Freiheitsrechte und Selbstverantwortung - Das schleichende Gift des Kollektivismus

Quoten, Gleichstellung, Bürgergeld, Dienstpflicht, paternalistische Infektionsschutzmaßnahmen: In der vergangenen Woche hat das kollektivistische Denken wieder einmal Triumpfe gefeiert. Autonomie, Selbstverantwortung und individuelle Freiheitsrechte gelten hierzulande wenig bis nichts. Und der Zeitgeist fördert das politisch betreute Leben weiter.

Jeder soll sich brav in die „Solidargemeinschaft“ eingliedern: Lauterbach-Rede im Bundesrat / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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„Der Staat ist denn auch von Natur ursprünglicher als das Haus oder jeder Einzelne von uns. Denn das Ganze muss ursprünglicher sein als der Teil“, heißt es bei Aristoteles. Vielleicht liegt hier die Ursünde allen politischen Denkens. Denn seit Aristoteles – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – wird Politik immer vom Staat her gedacht. Und nicht vom Individuum aus. Das war vor 2.300 Jahren so. Das ist heute interessanter Weise nicht anders.

Dabei ist in der Zwischenzeit viel passiert. Insbesondere in den letzten 250 Jahren. Aufklärung, Revolution, bürgerliche Gesellschaft, Emanzipationsbewegungen, Individualisierung – man könnte meinen, die Befreiung des Einzelnen aus dem Zwangsgriff der Ideen, Kollektive und Systeme sei inzwischen erfolgt. Doch weit gefehlt. Das kollektivistische Denken ist auch noch Anfang des 21. Jahrhunderts in geradezu pathologischer Form tief in unserer angeblich so individualistischen Gesellschaft verankert. Der Individualismus äußerst sich allenfalls auf der Konsumebene und im alltäglichen Narzissmus.

Eine kollektivistische Mentalität

Ein besonders trauriges Beispiel für die hierzulande dominierende kollektivistische Mentalität gab die vergangene Politwoche ab. Es begann mit dem CDU-Parteitag am letzten Wochenende. Wer sich naiver Weise von der Union ein Aufbäumen gegen den rotgrünen Politzeitgeist erhofft hatte, gegen Quotierungen, gegen dubiose Sozialzwangsdienste und Gleichmachungswahn, der sah sich bitter enttäuscht. Denn es kam wie es kommen musste.
 

Mehr aus der „Grauzone“:


Unter Führung von Friedrich Merz – angeblicher Hoffnungsträger aller Liberalen und Konservativen – beschloss die CDU nicht nur eine Frauenquote, sondern schrieb in ihr Grundsatzprogramm auch den autoritären Begriff der „Gleichstellung“ (statt der liberalen „Gleichberechtigung“) und stimmte mit großer Mehrheit für eine allgemeine Dienstpflicht. Wohlgemerkt: Man stimmte nicht für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, für die man mit guten Gründen argumentieren kann, sondern für die Zwangsverpflichtung junger Menschen zu irgendwelchen Sozialdiensten. Das ist paternalistische Volkspädagogik in Reinform.

Jeder soll sich brav eingliedern 

Nach der CDU kam dann Hubertus Heil mit seinen Bürgergeld. Individuelle Verantwortung für das eigene Leben? Anderen nicht zur Last fallen? Den eigenen Lebensunterhalt verdienen, statt von der Gemeinschaft alimentiert zu werden? Fehlanzeige. Stattdessen startet man durch in das bedingungslose Grundeinkommen, also Geldzuwendungen allein für das zweifelhafte Verdienst, überhaupt zu existieren. Dass das Ganze auch noch Bürgergeld heißt, ist reiner Zynismus. Denn mit Bürgerlichkeit, also mit Pflicht, Arbeitssinn und Fleiß, hat das Bürgergeld nun wirklich nichts zu tun. Und was ist mit den Millionen Menschen, die durch ihre Steuerzahlung den Geldregen finanzieren? Sind das keine Bürger? – Die Wortwahl ist mehr als verräterisch.

Und zu guter Letzt kam dann die revidierte Fassung des Infektionsschutzgesetzes, was bedeutet: Maskenpflicht in Zügen, mögliche Maskenpflicht in geschlossenen Räumen, mögliche Maskenpflicht in Schulen, Testverpflichtungen usw. Dass Vergleiche mit anderen Ländern zeigen, dass die Maskenpflicht keine signifikante Auswirkung auf das Infektionsgeschehen hat, spielt keine Rolle. Länder wie etwa die Schweiz oder Österreich, die kulturell auf jeden Fall vergleichbar sind, haben teilweise ein günstigeres Infektionsgeschehen als das maskierte Deutschland. Abgesehen davon, dass die Fallsterblichkeit von Corona bei 0,1 Prozent liegt.

Doch Freiheitsrechte und Selbstverantwortung haben hierzulande noch nie hoch im Kurs gestanden – und zählen zunehmend immer weniger. Stattdessen achtet man wütend darauf, dass sich jeder brav in die „Solidargemeinschaft“ eingliedert. Wer darüber seinen Unmut bekundet gilt als asozial, egoistisch oder als rechts.

Der Kern des Problems

Schon das anfangs angeführte Aristoteles-Zitat benennt unfreiwillig den Kern des Problems: Es ist die Idee von Politik selbst. Denn Politik bedeutet noch immer, die Gesellschaft gestalten zu wollen. Dass „die“ Gesellschaft eigentlich Individuen sind, die vielleicht gar nicht gestaltet werden wollen, sondern einfach in Ruhe gelassen, gerät dabei immer wieder aus dem Blick. Die einzige Maßnahme gegen die zunehmende Kollektivierung wäre es daher, weniger Politik zu wagen. Das aber würde voraussetzen, dass die Politik sich selbst abschafft. Doch das wird nicht geschehen. Damit ist der Weg in immer mehr Vorschriften, Regelungen und Verbote vorgezeichnet. Am Ende wird das politisch rundum betreute Leben stehen.

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