Netflix-Serie „King of Stonks“ - Satire, die nicht wehtut

Glaubt man den Lobeshymnen in den Feuilletons, ist die vom Wirecard-Betrug inspirierte Netflix-Serie „King of Stonks“ eine „bitterböse Satire auf die Finanzwelt“. Wie kommen sie bloß darauf? Die Bundesregierung und ihre Freunde in der Finanzelite haben nichts zu befürchten: Die Serienmacher haben kaum Interesse an den Strukturen, die einen Milliardenbetrug bedingen.

„King of Stonks“ zitiert Martin Scorseses „The Wolf of Wall Street“, erreicht aber nicht dessen Scharfsinn / Netflix
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Die gute Nachricht ist: Filme und Serien über Finanzthemen finden eine breite Öffentlichkeit. Seit der Weltwirtschaftskrise 2007 vermittelt eine Reihe von Filmen, welche Auswirkungen deregulierte Finanzmärkte haben: „Margin Call“ von J.C. Chandor (2011), „The Wolf of Wall Street“ von Martin Scorsese (2013) und „The Big Short“ von Adam McKay (2015), um nur einige zu nennen.

Nun gibt es eine deutsche Netflix-Serie, die ebenfalls ein breites Publikum findet: „King of Stonks“ – der Titel ist eine Anspielung auf Helmut Dietls „Kir Royal“ und die Hochstaplersatire „Schtonk!“, zugleich verweist der Begriff auf das englische Wort für Aktien („stocks“). Die schlechte Nachricht ist: Die Serie ist im Gegensatz zu ihren Vorbildern nichtssagend.

Zähne so groß wie das Ego

Die Handlung ist lose – sehr lose – vom Wirecard-Milliardenbetrug inspiriert, der zahlreiche Kleinanleger in den Ruin trieb. Wirecard heißt hier Cablecash und hat seinen Sitz nicht in München, sondern in Düsseldorf. Das Fintech-Startup steht zu Beginn der Serie kurz vor dem Börsengang. Deren CEO, Magnus A. Cramer (gespielt von Matthias Brandt) war in der ersten Hälfte des Lebens, so die Erzählstimme aus dem Off, ein unscheinbarer Loser. Nun, in seiner zweiten Lebenshälfte, ist er ein neureiches, abgehobenes Arschloch mit künstlicher, blinkender Zahnleiste, die so überdimensional ist wie sein Ego. Die Figur ist eher an extravertierte Charaktere wie Elon Musk und Frank Thelen angelehnt als an Wirecard-Chef Markus Braun.

 

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Dessen rechte Hand, Jan Marsalek, hat mit seinem Pendant in „King of Stonks“ ebenfalls wenig gemeinsam. COO Felix Armand (gespielt von Thomas Schubert) ist im Gegensatz zu Cramer ein recht netter Kerl und der Kopf des Unternehmens. Wenn Cramer auf der Bühne steht, hat er stets einen Knopf im Ohr, durch den Armand ihm die richtigen Worten souffliert. Ist Armand einmal nicht zur Stelle, blamiert der aufgeblasene CEO – der keine Ahnung von dem Produkt hat, das er verkauft – sich bis auf die Knochen.

Nach dem Börsengang merkt Armand, dass Cablecash den Erwartungen nicht gerecht wird. Cablecash erfindet Kunden und Investoren, und dank eines manipulierten Wirtschaftsprüfers – Erinnerungen an die Rolle der Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young im Fall Wirecard werden wach – kommen sie mit den gefälschten Bilanzen durch. Dabei kommen ihnen immer wieder Kunden aus den Anfangstagen in die Quere: Zwei Investoren aus der Porno-Industrie und die italienische Mafia. Cablecash steht kurz vor einem großen Deal mit der Bundesregierung – repräsentiert durch eine Digitalministerin (gespielt von Eva Löbau) –, die schmuddelige Altlast droht zur Gefahr fürs Image und somit für den Deal zu werden.

