Berliner Klimaentscheid - Im Tränenmeer

Nach dem gescheiterten Versuch, Berlin schnell in die CO2-Neutralität zu zwingen, ist die Enttäuschung der Klima-Bubble groß. Doch statt auf „fossile Zyniker“ zu schimpfen, wäre es nun an der Zeit, sich selbstkritisch mit dem eigenen Irrsinn zu beschäftigen.

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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Wow, welch Ansammlung von Klimawandelleugnern hier drunter. Aber das ist wahrscheinlich das Cicero Klientel. Apropos Klientel, seit wann schert sich ein Herr Krischke, oder der Cicero um Soziales? Das kommt doch immer nur aus der Mottenkiste wenn man es gegen Grüne verwendet“, schleuderte mir jüngst ein anonymer User auf Twitter entgegen, der seinen Klarnamen nicht nennt, aber immerhin die Informationen „Physiker, Gesunder Menschenverstand, Reisender, fliegendes Beuteltier, Lastenradfahrer“ mit dem Internet teilt. Interpunktionsfehler im Original. 

Dabei hatte ich mit meinem Ursprungs-Tweet nicht weniger im Sinn, als das, was nach dem gescheiterten Versuch der Klimaaktivisten, Berlin bis zum Jahr 2030 in die CO2-Neutralität zu zwingen, auch andere im Sinn haben: eine Erklärung anbieten, warum der „Klimaentscheid“ in der Hauptstadt gescheitert ist. Welche das ist, erzähle ich Ihnen gleich. Zuvor werfen wir erstmal einen Blick auf die Rahmenbedingungen des Volksentscheids vom Sonntag und die Reaktionen auf sein Scheitern. 

Eine Frage der Perspektive

Sagen wir so: Realität ist im Jahre des Herrn 2023, in dem sich eine selbsternannte „Fortschrittskoalition“ daran macht, den letzten Rest bürgerlichen Wohlstands im Sinne höherer Missionen zu zertrümmern und die Bundesrepublik gleichzeitig in eine Bananenrepublik zu verwandeln, erstmal Ansichtssache. Eine Frage der Perspektive, wenn man so will, also nah dran an den „alternativen Fakten“ Donald Trumps, die in ihrer progressiven Variante überaus anschlussfähig sind in gewissen Milieus, in denen die Angst vor der Klimaapokalypse größer ist als alles andere.

Dieses Milieu ist nun also auf die Idee gekommen, Berlin bis zum Jahr 2030 klimaneutral machen zu wollen, was nur gelingen würde, wenn man – meine These – alle Berliner Schwaben zurück in ihre Heimat schicken und aus Brandenburg einen großen Windpark machen würde. Oder, anders formuliert, die Hauptstadt unter anderem ihre Budgets „dramatisch umplanen“ würde, wie es jüngst der Berliner CDU-Politiker Danny Freymark im Cicero-Interview sagte; also beispielsweise die vielen Euros aus Bayern, die Berlin am Laufen halten, aus dem Sozialen rausziehen und in die Klima-Utopie investieren würde. Allerdings, so Freymark weiter: „Selbst 50, 70 oder 90 Milliarden würden nicht dazu führen, dass wir bis 2030 automatisch klimaneutral werden.“ 
 

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Letztlich war das, wenn Sie mich fragen, auch die zentrale Schwäche dieses „Klimaentscheids“. Er hatte einen unerbittlichen Gegner namens Realität, was nicht weniger bedeutet als dass Berlin den gesamten Hauptstadtverkehr ab kommenden Freitag nur noch mit Pferdekutschen organisieren könnte, und es würde dennoch nicht reichen, in bereits sieben Jahren kein CO2 mehr auszustoßen, weil auch Pferde nicht CO2-neutral sind – wie eigentlich gar nichts da draußen CO2-neutral ist, außer Luftschlösser und Liebe. Ja, auch Elektromobilität ist nicht CO2-neutral, sofern man nicht nur den Auspuff in die Kalkulation einbezieht. Und jedesmal, wenn ein Berliner Klimaaktivist eine Kurznachricht auf Twitter hinterlässt, hinterlässt er auch einen CO2-Fußabdruck. Ein Teufelskreis ist das. 

