„Code of Conduct“ der Buchmesse - Schaden für die literarische Kultur

Die diesjährige Frankfurter Buchmesse lockt mit unzähligen Werken – und einem „Code of Conduct“, der wie ein Damokles-Schwert über allen Beteiligten hängt. Das kann der Börsenverein des deutschen Buchhandels nun jederzeit auf jene runterfallen lassen, die anderen ein Dorn im Auge sind. Ein eigens eingerichtetes „Awareness-Team“ hilft dabei. Willkommen auf der Denunziationsmesse.

Willkommen auf der Denunziationsmesse: Am 19. Oktober hat die Frankfurter Buchmesse begonnen - politisch besonders korrekt / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Wenn schon die Branche darbt und unter Leserschwund ebenso stöhnt wie unter hohen Papierpreisen, dann muss zumindest die moralische Fassade stimmen – dachte man sich offensichtlich beim Börsenverein des deutschen Buchhandels und gab der seit Mittwoch geöffneten Frankfurter Buchmesse einen „Code of Conduct“. Denn: „Die Messe steht für Diversität; sie lebt von der Vielfalt ihrer Aussteller*innen und Besucher*innen und einem Austausch auf Augenhöhe im offenen Dialog.“

Wer nun denkt: Prima. Endlich geht die Messeleitung gegen linke Aktivisten vor, die 2017 nicht nur vor politisch unliebsamen Verlagen demonstrierten, sondern auch deren Stände und Auslagen demolierten, ist entweder naiv oder hat sich zumindest einen gesunden Sarkasmus bewahrt.

Denn wer die Branche kennt, weiß: Nein, so ist die Sache mit dem „Code of Conduct“ natürlich nicht gemeint. Eher im Gegenteil. Es geht nicht darum, Meinungen und Verlagen jenseits des Üblichen ihre ungestörte Präsentation und Arbeit zu ermöglichen, sondern darum, ein Damokles-Schwert aufzuhängen, das man jederzeit auf jene runterfallen lassen kann, die einem ohnehin ein Dorn im Auge sind, die man aus juristischen Gründen aber nicht einfach aussperren kann.

Belästigt, bedrängt und genötigt 

Schließlich ist man sensibel geworden in unserer Gesellschaft. Man fühlt sich schnell belästigt, bedrängt oder genötigt. Ob das wirklich so ist, spielt dabei keine Rolle. Hauptsache man erzeugt genug Lärm, um irgendwelche angeblichen Verletzungen wirkungsvoll als Mittel des politischen Aktionismus zu instrumentalisieren. Denn möglichst aggressiv vorgetragene Empörung ob angeblicher Diskriminierungen ist im Kampf um die mediale Deutungshoheit bei vielen Aktivisten das bevorzugte Mittel der politischen Auseinandersetzung.
 

Mehr aus der „Grauzone“:


Dieses Vorgehen konnte man exemplarisch im letzten Jahr bewundern, als eine einschlägig bekannte Twitterin und Buchautorin sich durch die Anwesenheit rechter Verlage auf der Buchmesse angeblich bedroht fühlte und diese mit routinierter Hysterie boykottierte. Das Ganze war natürlich vollkommener Unfug. Sich schon durch die Anwesenheit Andersdenkender und deren Schrifttum körperlich bedroht zu fühlen, ist lächerlich. Und entsprechend hätte man seitens der Messeleitung reagieren müssen.

Doch in Frankfurt ist zeitgemäße Polit-PR heilig. Also formulierte man in diesem Jahr besagten „Code of Conduct“. Sollte sich dennoch jemand diskriminiert fühlen, kann er sich an die „Unterstützungsstelle bei Diskriminierungsfällen“ in Halle 4.0 wenden. Dort wartet dann ein „Awareness-Team“, bestehend aus Mitarbeitenden des Bundes für Antidiskriminierungs- und Bildungsarbeit e.V. (BDB). Das soll klarstellen, dass man „keinerlei Belästigungen, Übergriffigkeiten oder unangebrachte Äußerungen gegenüber unseren Besucher*innen, Aussteller*innen, Partner*innen oder Teammitgliedern“ duldet.

Willkommen auf der Denunziationsmesse

Bleibt die Frage: Was hat aus Sicht der Messeleitung als Belästigung, Übergriffigkeit oder unangebrachte Äußerung zu gelten? Der „Code of Conduct“ gibt die Antwort: „Belästigungen beinhalten jede Form von unangebrachten, diskriminierenden verbalen Äußerungen in Bezug auf sexuelle Orientierung, Geschlecht, Geschlechtsidentität, körperliche oder mentale Beeinträchtigungen, Alter, Aussehen, Ethnie, Nationalität oder Religion.“

Das ist eine Gummidefinition, denn als „diskriminierend“ gilt heutzutage alles Mögliche. Schon die Feststellung, dass ein Mann ein Mann ist, kann als Diskriminierung ausgelegt werden. Da ist es nur konsequent, die Definition dessen, was als diskriminierend zu gelten hat, gleich an die Teilnehmer zu delegieren, die ausdrücklich dazu ermuntert werden, „unverzüglich zu melden“, wenn sie belästigt werden „oder bemerken, dass eine andere Person belästigt wird“. Willkommen auf der Denunziationsmesse.

Achtsam, sensibel und auf Linie

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Veranstalter der Messe endlich eine Verordnung in der Hand haben wollten, mit deren Hilfe sie missliebige politische Verlage, Autoren oder Publikationen jederzeit von der Messe ausschließen können. Denn zur Not reicht ja die Beschwerde eines angeblich Betroffenen, um Buchtitel, Herausgeber, Mitarbeiter oder Verleger von der Messe auszuschließen. Die Messeleitung wäre erst einmal auf der sicheren Seite, würde den Applaus der politisch Aufrechten einfahren, und bis zu einer möglichen Gerichtsentscheidung würde sehr viel Wasser den Main runterfließen.

Im Ergebnis haben wir jetzt die weltanschauliche betreute Buchmesse, achtsam, sensibel und auf Linie gebracht. Mit Leidenschaft für Literatur, für Streit, Argumente und Ideen hat das zwar wenig zu tun. Dafür herrscht die flauschige Wohlfühlatmosphäre eines intellektuellen Kindergartens. Den Schaden hat die literarische Kultur.
 

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