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(ARD/Marco Grob) Talk im Ersten, jetzt gleich im Fünfer-Pack

Talkshows im Ersten - Penetranz statt Relevanz

Jauch, Maischberger, Beckmann; die erste Woche der ARD-Talkshow-Offensive ist vorbei. Die Sättigungsgrenze ist erreicht. Talkshows dieser Machart schaden keinem und nützen wenigen. Sie sind kein Stachel im Fleisch der Mächtigen, irritieren nicht, klären selten auf

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Seit Günther Jauch gestern Abend endlich in die Bütt‘ steigen durfte, ist die große Talkshow-Reform der ARD komplett. Von Sonntag bis Donnerstag heißt es: Mit dem Ersten quatscht sich‘s leichter. Auf Jauch, den Lehrer mit Primaner-Charme, folgt jetzt der schnoddrige Gästedompteur Frank Plasberg, der dem forschen Fräulein Sandra Maischberger die Klinke in die Hand gibt, die wiederum an Anne Will, den bohrenden Lächelprofi, weiterleitet, ehe Reinhold Beckmann am Donnerstag das Licht in routinierter Verständnisinnigkeit ausmacht, aushaucht. Woche für Woche sind das knapp 30 Gäste, die sich von fünf Moderatoren über sechs Stunden lang allerlei Gewusstes und Geahntes aus der Nase ziehen lassen. So viel Quasselei war selten. Was sieht, wer all das sehen will?

Zum Auftakt verfuhren die Matadore nach dem Mikado-Prinzip: Wer sich bewegt, verliert. Experimente und Innovationen waren verpönt. Offenbar hielt man die Zuschauer mit den neuen Sendeplätzen für hinreichend gefordert. Da sollte ansonsten alles so sein, wie es die Kernklientel, die Generation Ü50, gewohnt ist. Ob „Klasse, dass Sie uns gefunden haben“ (Plasberg) oder „Klasse auch, dass Sie uns wiedergefunden haben“ (Will) oder gar „Keine Sorge, Sie haben sich hier nicht geirrt, Sie sind absolut richtig“ (Beckmann): Mit einem Fleißkärtchen beglückwünschten die Gastgeber ihr Publikum und sich zu diesem. Ähnlich ruft auf Jahrmärkten der Schiffer-Hannes, wenn sein Karussell einmal um wenige Meter versetzt worden ist. Alles noch beim Alten, treten Sie näher, ruhig Blut.

Frank Plasberg hatte sich zwar einen breiteren Hemdkragen und schmalere Revers am Sakko gegönnt – so ist das jetzt Mode -, tat aber alles, um die Transformation von „hart, aber fair“ in „weich, aber fad“ voranzutreiben. Bei politischen Kontroversen ist der Faktenzampano in seinem Metier, weiche Themen verunglücken ihm regelmäßig. Plaudern kann er nicht, zuspitzen mag er nicht. Insofern war es die allerunglücklichste Entscheidung, ihn mit einer Parlandodebatte über Sinn und Unsinn von Patchworkfamilien starten zu lassen. „Wie verlogen ist das Patchwork-Glück?“ lautete die erkenntnisleitende Frage. Nach 75 Minuten müssen wir als Antwort notieren: Kommt darauf an. Zwischen Familientherapeut, Journalistin, Unternehmerin, Showveteran und dem bei diesem Thema unvermeidlichen Schauspieler Ingo Naujoks plätscherte das Gespräch derart schnarchig dahin, dass man sich einen Dummen August herbei wünschte, der alle Beteiligten mit dem Schaumstoffhammer weckt. Ein Marktanteil von unter zehn Prozent bei einer absoluten Zuschauerzahl unter drei Millionen war die Quittung. In der Gruppe derer, die das 50. Lebensjahr nicht vollendet haben, erwärmten sich schüttere 3,1 Prozent.