Auf der richtigen Seite der Geschichte

Apropos Twitter. Dort sind die Tränen nun bitter nach dem gescheiterten „Klimaentscheid“. Selbstredend nicht, weil man weiß, dass dieses Ziel ohnehin unrealistisch gewesen wäre und man deshalb jetzt laut die Realität beklagt und die physikalischen Gesetze, die sich klimafeindlich, wie sie sind, nicht um Absichtserklärungen scheren. Dafür hat man überhaupt keine Zeit, weil man zu sehr damit beschäftigt ist, seine Wut auf alle zu projizieren, die diesen Volksentscheid von Anfang an idiotisch fanden, weil eben unrealistisch, oder das Scheitern der Aktion positiv bewerten, weil Berlin schon jede Menge anderer Probleme und Herausforderungen zu stemmen hat. Der Journalist Georg Restle formuliert seine Kritik so: 

„Wenn irgendwer in ein paar Jahrzehnten fragt, warum das Thema Klimawandel in Deutschland nicht ernst genug genommen wurde, sollte man auf das johlende Gefeixe derer verweisen, die heute das Scheitern des #Klimavolksentscheid in Berlin feiern.“

Nun könnte man, weil es sich beim Ergebnis des Klimaentscheids um das Resultat eines demokratischen Prozesses handelt, prinzipiell ja erstmal tolerieren, wenn manche Leute die Welt ein bisschen anders sehen als man selbst. Aber in Zeitenwenden wie diesen, in denen Fortschrittspolitik auch bedeutet, den Mehrheitswillen der Bevölkerung nicht anzuerkennen, ist das freilich kein stichhaltiges Argument. Denn wer weiß, dass er auf der richtigen Seite der Geschichte steht, muss auch Widerstand leisten, wenn sich rückständige Menschen erdreisten, zuerst in den eigenen Geldbeutel, dann auf die realen Bedingungen für gewisse Maßnahmen und erst im dritten Schritt in eine CO2-neutrale Zukunft zu blicken.

Das ist übrigens auch meine Erklärung für das Scheitern des „Klimaentscheids“: Die wenigsten Menschen haben etwas gegen Klimaschutz, aber – und so formulierte ich es auch im eingangs erwähnten Ursprungs-Tweet – sie haben halt etwas gegen Klimapolitik ohne Realitätsbezug sowie gegen Politiker und Aktivisten, die sich nicht mehr um die soziale Frage scheren und um das gute, alte Aufstiegsversprechen. Warum auch? Wer aus einem immer schon privilegierten Milieu kommt, das gewisse Schnittmengen mit den Teilnehmern Grüner-Jugend-Stuhlkreise hat, setzt Prioritäten eben anders als andere. Dass er damit in einer Stadt wie Berlin, wo man die Armut mancher Einwohner an jeder zweiten Ecke und unter jeder dritten Brücke sieht, nicht durchdringt, steht auf einem anderen Blatt. 

Angriff auf die Mittelschicht

Irgendwie mag ich Luisa Neubauer sogar und auch ihre Cousine Carla Reemtsma, die sehr profitiert hat von den Reemtsma Cigarettenfabriken, deren Historie andere aufarbeiten sollen, die dafür besser geeignet sind als ich. Einfach deshalb, weil das zwei junge Frauen sind, die für ihre Überzeugungen einstehen.

Das Problem ist nur, dass viele Maßnahmen, die mit dem „Kampf gegen die Klimakatastrophe“ einhergehen respektive einhergehen sollen, diejenigen, die diese fordern und politisch umsetzen, kaum zu spüren bekommen (werden). Das wäre eine Antwort auf das, was Zeit-Journalist Bernd Ulrich – der mit Neubauer gemeinsam gleich ein ganzes Buch über den Klimawandel veröffentlich hat – so nachdenklich auf Twitter schreibt: 

„2023 hat für die „Sache“ des #Klima|s und für alle, die sich besonders gegen die #Klimakrise einsetzen, nur Niederlagen gebracht, teils selbstverschuldete. Die Frage ist: Woran liegt’s? Was läuft falsch bei den Klimarealisten? Und was bei der Dagegen-und-naja-Mehrheit?“

Weitere Antworten, warum die Klimaaktivisten nicht derart durchdringen, dass es für den Klimaentscheid in Berlin gereicht hätte, sind diese: Parteilichkeit zu vieler Journalisten pro Aktivisten, Konzepte ohne Realitätsbezug (siehe oben), Klimakleber, die nur nerven, Untergangssekten-Attitüde, Beleidigung von Maßnahmen-Realisten als „Leugner“, Gewalt in Lützerath, aggressiver Paternalismus und Technologiefeindlichkeit.

