Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Teresa Enke gegen Gorki-Theater - Ein absehbarer Skandal

Teresa Enke wirft dem Gorki-Theater vor, ihre Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Wie viel Berechnung steckt hinter dem Skandal?

Autoreninfo

Christophe Braun hat Philosophie in Mainz und St Andrews studiert.

So erreichen Sie Christophe Braun:

Ja, die Kunst ist frei: Alles und jeden darf sie sich zum Gegenstand wählen. Aber auch für diese Freiheit gelten einige wohlüberlegte Einschränkungen. Zum Beispiel im Fall realer Personen: Sofern an deren Darstellung kein begründetes öffentliches Interesse besteht, dürfen sie sich dagegen wehren. Die Darstellung muss dann gegebenenfalls verfremdet, auf Andeutungen reduziert werden.

Armin Petras, der scheidende Intendant des Maxim-Gorki-Theaters, scheint von dieser Unterscheidung nicht viel zu halten. Anders lässt sich die Posse um sein am Samstagabend uraufgeführtes Stück „Demenz Depression und Revolution” nicht erklären.

Das Stück erzählt  im mittleren von drei Teilen vom Leben und Sterben des ehemaligen Nationaltorhüters Robert Enke. Der Fußballer litt an schweren Depressionen und nahm sich im November 2009 das Leben. Da auch Enkes Frau Teresa und die gemeinsame, im Alter von zwei Jahren verstorbene Tochter auf der Bühne präsent sind, hat Teresa Enke jetzt ihre Anwälte eingeschaltet. Ihr Vorwurf: Das Stück verletze sie und das Kind in ihren Persönlichkeitsrechten.

Der Verdacht drängt sich auf, dass die Verantwortlichen am Maxim-Gorki-Theater diesen Skandal vorsätzlich gesucht haben. Das wäre zynisch – aber durchaus effektiv, wie die mediale Resonanz zeigt: Keine Zeitung, die in den vergangenen Tagen nicht von der Auseinandersetzung berichtet hätte.

Im Untertitel bezeichnet Petras sein Stück als eine „Studie zu drei Mythen der Gegenwart”. Die drei Phänomene Demenz, Depression und Revolution sollen „als Mythen”, also auf das ihnen innewohnende Allgemeingültige hin, untersucht werden. Für den ersten Teil, „Im Schmetterlingsgrund”, und den dritten Teil, „Tagebuch eines Revolutionärs” mag das zutreffen. Aber im mittleren Teil, „Schwarzer Hund”, missglückt der Versuch.

[gallery:Die zehn wichtigsten Regisseure]

Der „Schwarze Hund” ist ein konzentriertes Zweipersonenstück. Ein Mann und eine Frau erzählen von ihrem gemeinsamen Leben: Er ist Profifußballer, Torwart, spielt in Deutschland, Portugal, Spanien, dann wieder in Deutschland. Sie begleitet ihn, verliert sich in palastartigen Villen, erlebt seine Siege mit und seine Niederlagen, kauft einen Hund nach dem anderen, unterstützt ihn in seinen immer öfter wiederkehrenden depressiven Phasen, träumt von einem anderen, einfacheren Leben. Sie bekommen ein Kind, es ist herzkrank, im Alter von zwei Jahren stirbt es. Die Versagensängste des Torwarts nehmen zu; schließlich nimmt er sich das Leben. 

Dass es sich um die Geschichte von Robert und Teresa Enke und ihrer gemeinsamen Tochter handelt, wird bald klar: Alles ist da, die wenigen verfremdenden Momente wirken angesichts des prominenten Stoffes scheinheilig. Und darin liegt das Problem: Im zweiten Teil wird eben kein „Mythos” untersucht – hier wird eine ganz einzigartige Tragödie nacherzählt.

Seite 2: Teresa Enke wusste nichts von der Inszenierung

Der Regisseur wollte das Schicksal des Torwarts „in einen archetypischen und damit allgemeingültigen Fall” überführen, so das Gorki-Theater in einer ersten Stellungnahme. Davon kann keine Rede sein: Hier werden, Schritt für Schritt, Leben und Sterben Robert Enkes nachvollzogen; allgemeingültig ist da nichts. Keine Archetypen treten auf, sondern Individuen. In diesem Sinn scheitert das Stück also an seinem eigenen Anspruch. 

Dass dieser Teil der interessanteste, packendste, verstörendste des ganzen Stücks ist, dass die Schauspieler Aenne Schwarz und Michael Klammer in ihren Rollen großartig sind – all das steht auf einem anderen Blatt.

Teresa Enke hat sich seit dem Tod ihres Mannes vor drei Jahren weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Eine einzige Biografie Robert Enkes ist erschienen. Die Film- und Aufführungsrechte an dem Stoff hat sie sich ausdrücklich vorbehalten. Es kommen viele Anfragen, gerade für Spiel- und Dokumentarfilme. Sie lehnt grundsätzlich ab. Dass sie gegen eine Bühnenadaption ihrer Geschichte vorgehen würde, war also absehbar.

Auch deshalb hätte man Frau Enke im Vorfeld kontaktieren müssen. Hat man aber nicht. Sie erfuhr erst am Sonntag nach der Premiere von der Inszenierung – durch den Anruf einer Boulevardzeitung, die um Stellungnahme bat. So jedenfalls erzählt es ihr Anwalt.

Teresa Enke fühlt sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt: Ihr Mann mag eine absolute Person der Zeitgeschichte gewesen sein. Damit kann man das öffentliche Interesse an ihm rechtfertigen. Aber sie und ihr verstorbenes Kind waren – wenn überhaupt – nur vorübergehend relative Personen der Zeitgeschichte. Und dürfen sich damit gegen eine Darstellung wehren.

Das Theater reagierte umgehend auf die entsprechende Anfrage von Frau Enkes Anwalt Heiko Klatt: Bis auf Weiteres wird der mittlere Teil des Stückes nicht aufgeführt.  

Regisseur Armin Petras ist kein Anfänger. Es ist davon auszugehen, dass er die Rechtslage kennt und genau weiß, wie er von realen Personen erzählen darf und wie nicht. Dass bei seinem Flirt mit den Grenzen der Kunstfreiheit Vorsatz im Spiel war, scheint naheliegend.

Ein solcherart kalkulierter Skandal wäre aber nur eines: billig. 

____________________________________________________________

Jetzt den Newsletter von Cicero Online abonnieren!

Liebe Leserinnen und Leser, gerne informieren wir Sie regelmäßig über das aktuelle Angebot von Cicero Online. Bitte tragen Sie hier Ihre E-Mail-Adresse ein und wir schicken Ihnen montags bis freitags unseren täglichen Newsletter.

 

 

 

____________________________________________________________

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.