Mit Senioren hat Sandra Maischberger ihre besondere Erfahrung. Ohne mindestens einen „Grandseigneur“ auf dem Sofa tut sie es nicht. Diesmal übernahm Klaus von Dohnanyi die Rolle des Ehrengreises. Der SPD-Veteran sprach klug und sehr verständig, nobel hanseatisch in fast Loriot’schem Tonfall, über das „Euro-Debakel“. Die Kamera zoomte sich, wie häufig bei „Maischberger“, an seine Hände heran, zeigte den Ehering am Ringfinger fast bildschirmfüllend. So wird deutlich: Hier ist der Mensch Programm. Weil es davon nie genug geben kann, hatten gleich sechs weitere Gäste ihren Auftritt. CDU-Mann Peter Hintze, mit wippendem Oberkörper, schneidender Handbewegung und sopranheller Stimme, lobte die „beträchtlichen Wohlstandsgewinne“ durch den Euro. Von diesem sich zu verabschieden, wäre ein „Kulturverstoß“. So bemerkenswert diese Formulierung war – wer gibt im paneuropäischen Kulturspiel die Regeln vor, gegen die man offenbar verstoßen kann? –, so schwach war das Interesse der Gastgeberin. Sandra Maischberger hörte darüber hinweg. Sie hörte über vieles hinweg, sie wollte keines ihrer Stichworte auslassen, keinen ihrer Gäste übervorteilen.

Das wäre Anne Will nicht passiert. Sie beherrscht die rar gewordene Kunst, aus den Antworten Material sich zu nehmen für neue Fragen. Nur so entstehen Gespräche. Überhaupt hatte „Anne Will“ trotz des ebenfalls sehr plapperanfälligen Themas Jugendkriminalität einen passablen Start. Auf die gute Frau von Solingen, Veronica Ferres, hätte man verzichten können und sollen, auch hat der begnadete Koch Tim Raue wahrlich nicht zum ersten Mal seine Vergangenheit in einer „Straßen-Gang“ ausgebreitet. Das verbale Ping-Pong-Spiel aber zwischen Christian Nürnberger, Edmund Stoiber und Sido war das Gebührengeld wert. Positiv bemerkbar machte sich die Neuerung, die Gäste nacheinander auf die Couchlandschaft zu bitten. Das Zweiergespräch weitet sich zum Dreiergipfel und zum Stimmenquartett, ehe die Corona vollzählig beieinander ist. Das Publikum dankte die Innovation, diese Ausnahme von der Mikado-Regel, nicht. Bei „Maischberger“ schauten 1,15 Millionen vorbei, bei „Anne Will“ auch nur 1,22 Millionen. Plasberg profitiert also stark vom ganze 105 Minuten früheren Sendebeginn um 21h00.

Beckmann am Donnerstag ist haargenau der bisherige Beckmann vom Montag, ein öliger Kumpel mit dem Hang zur Besserwisserei. Um ihn und sein Publikum müssen wir uns nicht sorgen. Was aber machte RTL-Millionärssucher Jauch auf dem Premiumplatz am Sonntagabend, gleich nach dem Flaggschiff „Tatort“? Zum Start hatte er am Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 ein Thema auf der Nahtstelle zwischen Politik und Emotionalität gewählt: „War es richtig, in den Krieg zu ziehen?“ Für Ja votierten Springer-Chef Matthias Döpfner und der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck, für Nein Elke Heidenreich und Jürgen Todenhöfer, wer sonst. Im Laufe der Sendung setzte sich die, wie es branchenintern heißt, „Emo-Schiene“ durch, sodass am Ende der Eindruck blieb: „Stern tv“ mit Günther Jauch läuft nun im Ersten.

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Der Moderator, der hier wirklich ein solcher war, überleitet, Zitate ablas, Gäste anpries, stand wie bei „stern tv“ leicht schräg im Raum, hielt sich an den Fragekärtchen fest und war schmallippig. Günther Jauch gab lustvoll den Novizen. Gewiss verbietet sich bei diesem ernsten Thema jedes Ranschmeißertum, aber etwas mehr Engagement und Neugier hätten es sein dürfen. Und ob die nach Privatfernsehart aufbereiteten Einspieler mit lauter Musikuntermalung und gefühligem Kommentar der Weisheit letzter Schluss sind, muss sich noch zeigen. Ein dröges Debut war es, alles in allem, mit viel Luft nach oben.

Die Moral von der Geschicht‘? Die Sättigungsgrenze ist erreicht. Das Motto im Ersten heißt offenbar: Penetranz statt Relevanz. Die Liste der diskussionswerten Themen wirkt kürzer denn je, die der Gäste nicht minder. Talkshows dieser Machart schaden keinem und nützen wenigen. Sie sind kein Stachel im Fleisch der Mächtigen, irritieren nicht, klären selten auf. Sie sind aber sehr wohl ein authentisches Abbild unserer Gesellschaft im Frühherbst 2011. Redend genießen wir den Schauder kommender Katastrophen und fühlen uns dabei unsagbar gut.

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