Aber auch Habecks Angriff auf die Mittelschicht im Rahmen seiner Überlegungen zum Öl- und Gasheizungsverbot sind bei den Leuten nicht gut angekommen. Ebenso wie lautstarke Persönlichkeiten wie Volker Quaschning, Haus- und Hofwissenschaftler der „Letzten Generation“, bei der Mehrheit nicht gut ankommen. Vor dem Volksentscheid schrieb Quaschning auf Twitter mit etwas Hybris:

„Alle bashen #Berlin. Aber am Sonntag haben wir die Chance, unsere Stadt zu einem Vorbild für die Welt zu machen und stolz auf unsere Stadt zu sein. Stimmt für den #Klimaschutz-#Volksentscheid.“

Und legte nach dem gescheiteren Volksentscheid dann mit einer Äußerung nach, die nah dran ist an der Verschwörungstheorie, wobei die Aluhüte selbstverständlich immer von den anderen getragen werden: 

#Klimaschutz-#Volksentscheid bekommt Mehrheit und mehr Ja-Stimmen als CDU-Stimmen bei der #Berlin-Wahl. Das Ergebnis zählt aber nicht wegen zu geringer Wahlbeteiligung, weil Abstimmung extra auf Sondertermin gelegt wurde. Warum hat die Politik so viel Angst vor mehr Klimaschutz?“

Wer sich einer höheren Mission verschreibt

Ich kann – ernsthaft jetzt – sogar nachvollziehen, woher die Wut der Klimaaktivsten und ihrer Unterstützer nun kommt. Wer sich einer höheren Mission verschreibt, die nicht nur als dringlich, sondern als sakrosankt empfunden wird, wird von der Demokratie und den Menschen, die sie praktizieren, bisweilen eben enttäuscht. Wie Luisa Neubauer, die sich in einem Reaktions-Video auf den Volksentscheid dazu hinreißen ließ, die Welt in gute Klimaaktivisten und „fossile Zyniker“ einzuteilen, aber darin immerhin einen Satz sagte, den ich nur unterstreichen kann: „Klimakrise ist eine globale Vertrauensaufgabe.“

Das Problem ist nur, dass man mit Arroganz und Rechthaberei kein Vertrauen gewinnt und die Klimabewegung derzeit nicht nur einen Klotz am Bein hat, sondern gleich mehrere, darunter die Aktivisten der „Letzten Generation“, die ganz normale Leute, die einfach nur zur Arbeit wollen, um ihre Familien zu ernähren, mit ihrem Aktivismus terrorisieren. Oder jene linksradikale Vermummte, die angeblich im Namen des Klimawandels Polizisten angreifen, wie in Lützerath gesehen. Und wenn mal wieder ein Klimaaktivist vor laufender Kamera weint, weil ihn die Angst vor dem Weltuntergang um den Verstand bringt, wirkt das auch nicht gerade motivierend auf normale Leute, sich dem Kampf anzuschließen. 

Gedanken über eine neue Strategie

Aber auch verbündete Politiker erweisen dem Klimaaktivismus einen Bärendienst, wenn das Ergebnis des „Klimaentscheids“ zum Erfolg umgedeutet wird, indem man den „Mehr Stimmen als die Berliner CDU“-Unsinn, den irgendwer zuerst getwittert hat, infantil kopiert. Wie Katja Dörner zum Beispiel, Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn: 

„Wenn ich das richtig sehe, hat der Klimaschutz in Berlin mehr Stimmen bekommen als die CDU und kann damit den Anspruch erheben, Regierender Bürgermeister zu werden … gar nicht so übel … weiter gehts!“

Oder wie Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Berliner Grünen-Fraktion: 

„Für alle die meinen, den #Volksentscheid Klimaneutral für „gescheitert“ zu erklären: Volksentscheid: 442.210 Stimmen Wiederholungswahl 2023: CDU: 428.228 Stimmen SPD: 279.017 Stimmen GRÜNE: 278.964 Stimmen“

Womit wir abschließend erneut bei der Realität wären. Denn die sagt nicht nur, dass ein CO2-neutrales Berlin bis 2030 nie und nimmer machbar wäre, sondern sie zeigt auch, dass der derzeitige Klimaaktivismus – inklusive seiner sektenähnlichen Verlautbarungen, seinen grotesken Umdeutungen von Wahlergebnissen und seiner krassen Nichtberücksichtigung der sozialen Frage – in der Mehrheitsgesellschaft nicht anschlussfähig ist. Wäre ich Klimaaktivist, würde ich meine Zeit jetzt nicht im Tränenmeer und mit Vorwurfstiraden in den sozialen Medien verschwenden, sondern mir Gedanken machen über eine neue Strategie. Über eine, die andere Menschen tatsächlich motiviert, dabei zu sein, statt ihren Fluchtinstinkt oder Schlimmeres zu wecken. 

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