René Pollesch - Und was jetzt?

Der Dramatiker und Regisseur René Pollesch hat das Theater revolutioniert – als Intendant der Berliner Volksbühne scheint er allerdings eine Fehlbesetzung zu sein.

René Pollesch hat schon viele erfolgreiche Inszenierungen auf die Bühne gebracht. Seine Intendanz ist weniger erfolgreich / dpa
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Barbara Behrendt ist Theaterkritikerin und lebt in Berlin.

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René Pollesch ist Kult. Sein Fan zu sein, kommt einem Bekenntnis gleich: zur Diskurselite, zur Postmoderne, zum Feminismus, zur Repräsentationskritik. Von Hamburg bis Zürich, von Dresden bis Nürnberg – kein Stadttheater, das etwas auf sich hält, ohne eigenen Pollesch. Es sollen inzwischen 200 Stücke sein, die er geschrieben und inszeniert hat. Das „und“ ist wichtig: Pollesch stellt seine Dramen auf den Proben mit den Schauspielern fertig und sieht die Texte so eng mit diesen Personen verwoben, dass er sie nicht für andere Regisseure freigibt.

Dass Pollesch der revolutionärste postdramatische Autor und Regisseur des deutschsprachigen Theaters werden würde – es war ihm wahrlich nicht in die Wiege gelegt. Aufgewachsen ist er in einem Dorf in Hessen. Der Vater Maschinenschlosser und Hausmeister, die Mutter Hausfrau. Während Altersgenossen eine Banklehre machen, studiert Pollesch am neuen Institut für Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen, die Kaderschmiede für Theorietheater. 

Theater ohne „Authentisches“

Dann ist er arbeitslos. Fünf Jahre lang, mit Unterbrechungen. Pollesch spricht nicht gern über diese Zeit, verschweigt sie aber auch nicht. Nichts liegt ihm ferner, als seinen Lebenslauf zu pimpen. In dieser Zeit schreibt er die „Heidi-Hoh-Trilogie“, die ihm 1999 den Durchbruch beschert: eine Analyse der Selbstausbeutung in der New Economy. Spätestens damit ist das Pollesch-Theater geboren, das etwas Neues versucht: das Weiterschreiben von Theorie, die die Schauspielenden zur „Sehhilfe für die Wirklichkeit“ werden lassen. 

Das Ensemble erzählt keine Geschichten, fühlt sich nicht in Figuren ein. Es diskutiert komplexe Diskursfragmente. Und zwar, das ist der Trick, in Komödiendialogen, in ironischem Hochgeschwindigkeitsgeschwurbel, gegengeschnitten mit Popkultur-Verweisen. Pollesch schreibt oft über die Liebe und die Verhältnisse. Aber er beleuchtet keine individuellen Lovestorys, sondern die kollektiven Gedankenstrukturen dahinter. Es ist abstraktes Theater, das an nichts „Authentisches“ glaubt. Denn was soll authentisch sein an einem Menschen, der einen auswendig gelernten Text spricht? 

 

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Pollesch möchte in Inszenierungen keine Herrschaftsverhältnisse reproduzieren. Alle sagen nur, was sie sagen möchten. Hierarchien gehen ihm völlig ab. Im Gespräch, egal mit wem, verfällt er verlässlich ins „Du“. Hätte Chris Dercon, der 2017 als Intendant der Berliner Volksbühne fehlbesetzt wurde, Pollesch gekannt, hätte er gewusst, dass es für ihn wie Hohn klingen musste, als Dercon ihn mit dem Versprechen anwarb: „Ich mach dich weltberühmt!“ 

Kein geborener Intendant

Inzwischen ist Pollesch selbst Intendant der Volksbühne. Ob seine Bilanz besser ausfallen wird als Dercons? Polleschs erste Spielzeit war verheerend, die zweite hat nicht viel besser begonnen: Wichtige Künstler sagen ab, das Theater bleibt an vielen Tagen geschlossen – und wenn es Kunst zu sehen gibt, ist sie oft erschreckend schlecht oder fad. Zuletzt sorgte „Hyäne Fischer – das totale Musical“ für verärgerte Kritiker. Schon nach handwerklichen Maßstäben (keine der Schauspielerinnen kann singen) hat das brachialfeministische Pseudomusical nichts auf der großen Bühne verloren. 

Die Kommunikation ist ein Desaster: Nach außen ist nicht ersichtlich, wer zum Ensemble gehört oder wann die nächste Premiere stattfindet. Die Auslastung ist deutlich schlechter als an anderen großen Berliner Bühnen. Und es ist Pollesch kaum beizubringen, wie taktisch unklug es ist, als Intendant an einem Konkurrenztheater der Stadt zu inszenieren. Momentan gibt es zwar keine solche Verabredung mehr, doch für die Zukunft schließt Pollesch eine Arbeit am Deutschen Theater nicht aus.

Inzwischen ist eingetreten, was nicht zum Feministen Pollesch passen will: Seine eigenen fünf (!) Inszenierungen dominieren den Spielplan, Programm und Führungsstil sind intransparent – und an der Spitze steht ein weißer älterer Mann. Zwar legt er Wert darauf, das Theater mit seinen „Brothers and Sisters in Crime“ zu leiten – doch verantwortlich ist René Pollesch. Ob er das Intendantengehalt aufteilt? Jedenfalls ist er unverdächtig, sich für dessen Höhe zu interessieren. Vor ein paar Jahren sagte er, er habe nur eine Jeans: „Wenn die gewaschen wird, kann ich nicht rausgehen.“

Zuletzt kündigte ausgerechnet der linke Hierarchieverächter Pollesch an, das Theater räumen zu lassen, käme es zu einer Besetzung der Volksbühne. Eine Besetzung, geplant von derselben Gruppe, die das Haus unter Chris Dercon „eingenommen“ hatte. Damals unterstützte Pollesch sie. Als Chef hat sich seine Perspektive anscheinend verändert. 
„Und jetzt?“, fragt die neue Inszenierung des Hausherrn. Eine launige, aber keine richtungsweisende Arbeit. Die Frage bleibt.

 

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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