Zur aktuellen Cannabis-Debatte - Recht auf Rausch

Auch unser Genusskolumnist ist dem gelegentlichen Genuss von Cannabis-Produkten nicht abgeneigt. Die aufgeregte Debatte um die Teillegalisierung dieser seit Jahren etablierten Alltagsdroge ist für ihn nur schwer nachvollziehbar.

Ein Mann raucht in der Öffentlichkeit: Cannabis ist in der Alltagskultur längst angekommen / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

So erreichen Sie Rainer Balcerowiak:

Anzeige

Wäre man Zyniker, könnte man fast von Glück reden, dass es mit dem Krieg in der Ukraine, der Inflation und der von den Grünen brachial eingeforderten „Heizungswende“ wichtigere Themen gibt als den Umgang mit einer seit 12.000 Jahren bekannten Nutzpflanze, die seit über 2500 Jahren auch als Rauschmittel genutzt wird. Wäre dies nicht der Fall, würde der mediale Hype um die nunmehr auf den Weg gebrachte Teillegalisierung von Cannabis noch ganz andere Kapriolen hervorbringen als ohnehin schon.

Vor allem bayerische Politiker – bekanntlich Drogenkonsum nicht immer abgeneigt – haben sich in dieser Debatte schon seit Jahren immer wieder auf die Comedy-Ebene begeben. Unvergessen ist zum Beispiel Marianne Mortler, die in ihrer zeitweiligen Rolle als Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen eine Journalistenfrage, warum denn Alkohol erlaubt und Cannabis verboten sei, kurz und bündig beantwortete: „Weil Cannabis eine illegale Droge ist.“

Legalisierung light

Aktuell sorgt auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), von dem gefühlt 1000 Bilder mit erhobenen Maßkrügen im Netz kursieren, mit einem Tweet für Heiterkeit, den er mit dem flammenden Appell „Hände weg von Drogen“ beendete. Und sein Koalitionspartner Hubert Aiwanger beschwor relativ wirr irgendwelche „Bahnhofsdealer“, die jetzt ungestört ihren Geschäften nachgehen könnten.

Aber worum geht es eigentlich? Die Pläne der Bundesregierung sehen vor, dass in Deutschland künftig der Besitz von maximal 25 Gramm Cannabis und der Eigenanbau von höchstens drei Pflanzen straffrei sein sollen. Der Konsum natürlich auch. Außerdem soll der Anbau und die Abgabe der Droge in speziellen, nichtkommerziellen Vereinen ermöglicht werden. Der ursprünglich geplante freie Verkauf von Cannabis für Erwachsene in Fachgeschäften soll erst in einem zweiten Schritt und zunächst nur in Modellregionen mit wissenschaftlicher Begleitung erprobt werden. Alle anderen Formen des Handels bleiben illegal.

Drogen sind nicht harmlos, aber Verbote bringen nichts

Der Vergleich zwischen der „Gefährlichkeit“ von Alkohol und Cannabis ist müßig. Zwar gibt es laut übereinstimmender wissenschaftlicher Erkenntnis in Deutschland keine direkt auf Cannabis zurückzuführende Todesfälle, bei Alkohol hingegen sehr viele. Dennoch ist unbestritten, dass regelmäßiger Cannabiskonsum zu massiven Persönlichkeitsveränderungen, depressiven Verstimmungen, Unruhe, Angst bis hin zu Panikattacken und Wahnvorstellungen führen kann – Alkohol allerdings auch.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Natürlich ist der Gebrauch von Drogen auch eine gefährliche Gratwanderung, und nicht jeder Mensch ist reif und stabil genug, damit selbstverantwortlich umzugehen. Das gilt allerdings auch für das Führen von Kraftfahrzeugen. Und natürlich sind die Grenzen zwischen gelegentlichem Rausch als Genuss und manifester Sucht ziemlich fließend – wohl weniger bei Cannabis, aber umso mehr bei Alkohol, bestimmten Medikamenten, Opiumderivaten und neuen synthetischen Drogen. Verbote bringen aber erfahrungsgemäß eher wenig. Die US-Prohibition für Alkohol war ein ähnlicher Reinfall wie die rigorose Anti-Drogen-Politik vieler Staaten. Diese Irrläufer waren und sind stets Turbo-Booster für die Organisierte Kriminalität.  

Cannabis ist längst Alltagskultur

In Deutschland gibt es seit Jahren eine juristische Grauzone. Zwar stellt das Betäubungsmittelgesetz bislang auch den Besitz von Kleinstmengen zum Eigenbedarf im Prinzip unter Strafe, aber alle Bundesländer haben inzwischen Bestimmungen, laut denen bei geringen Mengen von einer Strafverfolgung abgesehen werden kann beziehungsweise soll – aber nicht muss. Und in vielen deutschen Großstädten ist der Umgang mit Cannabiskonsum inzwischen recht entspannt. Wer auf seinem Balkon ein paar Pflanzen zieht oder im Park und in den Außenbereichen entsprechender Cafés genüsslich seine Tüte raucht, wird kaum befürchten müssen, von übereifrigen Beamten auf die Wache gezerrt zu werden. Und selbst von Haschisch-Schwaden begleitete öffentliche „Hanf-Paraden“ werden in vielen Städten – auch CDU-regierten – von den Behörden geduldet.

Gelegenheitskiffer finden sich längst in allen Altersgruppen und in allen Teilen der Gesellschaft. Es gibt sie in allen Parteien (von der AfD weiß ich es allerdings nicht), in Behörden, im Freundes- und Bekanntenkreis, unter Arbeitskollegen. Der Wunsch nach einem gewissen Rauschzustand ist integraler Bestandteil der gesamten Menschheitsgeschichte und wichtige Triebfeder kultureller Entwicklungen. Die Idee einer „drogenfreien Gesellschaft“ als anzustrebendes Ziel ist wenig mehr als eine zwangsneurotische Wahnvorstellung. Prävention und Aufklärung sollten eben nicht unter dem Motto „Hände weg von Drogen“ angeboten werden, sondern junge Menschen zum bewussten, verantwortungsvollen Umgang mit Drogen befähigen. Und schon in den 1990er-Jahren bezeichnete der spätere Bundesrichter Wolfgang Neskovic „das Recht auf Rausch“ als Grundrecht im Sinne der „freien Entfaltung der Persönlichkeit“.   

Jedenfalls wirkt die aktuelle Debatte um die Teillegalisierung von Cannabis seltsam entrückt und sehr fern von der gesellschaftlichen Realität. Für Gelegenheitskiffer (zu denen ich auch gehöre) ändert sich ohnehin wenig. Ich werde wieder ein paar Pflanzen ziehen und hier und da mit Freunden ein paar Tüten rauchen. Und natürlich ab und zu ein paar Bier oder einen guten Wein trinken. Denn Genuss ist bekanntlich Notwehr. 

Anzeige