Michel Houellebecq - Ein Porno für das Abendland

Der französische Autor Michel Houellebecq hat in einem Porno mitgespielt, möchte die Veröffentlichung nun aber verhindern. Offenbar ist ihm erst nach dem Dreh aufgefallen, dass die Rettung des Abendlandes durch einen Sexfilm keine schlüssige Erzählung ist.

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Autoreninfo

Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Selbst seine publizistischen Kritiker kamen nicht umhin, Michel Houellebecq – verkniffen zwar, aber eben doch – eine „große Erzählkunst“ zu attestieren. Manchen gilt er gar als „Miraculix der Literatur“. Ein politisch durch und durch unkorrekter Autor, der aber herausragend und mit dem Finger am Puls der Zeit schreiben kann, lässt sich eben nicht so einfach ignorieren. Noch nicht. Denn wahrscheinlich hat Houellebecq jetzt das geschafft, was seine linken Kritiker über Jahre nicht vermochten: ihn politisch aus dem Weg zu räumen.

Dabei geht es gar nicht um die gegen ihn gerichtete Anzeige des Rektors der Großen Moschee zu Paris Ende 2022 wegen „Aufstachelung zum Hass gegen Muslime“. Hintergrund für den damaligen Vorgang war ein 45-seitiger Disput des Schriftstellers mit dem Philosophen Michel Onfray in der Zeitschrift Front Populaire. In diesem ging es um die ganz großen Themen des christlichen Abendlandes: den demografischen Niedergang, Sterbehilfe, Euthanasie, Abtreibung, die Todesstrafe, den „großen Austausch“ („grand remplacement“) – und eben den Islam. 

„Desexualisierung“ des Abendlandes

Weil Muslime eine weitaus größere Geburtenrate hätten als der Westen und der Islam außerdem eine kraftvolle Religion sei, so Houellebecq, werde er letztlich die europäischen Gesellschaften erobern. Und dann fielen jene Worte, die zur Anzeige führten: „Es wird Anschläge und Schießereien in Moscheen geben, in Cafés, die von Muslimen besucht werden, kurz: umgekehrte Bataclans.“ Houellebecq betätigte sich daher gar nicht als politischer Hetzer, sondern als dystopischer Prognostiker. Er schilderte nicht, was er will, sondern nur, was er befürchtet. Auch das mag dazu beigetragen haben, dass der Rektor die Anzeige schließlich zurückzog.

In dem Gespräch mit Onfray beklagte Houellebecq allerdings auch eine Tendenz des Westens zur Desexualisierung („L’Occident a tendance à se désexualiser“). Die niedrigen Geburtenraten der Abendländer im Verhältnis zu den hohen Geburtenraten der Muslime scheinen dabei ein wesentlicher Grund für diese Einschätzung zu sein. Und als wollte Houellebecq, in dessen Texten Sexualität ohnehin stets präsent ist, höchstpersönlich etwas gegen die „Desexualisierung“ des Abendlandes tun, hat er nun einen Porno gedreht.
 

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Eigentlich handelt es sich dabei, nach allem, was man bisher weiß, allerdings eher um eine Porno-Doku mit Houellebecq als Hauptdarsteller. Der Regisseur vom niederländischen Künstlerkollektiv „KIRAC“ (Keeping It Real Art Critics), Stefan Ruitenbeek, erklärt das Zustandekommen des Filmes so: Houellebecq habe ihm erzählt, dass seine Frau eine Hochzeitsreise nach Marokko organisiert habe. Dazu sollte auch gehören, dass er sich mit mehreren Prostituierten vergnügt. 

Aber die Reise habe letztlich nicht stattgefunden aus Angst vor einer möglichen Entführung durch Islamisten. Ruitenbeek unterbreitete Houellebecq dann das Angebot, einfach nach Amsterdam zu kommen. Er kenne da ein paar Damen, die mit dem großen Schriftsteller gerne in die Kiste hüpfen würden. Einzige Bedingung: Er dürfe alles filmen und es anschließend als Film Nummer 27 des Kollektivs veröffentlichen. Houellebecq willigte vertraglich ein. Houellebecqs Frau hat nach dessen Angaben sogar ein Drehbuch zum Film beigesteuert.

Eigentlich war die Premiere für den 11. März 2023 geplant. Aber nachdem Houellebecq den Trailer in Augenschein genommen hatte, ging ihm wohl ein Licht auf. Ein Pornodarsteller taugt symbolisch ja auch kaum dazu, das Abendland zu verteidigen. Er empfinde „Scham“ und „Ekel“, gestand er ein. Ruitenbeek sei einfach ein „widerlicher Mensch“, sagte Houellebecq in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Er hätte den Vertrag vor Unterschrift doch gar nicht richtig gelesen: „Ich habe nichts gegen Pornografie, aber es ist mein Körper. Ich entscheide.“

Houellebecq zog daher inzwischen sogar zweimal gegen die Veröffentlichung des Filmes vor Gericht – und verlor. Seitdem ist der Trailer zwar offiziell aus dem Verkehr gezogen, aber hier und da dennoch im Internet auffindbar. Auf den Seiten von „KIRAC“ kann man sich in eine Mailingliste eintragen, um über den letztlichen Start des Films informiert zu werden.

Seine moralische Autorität ist nun dahin

Houellebecq ist in Frankreich nicht nur ein Schriftsteller. Er ist eine Referenzfigur, eine Autorität im politischen Diskurs. Auf ihn konnten sich bisher diejenigen seiner Leser stützen, die nicht wortgewaltig genug sind, um sich mit Argumenten selbst zu verteidigen. Ein schnell eingestreuter Hinweis auf „Le grand Houellebecq“ legitimierte so manchen Standpunkt: die Verteidigung des christlichen Abendlandes, die Zurückdrängung der Islamisierung Frankreichs, das Bekenntnis zum französischen „souveränistischen Republikanismus“, zur Verteidigung des Eigenen also. Aber damit dürfte es jetzt vorbei sein. Einer der führenden rechten Intellektuellen Frankreichs hat sich symbolisch und moralisch selbst aus dem Rennen genommen.

In dem Gespräch zwischen dem berühmten Schriftsteller und dem Philosophen Onfray merkte letzterer an, dass die Muslime die Verschleierung der Frau wie folgt rechtfertigten: Während der Westen sie körperlich zur Schau stelle und sie so einem „Sexmarkt“ zuführe, gebe die Verschleierung ihnen ihre „Würde“ (dignité) zurück. Tja, das Abendland und die Würde. War da mal was?

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