Finanzwirtschaft mit Küchenpsychologie erklärt

Viel mehr als gearbeitet wird jedoch gefeiert. Am Pool, im Büro, auf dem Global Economic Forum in Genf, ein Serien-Pendant des World Economic Forum in Davos. Das Vorbild der Exzess-Szenen ist offensichtlich Martin Scorseses Meisterwerk „The Wolf of Wall Street“ (2013) – wie bei Scorsese wird gesoffen, gekokst, onaniert, flatuliert, gefurzt, manche Szenen sind geradezu Kopien des Originals. Die Serie hat Tempo, gefördert durch eine Erzählstimme aus dem Off, die immer wieder in hektischen Einblendungen Hintergründe erklärt. Vorbild dafür ist Adam McKays Finanzsatire „The Big Short“ (2015). Während Scorsese und McKay mit dem Tempo ihrer Filme auf geniale Weise das Tempo der Finanzwelt widerspiegeln, ist der Versuch bei „King of Stonks“ – wie so oft, wenn deutsche Filme bzw. Serien amerikanisch wirken wollen – unbeholfen und führt lediglich in sinnlose Überdrehtheit. Das hat auch damit zu tun, dass die Serie ins Leere läuft, weil sie sich im Gegensatz zu ihren Vorbildern auf das falsche Ziel einschießt.

Scorsese findet in „The Wolf of Wall Street” Bilder (die tatsächlich das Attribut „bitterböse“ verdient haben) für die exzessive Wachstumsideologie der Finanzwelt, die schon in Kinderserien angelegt ist. „King of Stonks“ begnügt sich in erster Linie damit, abgehobene CEOs „bloßzustellen“ (als ob man einen Schamlosen bloßstellen kann), anstatt das System hinter einem Milliardenbetrug wie Wirecard offenzulegen. „Es ging uns weniger um die genauen Fakten als vielmehr um die Psychologie der Figuren“, sagte Showrunner Philipp Käßbohrer jüngst dem Handelsblatt.

Was der Zuschauer dann aufgetischt bekommt, sind tiefenküchenpsychologische Erkenntnisse wie die diese: Die Protagonisten haben – halten Sie sich fest! – Minderwertigkeitskomplexe. Potzblitz! Magnus A. Cramer leidet unter den Herrenmenschen der Wirtschaftselite, die ihn als Neureichen nicht akzeptieren – seine Nachbarn in Düsseldorf, aber auch der Vater seiner aus reichen Verhältnissen stammenden Frau. Felix Armand fühlt sich ungeliebt, weil bei der Geburt alle überrascht waren, als nach seinem Bruder plötzlich noch ein Zwilling – Felix Armgard – schlüpfte. Ja, diese Individualisierung von Finanzexzessen reicht tatsächlich aus, um von den wichtigsten Feuilletons als „Abrechnung“ mit der Finanzwelt gefeiert zu werden.

Filme können die Finanzwelt erklären

Ein Interview mit dem Regisseur Jan Bonny in der Zeitschrift Capital offenbart das ganze Elend: „Man kann aber keine Serie machen, in der man die Finanzwelt erklärt. Dafür gibts Dokumentarfilme. (…) Man muss einen emotionalen, archetypischen Zugang finden. Damit taucht man dann ein in diese Welt“, sagt er darin.

Was für ein Unsinn! Ausgerechnet Bonnys Vorbild, Adam McKays „The Big Short”, beweist das Gegenteil. McKay erzählt darin von jenen Shortstellern, die die bald platzende Blase auf dem US-Immobilienmarkt erkannten. Letztendlich löste die Blase die Weltwirtschaftskrise 2007 aus, infolge derer etliche Amerikaner ihre Häuser verloren, während die verantwortlichen Banken ungeschoren davonkamen, sogar mit Staatsgeld gerettet wurden.

Der Film tut genau das, was ein Unterhaltungsmedium laut dem „King of Stonks“-Regisseur nicht kann: Er erklärt die Finanzwelt und klärt auf. Wie große Investmentbanken sichere Hypothekenbestände mit Risikobeständen vermischen und diese Pakete (CDOs) anschließend von manipulierten Ratingagenturen hoch bewerten lassen, um sie daraufhin hin ertragreich zu verkaufen. Wie kaum ein Mensch durchblickt, was in den Paketen steckt, weil kaum ein Mensch Lust hat, sich mit sperrigen und abstrakten Finanzvorgängen zu beschäftigen, obwohl diese physische Auswirkungen auf ihre Leben haben. Das weiß auch McKay: Wenn etwas nicht unterhaltsam ist, wird abgeschaltet. Deswegen gibt es immer wieder Einschübe, in denen etwa die Hollywood-Schauspielerin Margot Robbie mit Schampus in einem Schaumbad liegt und den Zuschauern den Hypothekenanleihenmarkt erklärt (Stichwort Sex Sells) oder Ex-Disney-Star Selena Gomez beim Black Jack die Funktionsweise von CDOs.

