Unzufriedenheit mit der Ampel - Wut ist nicht antidemokratisch

Je mehr demokratischer Widerstand als undemokratisch diffamiert wird, desto größer wird seine Notwendigkeit. Dies gilt auch für die Bauernproteste, die weder antidemokratisch noch staatsfeindlich sind, sondern durch und durch legitim.

Protestierender Bauer in Berlin / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Neben den Parteien und anderen demokratischen Institutionen existiert eine zweite Stütze unserer Demokratie: die aktive Bürgergesellschaft. Bürgerinitiativen, Ad-hoc-Bewegungen, auch Teile der digitalen Netzgemeinde ergänzen mit ihrem Engagement, aber auch mit ihrem Protest die parlamentarische Demokratie und gleichen Mängel aus“, sagte Joachim Gauck in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag nach seiner Vereidigung zum Bundespräsidenten im Jahr 2012 (hier in voller Länge nachlesbar). 

Es war eine Grundsatzrede über die Verfasstheit unseres Landes, über die liberale Demokratie als politisches Leitmotiv einer Bundesrepublik, in der auch Kritik bis Protest gegen den Status quo nicht als Störgeräusch oder als ein Für-sich im respektive außerhalb des parlamentarischen Prozesses wahrgenommen werden sollte. Sondern als Teil des großen Ganzen, als etwas unbedingt Notwendiges, wenn Demokratie nicht nur als Begriffshülle oder – wirkungsmächtiger, aber dennoch zu banal – als reines Verfahren zur Mehrheitsbildung betrachtet wird. Und Gauck hatte auch recht, wenn er feststellte, dass „anders als die Demokratie von Weimar (…) unser Land über genügend Demokraten (verfügt), die dem Ungeist von Fanatikern, Terroristen und Mordgesellen wehren“. 

Lieber die Füße stillhalten

Vom Gauck’schen Bürgerbeteiligungsprinzip scheint zwölf Jahre später nicht viel hängengeblieben zu sein, wenn man als Beobachter hilflos dabei zusehen musste und weiterhin muss, wie demokratischer Widerstand – Bauernproteste, Corona-Demonstrationen, öffentliche Kritik am Regierungshandeln – eben nicht als ausbalancierendes Element einer lebhaften Demokratie betrachtet, sondern versucht wird, allzu lauten Widerstand a priori als etwas Negatives und der Demokratie Entgegengesetztes, als Fanatismus eben, zu stigmatisieren. 

Vorzugsweise von jenen übrigens, die sich permanent als Verteidiger der Demokratie inszenieren, aber die Demokratie ihrerseits nur zum Begriff, zum Kampfbegriff vielmehr, degradieren, wenn sie meinen, der Bürger habe im Prinzip nur alle vier, fünf Jahre wirklich mitzureden und dazwischen nicht allzusehr aufzumucken. Vom Protest als Ergänzung, als Mängelausgleich ist kaum noch die Rede. Der mündige Bürger ist zur Nervensäge geworden in einem Land, indem der polit-mediale Komplex in Ruhe vor sich hin pädagogisieren und/oder durchregieren möchte. Emanzipation: unbedingt. Aber bitte nicht gegen die Regierung. 
 

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Was ist das für ein Menschenbild?! Was ist das überhaupt für eine Vorstellung vom Staatsbürger, dass dieser die Füße, obwohl wütend, stillhalten und Tag für Tag nur weiter brav malochen gehen soll? Ein Bürger übrigens, der an die Maloche anschließend dem Staat jene von diesem Staat unter Androhung von Gewalt eingeforderten Steuern bedingungslos abzutreten hat, die dann – nicht nur, aber eben auch – als „Demokratieförderung“ in Projekte fließen, die niemand will, in Vereine, die keiner braucht, oder in Utopien, die niemals real werden, während der Staatsbürger selbst mit seinem Reallohn immer ärmer wird. 

Münchner Kaschemme

Es gehört schon eine gehörige Portion Chuzpe dazu, den lauten, aber größtenteils friedlichen Protest zwar nicht zu verbieten – obwohl auch das während Corona mit fadenscheinigen Argumenten von wegen Infektionsschutz schon getan wurde –, aber mit der immer gleichen Leier von einer angeblichen Unterwanderung nicht genehmer Proteste durch irgendwelche bösen Mächte (von rechts, versteht sich) zu delegitimieren; mit der immer gleichen Leier von wegen „Gewaltbereitschaft“ und „Dammbruch“, wenn wütende Bauern mal ein bisschen Rambazamba machen an einer Anlegestelle; mit der immer gleichen Leier von der „Gefahr für die Demokratie“, wenn es mal etwas rustikaler zugeht. 

