Radikale Linke und Palästinenser - Die Koalition der Opfer

Die letzten Wochen haben bizarre Koalitionen ans Licht gebracht. Queer-Aktivisten, intersektionale Feministinnen und Antirassisten bejubelten die islamistische Hamas. Die Erklärung hierfür findet sich in der Geschichte der neuen Linken. Zeit, die dort kultivierten Opfer-Narrative zu entlarven.

Kommunistisch-propalästinensisches Graffiti in Berlin / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Wer behauptet, der 7. Oktober, also der Überfall der Hamas auf Israel und der anschließende Massenmord, habe alles verändert, den muss man ernsthaft fragen, in welcher Welt er eigentlich bis zu diesem Datum gelebt hat. Nein, der 7. Oktober hat die Welt nicht verändert. Er hat jedoch allen, die unter dem Eindruck von Klimadebatte, Corona und Ukraine glaubten, das Problem des Islamismus, des islamischen Terrors und des aus islamischen Ländern importierten Gewaltpotentials habe sich irgendwie von selbst erledigt, eines Besseren belehrt.

Die Islamisten gibt es immer noch. In den Moscheen weltweit und auch hierzulande wird immer noch Hass gepredigt: auf Israel, auf Juden, aber auch auf Christen und die gesamte westliche Welt. Und auch islamistischen Terror gibt es immer noch. Besonders mörderisch in Gaza, im Westjordanland und im Libanon. Aber auch an nahezu allen anderen Orten der Welt. Willkommen zurück in der Realität!

Doch der 7. Oktober hat nicht nur die Realitäten hinsichtlich des militanten Islamismus, des Islam und des Antisemitismus all jenen ins Gedächtnis zurückgeholt, die sie zwischenzeitlich vergessen hatten. Überdeutlich wurden auch die bizarren Koalitionen, die sich in den letzten Jahren unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Mehrheitsgesellschaften zwischen den unterschiedlichen Subkulturen unserer bunten Gesellschaft gebildet haben. Da zeigen Antirassismus-Bewegte Verständnis für die Massaker der Hamas, da bekunden Queer-Verbände ihre Solidarität mit einer Terrorgruppe, die vom Mullah-Regime in Teheran am Leben gehalten wird, und die Antifa schwenkt die Palästinenserfahne. Kruder geht es eigentlich kaum noch.

 

Mehr aus der Grauzone:

 

Um zu verstehen, was hier passiert und dass das alles so neu nun auch wieder nicht ist, muss man im Geschichtsbuch ein paar Seiten zurückblättern, genauer: bis zum 9. November 1969. An diesem Tag sollte im Jüdischen Gemeindehaus in West-Berlin eine Bombe explodieren. 250 Menschen waren geladen, der Pogromnacht einunddreißig Jahre zuvor zu gedenken. Ein korrodierter Draht am Zünder verhinderte das Schlimmste. Hinter dem Anschlag steckten die „Tupamaros“, eine linksradikale Gruppe um Dieter Kunzelmann, Kopf der berühmten Kommune 1 und erprobter Aktivist. Die Verantwortung für den Anschlagsversuch übernahm die „Palästina-Fraktion“ der Außerparlamentarischen Opposition (APO). Ein Flugblatt war mit „Schalom + Napalm“ überschrieben.

Groteskes Weltbild der radikalen Linken

Erstmals gab sich hier im Diskurs der radikalen Linken ein groteskes Weltbild zu erkennen, in dem die Palästinenser zunehmend die Rolle des abhandengekommenen Proletariats einnahmen. Zusammen mit Nordvietnamesen und einigen Völkern Süd- und Mittelamerikas standen sie für die Opfer von Kapitalismus und Imperialismus. Die Helden hießen Ho Chi Min, Fidel Castro, Mao Zedong, Che Guevara und zunehmend auch Jassir Arafat. Dass die spätere erste Generation der RAF um Gudrun Ensslin und Andreas Baader sich schon 1967 nach dem Tod von Benno Ohnesorg als die neuen Juden fantasierte, die vom faschistischen Staat vernichtet werden sollten, war somit ebenso peinlich wie im gewissen Sinne visionär.

Innerhalb weniger Jahre etablierte sich ein Opferdiskurs, der ebenso absurd wie erfolgreich war und sich als Identitätsangebot nachhaltig verfestigte. Farbige in den USA, Feministinnen, Queer-Aktivisten und inzwischen sogar Klimabewegte – sie alle sehen sich als Opfer des Faschismus, der mit einer weißen, maskulinen, heterosexuellen Kultur gleichgesetzt wird. Diese Kultur ist zutiefst imperialistisch, rassistisch und ausbeuterisch. Und der herausragendste und perfideste Vertreter dieses neuen/alten Faschismus ist nach dieser verdrehten Logik neben den USA eben Israel.

Opfer-Erzählungen mit bizarren Effekten

In spätmodernen, globalisierten und pluralistischen Gesellschaften, in denen das Gefühl für die persönliche Identität zunehmend abhandenkommt, haben sich Opfer-Erzählungen etabliert, die nicht nur Halt und Orientierung bieten, sondern auch ein klares Schwarz-Weiß-Schema und – ganz nebenbei – auch Zugang zu ökonomischen Ressourcen. Man muss sich nur aggressiv genug als Angehöriger einer Opfergruppe inszenieren, und die mediale und auch finanzielle Zuwendung sollte gesichert sein. Das hat den nur auf den ersten Blick bizarren Nebeneffekt, dass homophobe Islamisten und Transgender-Aktivisten an den gleichen Förderungstöpfen hängen, die gleichen Feindbilder pflegen und auf denselben Anti-Israel-Demos marschieren. Und Greta spendet dazu medial Applaus.

Diese Leute, die sich hier als Opfer gerieren, sind nur in den allerseltensten Fällen irgendwelche Leidtragenden. Im ganz überwiegenden Teil handelt es sich vielmehr um Personen, die ihre persönliche Identität aus Hass und Ressentiment schöpfen – und diese dumpfen Aversionen auch noch moralisch vergolden. Dieses nicht nur verlogene, sondern auch noch gefährliche Spiel kann nur durchbrochen werden, indem man das zentrale Narrativ der andauernden Opfer endlich entlarvt und die daran hängende Infrastruktur konsequent zurückbaut.

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