnvollen Vorschlag, der genau dies vorsah, mit einem Empörungssturm zunichte gemacht.

Rückkehr zur pädagogischen Evidenz

Es wird Zeit, dass verantwortungsvolle Pädagogen dem Kulturkampf um Begriffe und der ständigen Moralisierung entschlossener als bisher begegnen. Nötig ist eine Rückkehr zur pädagogischen Evidenz: Alle Unterrichtsmethoden gehören auf den Prüfstand. Die didaktische Wissenschaft sollte sich endlich darum bemühen, die Wirksamkeit der Selbstlernmethoden zu testen. Auch der Deutsche Schulpreis gehört vom Kopf auf die Füße gestellt. Die Jury lässt sich nämlich allzu gerne von der bunten Oberfläche der „innovativen Schulkonzepte“ blenden, ohne nach ihrem Ertrag zu fragen. So können interessierte Eltern nicht erfahren, wie diese Schulen bei den Schulleistungstests VERA, IGLU und PISA abgeschnitten haben, weil fast alle Preisträgerschulen ihre Leistungsdaten verschweigen. Auch die Zahl der Schulabbrecher sucht man auf ihren Websites vergeblich. Es wäre ein entscheidender Schritt zur Rückkehr des Leistungsprinzips, wenn alle Schulen in Deutschland von der Kultusministerkonferenz verpflichtet würden, ihre Leistungsdaten auf der Website zu veröffentlichen.

Anzeige