Die Sensibelchen von gestern – Gutverdiener, die sich bereits ängstigen würden, müssten sie einmal ein Bier in der dunklen Münchner Kaschemme meines Vertrauens trinken – sind offenbar die Politikredakteure und Bundesminister von heute. Und nichts anderes als der Versuch der Delegitimierung, wenn auch über Bande – also hinterfotzig, wie man in Bayern sagt –, war die jüngste videobotschaftliche Einlassung des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck. Er warnte vor dem Ende des demokratischen Staates in Zusammenhang mit Protesten, die eine Mehrheit der Deutschen – je nach Umfrage um die 80 Prozent – unterstützen: die Bauernproteste. 

Habeck: „Es kursieren Aufrufe mit Umsturzfantasien. Extremistische Gruppen formieren sich, völkisch nationalistische Symbole werden offen gezeigt.“ Es werde, so Habeck weiter, sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten sei, was „den legitimen demokratischen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt, sodass nun auch zuvor Unsagbares legitimiert erscheint“. Und überhaupt, so Habeck: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten diese Verunsicherung kapern. Wir dürfen nicht blind sein. Umsturzfantasien heißen nichts anderes, als unseren demokratischen Staat zerstören zu wollen.“ Das Prinzip Habeck, es kommt auch hier wieder durch: pastorale Attitüde, aber den eigenen Laden nicht im Griff. 

Wir sind nicht Weimar

Hätte Habeck doch nur auf Gauck gehört, wenigstens ein bisschen. Denn nein, wir sind nicht Weimar, und unser Land verfügt tatsächlich über genügend Demokraten. So viele, dass die große Unterstützung der Bauernproteste durch die demokratische Mehrheit dazu führt, dass die paar Spinner, die sich auch darunter mischen, problemlos weggeschnupft werden von Organisatoren, Teilnehmern und nicht-teilnehmenden Unterstützern; die – wie meine Wenigkeit – zwar unter jene Schreibtischarbeiter fallen, die wenig Handfestes zu dieser Gesellschaft beizutragen haben, nur Gedanken, aber trotzdem Sympathien für jene hegen, die mit ihren Traktoren nach Berlin fahren. Für diejenigen, die das Land am Laufen halten, und dafür mit Respektlosigkeit von Politik und Medien gestraft werden.  

Warum ich die Bauernproteste begrüße? Was wäre die Alternative? Fröhlich lächelnd durch die ökologisch-sozialistische Transformation in den Untergang tänzeln? Mit Klatschpappen beim nächsten Habeck-Auftritt frohlocken, in der tiefen Hoffnung, der Bundeswirtschaftsminister werde auch zu diesem Anlass, wie jüngst bei einem Moschee-Besuch, zwei unterschiedliche Socken tragen, weil das so schön authentisch wirkt? Oder soll ich mich gar auf den You-will-never-walk-alone-Kanzler verlassen, der sich an gewisse Vorgänge nicht mehr erinnern kann? Oder auf die FDP als Korrektiv eines Bündnisses, das von Anfang an keine gute Idee war? Lieber nicht. Lieber gar nicht regieren als schlecht regieren, das wäre angezeigt. 

Das Land verändert sich

Es geht in der Gesamtbetrachtung der Bauernproteste erstens nicht um die Vorgänge in Schlüttsiel, die ohnehin Interpretationssache sind, und auch nicht darum, ob irgendwo ein Galgen gebastelt wurde. Derlei ist geschmacklos, aber kein Vorbote des drohenden Staatsstreichs, sondern nur ein Im-Ton-Vergreifen. Und es geht zweitens nicht um die Agrardiesel-Subvention, sondern ums Prinzip; darum, dass man in gewissen Kreisen glaubt, man könne gewisse andere Kreise behandeln wie infantile Untertanen, die sich jeder neuen Verordnung, jeder Subventionsstreichung, jeder am Reißbrett erdachten Gängelung und Respektlosigkeit zu beugen hätten. 

