Weihnachten in Zeiten von Krieg und Inflation - Die besinnliche Flucht vor der Dauerkrise

Unser Genusskolumnist kann sich kaum noch an ein normales Weihnachtsfest erinnern. Nach Corona dominieren jetzt Krieg und Inflation die Stimmung, und die „Frohe Botschaft“ klingt seltsam entrückt. Doch ein festliches Menü sollte es trotzdem geben.

Anzeige

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

So erreichen Sie Rainer Balcerowiak:

Anzeige

Jetzt ist es also wieder soweit: Christen in aller Welt feiern das Fest der Liebe, des Glaubens, des Friedens, der Hoffnung und der frohen Botschaft. Auch viele Anders- oder Nichtgläubige nutzen dieses Ereignis gerne für ein paar besinnliche Tage.

Das klingt inzwischen wie ein Märchen aus längst vergangenen Tagen. 2020 und 2021 war Weihnachten vor allem von Corona geprägt, sei es durch den Lockdown oder durch die Impfregeln, mit denen Menschen ohne nachgewiesenen Impfschutz sogar von Familienfeiern ausgesperrt werden sollten. 2021 schrieb ich in der Weihnachtsausgabe dieser Kolumne: „Es wird viel Streit an den Festtagstafeln geben, denn selten hat ein Thema die Gesellschaft so tiefgreifend polarisiert wie der Umgang mit der Pandemie.“

Statt Corona jetzt Krieg und Inflation

Jetzt ist Corona zwar immer noch da – und wird wohl auch bleiben –, spielt aber in der Wahrnehmung keine zentrale Rolle mehr. Stattdessen tobt seit rund zehn Monaten mitten in Europa  ein zuvor in dieser Form nicht für möglich gehaltener Krieg. Doch an dessen alltägliches Grauen haben wir uns anscheinend gewöhnt. In diesem Krieg sterben – anders als zuvor in Afghanistan und Mali – zwar keine deutschen Soldaten, aber beteiligt sind wir trotzdem. Wir liefern Waffen und bilden ukrainische Soldaten aus. Und wir haben quasi eine „zweite Front“ eröffnet, einen Wirtschaftskrieg gegen Russland, an dessen Sinnhaftigkeit erhebliche Zweifel bestehen, die nur allzu berechtigt sind.

Dafür zahlen wir jetzt die Zeche, vor allem in Form von für viele Menschen kaum noch zu bewältigenden riesigen Preisschüben bei Energie und Lebensmitteln. Sowie in Form einer allmählich sichtbar werdenden Erosion der ökonomischen Basis unseres Landes. Und in Form einer allgemeinen Ratlosigkeit bis hin zur Abstumpfung, in der selbst ein beispielloser terroristischer Akt gegen zivile maritime Infrastruktur, wie die Sprengung der Nord-Stream-Pipeline, bereits einige Wochen später niemanden mehr ernsthaft zu interessieren scheint.

In Kiew, Charkiw, Odessa und anderen ukrainischen Städten gehen jetzt regelmäßig die Lichter und die Heizungen aus, auch zu Weihnachten. Bei uns laufen sie noch. So gesehen können wir also ein ziemlich privilegiertes Weihnachtsfest feiern – und sollten das auch tun. Auch wenn der ursprüngliche ideelle Gehalt dieses Festes – Glaube, Liebe, Hoffnung, Frieden, Frohe Botschaft – seltsam entrückt wirkt. Da steht dann auch die „Letzte Generation“ nicht abseits: Um die Welt zu retten, haben ihre Aktivisten am Mittwoch die Spitze des großen Weihnachtsbaums am Brandenburger Tor in Berlin abgesägt.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Egal: Bei mir steht – wie seit vielen Jahren üblich – ein „festliches“ Menü in kleinem Kreis auf dem Programm. Aber auch als durchaus ambitionierter und experimentierfreudiger Hobbykoch habe ich nicht – wie einige Zeitgenossen – den manischen Drang, das (Küchen-)Rad immer wieder neu zu erfinden. Diesmal gibt es Bewährtes aus meinem Erfahrungsschatz – allerdings neu kombiniert. Anlassgemäß gönne ich mir und meinen Gästen hochwertige – und somit teilweise auch relativ hochpreisige – Grundzutaten und ebensolche Weine.

Nach dem „Gruß aus der Küche“ (für den ich mir noch was einfallen lassen muss) folgt als erster Gang eine anständige Portion Föhrer Miesmuscheln, die sich deutlich von der allgegenwärtigen abgepackten holländischen Massenware unterscheiden. Die werden bei mir im Sieb gedämpft. Der Sud besteht aus Wasser, Weißwein, Knoblauch, Chili, Limettenabrieb und Meersalz. Dazu Baguette.

Beim Wein fiel die Wahl auf meinen absoluten Lieblings-Weißburgunder, den ich schon seit vielen Jahrgängen verfolge. Der „2019 Weißburgunder -S- trocken“ vom Weingut Dautel ist ein elegantes Gesamtkunstwerk, das schon bei der ersten Annäherung mit seinen zitronigen, nussigen, kräutrigen und rauchigen Anklängen betört. Am Gaumen dann dazu ganz viel leicht buttriger Schmelz, eine Spur Vanille, ein paar Fruchtnoten (Aprikose, Apfel) und straffe Säure. Für Muscheln bei dieser Zubereitung ein Traumpartner.

Rehkeule, Rotkraut, Lemberger: Ein Traum-Trio

Während sich die Festgesellschaft noch an diesem Gang labt, schmort die Brandenburger Rehkeule noch im Ofen. Was man vorher so alles mit ihr anstellen sollte, wurde in dieser Kolumne bereits vollumfänglich dargestellt. Aber das war einfach so gut, dass ich es in diesem Jahr erneut als Hauptgang auftische. Mit Rotkraut und Kartoffelklößen.

Auch dazu gibt es diesmal einen ganz besonderen Wein. Dass die in Württemberg sehr verbreitete Rebsorte Lemberger ein hervorragender Begleiter für Wildgerichte ist, hat sich ja wohl rumgesprochen. Zur absoluten Spitze in diesem Weinbaugebiet gehört das Weingut Schnaitmann. Sein „2020 Simonroth Lemberger trocken“ ist ein nahezu kongenialer Partner für die kräftig gewürzte Rehkeule. Er harmoniert sogar mit dem Rotkohl, was oftmals ein schwieriges Kapitel bei der Weinbegleitung ist. Der Simonroth bietet Saft und Kraft und ein sattes Aromen-Füllhorn: Veilchen, trockene Kräuter, schwarzer Pfeffer, Johannisbeere, Sauerkirsche, Johannisbeere und etwas Holz – und nahezu perfekt eingebundene Säure. Das Reh wird sich freuen.

Man kann auch ohne Weihnachten schlemmen     

Natürlich gibt es auch noch eine Nachspeise. Aber zum Bratapfel wurde an dieser Stelle ebenfalls bereits alles gesagt. Und welchen edelsüßen Wein ich dazu servieren werde, war bis zur Abgabe dieser Kolumne noch nicht klar. Danach noch gerne einen Espresso und einen Quitten- oder Zwetschgenbrand.

Dass diese Kolumne natürlich viel zu spät kommt, um eine realisierbare Empfehlung für die aktuellen Feiertage darstellen zu können, ist klar. Aber das macht nichts. Denn solche Genussmomente, also exquisites Essen und tolle Weine mit angenehmen Gästen, brauchen wir derzeit ganz dringend – und eben nicht nur an Weihnachten.

Anzeige