Das berühmte Leerverkaufsverbot

Was McKay damit sagen will: Die Unterhaltungssucht in ihrer Tendenz, uns alle zu entpolitisieren, ist Teil des Problems, weil unser Desinteresse an Aufklärung das deregulierte Finanzsystem stützt. Die Unterhaltungsebene ist in „The Big Short“ also selbstreflexiv Teil der analytischen Ebene.

In „King of Stonks“ dient die Unterhaltungsebene der Reglementierung von Sehgewohnheiten. Das wird am Beispiel der abgedroschenen Liebesgeschichte besonders deutlich, die natürlich nicht fehlen darf. Die Shortsellerin Sheila Williams (Larissa Sirah Herden) durchschaut die Hochstapelei von Cablecash und wanzt sich an Felix Armand heran, um an Informationen zu gelangen und gegen Cablecash zu wetten. Sie haben Sex. Sie verliebt sich ein bisschen in ihn. Er verliebt sich ein bisschen in sie. Am Ende siegt zwar das Geld über das Zwischenmenschliche, doch man sollte sich von der vermeintlich kühlen, unmoralischen Botschaft nicht täuschen lassen. Um sich an ihr zu rächen und um Cablecash zu retten, spinnt Armand einen teuflisch-genialen Plan, der die Berichterstattung über Bilanzmanipulationen in Kombination mit Attacken von Shortstellern als Verschwörung darstellt. Die Finanzaufsicht verhängt daraufhin ein zweimonatiges Leerverkaufsverbot, um Cablecash zu retten.

Bis zu einem gewissen Grad ist die Serie damit nah am Wirecard-Fall: Anfang 2019, als die Berichte über gefälschte Bilanzen bei Wirecard bereits zu eskalieren begannen, überzeugte Jan Marsalek die Staatsanwaltschaft München auf Grundlage einer wilden Verschwörungstheorie davon, Wirecard sei das Opfer angelsächsischer Spekulanten und Medien. Die Finanzaufsicht BaFin verhängte daraufhin ein zweimonatiges Leerverkaufsverbot, obwohl die Bundesbank strikt dagegen war. Ein Leerverkaufsverbot für ein einzelnes Unternehmen war ein höchst ungewöhnlicher Vorgang, der als Rettungsschirm der Regierung gedeutet wurde, zumal es im Finanzministerium bei Olaf Scholz’ Staatssekretär Jörg Kukies auf dem Tisch gelandet ist.

Der Bundesregierung gefällt’s

In „King of Stonks“ kommt die Bundesregierung wesentlich besser davon, als ihre Rolle als Schutzschirm für das Betrugsunternehmen war. Armands Plan ist so geschickt eingefädelt und geht so perfekt auf, dass die Verschwörungstheorie überzeugend ist und die Bundesregierung in „King of Stonks“ – in diesem Moment versinnbildlicht durch eine kurze Einblendung der ahnungslos dreinblickenden Digitalministerin – es gar nicht besser wissen kann.

Die Serie hat ihre Momente. Als die Digitalministerin sagt: „Deutschland kann mehr als Datenschutz“, wird die blinde Sehnsucht der Bundesregierung nach einem deutschen Silicon-Valley-Aushängeschild tatsächlich mal satirisch und pointiert aufs Korn genommen. Wie so vieles wird dieser Aspekt des Wirecard-Betrugs aber nur oberflächlich und lose angerissen. Ebenso wie der Geheimdienst-Aspekt, der in Gestalt eines BVT-Agenten irgendwie so ein bisschen mit reinspielt, damit das Thema auch abgedeckt ist. Im Großen und Ganzen hat ein Milliardenbetrug wie Wirecard in dieser Serie nicht System, sondern wird von einzelnen gierigen Egos mit Minderwertigkeitskomplexen angetrieben.

Das politische Netzwerk um Olaf Scholz, Angela Merkel und zahlreiche CDU-Politiker, das hinter Wirecard stand und in „King of Stonks“ so gut wie nicht vorkommt, dürfte mit dieser Reinwaschung sehr einverstanden sein.

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