Übrigens, während man gleichzeitig die eigenen Leute hofiert, die eigenen Vorfeldorganisationen und so weiter, während man Meldestellen für Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze einrichtet oder keinen Diskussionsbedarf sieht, weil eine Transfrau eine Frau sei – und man sich freut darüber, dass sich das Land verändert, wie Katrin Göring-Eckardt einst zu Protokoll gab. Ja, es ist etwas ins Rutschen geraten, aber anders als Habeck meint: Die Bauernproteste, inklusive ihrer unschönen Facetten, sind nicht Ursache, sondern Wirkung. Eine direkte Folge daraus, dass die Politik ihrer zentralen Aufgabe nicht mehr gerecht wird: dem Wohle des deutschen Volkes zu dienen. 

Wer dann gleichzeitig einen prä-autoritären Nanny-Staat baut, in dem Meinungen nur tolerabel sind, wenn man sie teilt, und jeden, der die Dinge etwas anders sieht, inflationär mit Etiketten versieht wie Corona-Leugner, Putin-Versteher, Klima-Leugner oder „Nazi“, der braucht sich nicht zu wundern über harsche Reaktionen. Wenn ein Bauer einen Galgen bastelt, dann ist das geschmacklos. Wenn Regierungsvertreter und Journalisten ihnen nicht genehme Milieus, die wegen inflationärer Etikettierung zuletzt immer zahlreicher und diverser geworden sind, als Abschaum deklarieren, dann knallt es halt irgendwann. Ein Wunder eigentlich, dass es bisher bei Aktionen wie jener in Schlüttsiel geblieben ist. 

Stellvertreterproteste gegen die Ampel

Aber es geht eben nicht um Schlüttsiel. Es geht darum, dass die Bauernproteste auch Stellvertreterproteste sind für all jene, die mit dem Status quo, ergo: mit der Arbeit der Ampelregierung unzufrieden sind; also die große Mehrheit der Deutschen. Es geht darum, dass die Politik sich weitgehend rauszuhalten hat aus dem Leben der Leute, aber genau das Gegenteil tut oder versucht: nämlich immer mehr ins Leben der Leute eingreift, bis hinein in die Heizungskeller. 

Es geht darum, dass jeder, der noch nicht komplett am Durchdrehen ist ob der drohenden „Klimaapokalypse“, weiß, dass Deutschland den Klimawandel nicht durch irgendwelche Heizungsvorschriften aufhalten und sich uns auch kein Land dieser Welt zum Vorbild nehmen wird, wenn Klimaschutz gleich Deindustrialisierung gleich Wohlstandsverlust bedeutet. Dass parallel Wasser gepredigt und Wein gesoffen wird; dass man modernste Atomkraftwerke abschaltet, um anschließend Kohlestrom aus dem Ausland zu importieren, und allen das Leben schwerer macht, die eigentlich nur ihren wissenschaftlichen, technologischen, industriellen Beitrag leisten wollen, dies und viel mehr kommt noch obendrauf. 

Sparsamkeit und Steuerverschwendung

Immer mehr Menschen haben zudem das Gefühl, dass immer weniger Fleißige immer mehr Nichtstuende durchfüttern, während immer noch an dem Märchen festgehalten wird, dass die Almosenempfänger von heute sicher, aber ganz sicher die steuerzahlenden Fachkräfte von morgen sein werden – obwohl sich Arbeit de facto immer weniger lohnt. Aber wehe, Probleme bei Migration und Integration werden angesprochen, dann kommt die große Keule so sicher wie das Amen in der Kirche, oder der Bundeskanzler streitet, trotz bürgerkriegsähnlicher Zustände in manchen Teilen dieses Landes, einfach ab, dass auch hier französische Verhältnisse drohen. Dass die ersten Opfer einer verfehlten Integrationspolitik selbst Migranten sind, weil es in ihren Vierteln als erstes brennt, daran wird gleichwohl nicht gedacht. 

Gleichzeitig werden irgendwelche Milchmädchenrechnungen aufgemacht. Wie diese: Wer arbeitet, verdient trotz der Erhöhung des Bürgergeldes immer noch mehr als derjenige, der nicht arbeitet. Als wäre es auch nur irgendwie angemessen, dass zwischen Sofasitzen und Lohnarbeit bisweilen nur noch 2,25 Euro Mehrverdienst pro Stunde liegen. Als wäre es kein fatales Signal, den Deutschen mehr Sparsamkeit zu oktroyieren, während immer mehr deutsches Steuergeld verschleudert wird für halbseidene Entwicklungshilfe, für Radwege in Peru oder Toiletten in Afrika. Das kann man machen, selbstverständlich. Aber erst, wenn alle innerdeutschen Baustellen beackert werden und sich auch die politische Elite finanziell endlich am Riemen reißt. Stichwort: Vorbildfunktion. Stichwort: Parlamentsapparat. Stichwort: Friseurrechnungen.   

Kommen und gehen

Vom „Mistgabelmob“ ist nun stattdessen die Rede, und getwittert wird darüber, dass Traktorfahren „offenbar dumm“ mache, wie es einem sehr dummen Tweet eines durchschnittlichen öffentlich-rechtlichen Profiteurs namens Rainald Becker zu entnehmen ist. Mehr Bürgerverachtung von oben geht kaum. Ein Idiot, wer aber glaubt, Ansichten wie jene von Becker seien bei den öffentlich-rechtlichen Medien die absolute Ausnahme. Sind sie nicht im ARD/ZDF-Bürgererziehungsprogramm. 

Und wenn man selbst gerade keine Zeit hat, dann greifen halt „Faktenchecker“ und „gemeinnützige Recherchekollektive“ an; dann melden sich „Künstler“ zu Wort, die demselben Dunstkreis entstammen. Oder man tut einfach gar nichts, wie der Hase, wenn‘s blitzt, weil die eine oder andere wirklich gemeinnützige Recherche die Falschen, die Grünen und Grünbewegten nämlich, treffen würde. Und wenn es dann andere tun, wie Cicero zum Beispiel, dann nennt man das halt „Hetze“.

Dumme Traktorfahrer / Screenshot

Doch jede Zeit hat vielleicht diejenigen gut verdienenden Eliten, die sie verdient, wie eben auch jede Regierung früher bis später den Sturm zu ernten haben wird, den sie als Wind gesät hat. Und wenn die Wände wackeln, dann kann man immer noch behaupten, legitimer Protest sei staatsfeindlich, antidemokratisch, ein Putschversuch. Vorausgesetzt, man hält es nicht mit Hegel, wonach der Staat sittliche Substanz ist, alle Akteure darin aber nur Accidentalitäten, was, vereinfacht ausgedrückt, bedeutet, dass der Staat bleibt, die Staatsbürger – die herrschenden wie die beherrschten – aber kommen und gehen, geboren werden und sterben, ohne dass der Staat daran zugrunde gehen würde. Anders formuliert: Nichts ist alternativlos, auch die Ampel nicht.  

Notwendigkeit des Protests

Wer heute das Ende der Ampelregierung fordert, wer heute wütend ist auf die Ampel und seine Wut artikuliert, hat jedes demokratische Recht dazu. Wut ist nicht undemokratisch oder staatsfeindlich. Es gibt kein Gesetz, das Wut verbietet, nur die Artikulation dieser Wut muss im Rahmen bleiben, ist aber auch immer eine Frage der Perspektive. Was erlauben sich zum Beispiel Akademiker, Politiker, Journalisten, auf jene herabzusehen, die sich möglicherweise nicht so gepflegt auszudrücken wissen wie man selbst? Und woher kommt die Hybris, zu glauben, Diffamierung sei dann legitim, wenn man sie in der politisch noch korrekten Wortwahl betreibt? Oder im Gewande des „Bildungsauftrags“?

Wo legitimer Protest delegitimiert wird, steigt seine Notwendigkeit. Und wer sich als Politiker bereits ängstigt vor legitimem Protest, dem steht es immer frei, seinen Posten zu räumen. Es gab eine Zeit vor der Ampel, und spätestens in zwei Jahren wird es eine Zeit nach der Ampel geben; aber besser früher, weil man bis dahin noch allerlei Schindluder treiben kann. Also sei‘s drum: Landwirte aller Länder, vereinigt euch (wenn ihr möchtet). Es ist euer demokratisches Recht, wütend zu sein und diese Wut in die Öffentlichkeit zu tragen. Die hat das auszuhalten. Ganz egal, was Robert Habeck sagt oder irgendjemand twittert. 
 

Monika Maron im Gespräch mit Alexander Marguier
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