Claudia Roths neueste Idee - Kulturpass für 18-Jährige 

Im kommenden Jahr werden alle 18-Jährige einen Kulturpass in Höhe von 200 Euro bekommen. So wurde es in der vergangenen Woche beschlossen. Wieder einmal beschreitet die Regierung hiermit den Weg in den totalen Versorgungsstaat. Noch schlimmer allerdings wiegt die Missachtung von Kultur, die sich hier offenbart.

Kultur im Sonderangebot - wer will noch mal, wer hat noch nicht? Claudia Roth in Spendierlaune / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Anzeige

Geschenke sind was Feines. Nicht nur zu Weihnachten. Und wenn die Geschenke dann auch noch eine gewisse Wertigkeit haben, nicht nur Plunder sind und Schrott, sondern auch noch mit dem Etikett „Kultur“ versehen – wer kann dann schon etwas dagegen haben? 

So oder ähnlich dachte man wahrscheinlich im Hause Claudia Roth, unserer beinah vergessenen Staatsministerin für Kultur und Medien. Dort kam man nämliche auf die bemerkenswerte Idee, allen Jugendlichen, die im kommenden Jahr ihren 18. Geburtstag feiern, unabhängig von Interesse, sozialen Hintergrund und ökonomischen Status, einen sogenannten „Kulturpass“ im Wert von 200 Euro zu schenken, einzulösen innerhalb von zwei Jahren. 

Ganz im Stil des Zeitgeistes schreibt sich der Kulturpass aus nicht nachvollziehbaren Gründen natürlich „KulturPass“. Wofür die Majuskel „P“ dabei genau steht, wird in der Erklärung der Bundesregierung nicht ganz deutlich. Der unbefangene Leser denkt unwillkürlich an „Paternalismus“. Aber das ist vermutlich nicht gemeint. 

Der Haushaltsausschuss des Bundestages gab für das Projekt 100 Millionen Euro frei. Man orientiert sich dabei am französischen „Pass Culture“, der sogar mit 300 Euro pro Jugendlichem munitioniert ist und nach Vorstellung von Präsident Macron junge Franzosen für die Kultur ihres Landes begeistern und politischem und religiösem Fanatismus entgegenwirken soll. 

Der Staat verteilt nach Gutdünken Gunstbeweise und Alimentierungen

Ein ähnliches System wurde schon 2016 in Italien ins Leben gerufen, der „Bonus Cultura“. Der führte allerdings unter anderem zu einem schwunghaften Schwarzmarkthandel mit Konzertkarten. Und einige besonders clevere Einzelhändler deklarierten kurzerhand Spielkonsolen zum Kulturgut um. 

Solchen Missbrauch kann man allerdings relativ leicht ausschließen. Der französische „Pass Culture“ beschränkt den Einkauf bei reinen Verkaufsplattformen oder Streamingdiensten auf 100 Euro. Netflix ist vollständig ausgeschlossen. 

 

Mehr aus der „Grauzone“:

 

Problematisch am Kulturpass ist daher weniger die Missbrauchsanfälligkeit eines solchen Systems oder der dafür aufgewendete Betrag. Ohne jeden Zynismus könnte man sagen: Es werden so viel Steuermilliarden für so viel Unsinn verbrannt – da sind 100 Millionen für Rap-Konzerte oder Platten nicht die schlechteste Idee (Vinylplatten gehören anders als CDs ausdrücklich zur vom Kulturpass geförderten Kultur – der kurzzeitigen „Ton Steine Scherben“-Managerin sei Dank). Und wenn sich wirklich ein interessierter oder auch desinteressierter Jugendlicher in ein Theater oder gar Ballett verirrt – umso besser. 

Nein, was an dem Kulturpass irritiert, ist nicht der laxe Umgang mit Steuergeldern, da gibt es durchaus Schlimmeres, sondern die paternalistische Geste. Zielstrebig steuert die derzeitige Regierung darauf hin, unsere Gesellschaft in ein neo-feudales System umzuwandeln, in dem der republikanische Staat als Feudalherr auftritt und nach Gutdünken Gunstbeweise, Alimentierungen oder umfassende Unterstützung gewährt. 

Kultur wird hier offensichtlich als pädagogisches Mittel begriffen

Das Bürgergeld ist dabei nur das gravierendste Beispiel für diese neue Mentalität. Gleichgültig ob Corona-Unterstützung, Tankrabatt, Heizkostenerstattung oder 9-Euro-Ticket: Das Muster ist immer das Gleiche. Zuerst bringt der Staat die Bürger grundlos und überflüssigerweise in Not. Damit die Wut darüber sich nicht gegen die Regierung wendet, werden die Folgen der verfehlten Politik mit Milliarden kaschiert. Denn auch der Kulturpass wurde mit Hinweis auf den für Jugendliche so schwierigen Corona-Lockdown ins Leben gerufen. 

Verhängnisvoll ist daran zweierlei: Zum einen täuscht die Regierung die Bevölkerung über ihr tatsächliches Versagen hinweg. Zum anderen macht sich eine verhängnisvolle Versorgungsmentalität breit. Warum eigentlich überhaupt noch arbeiten? Wozu für Nahverkehrsmittel bezahlen, fürs Theater oder Kino? Warum werden insolvente Unternehmen nicht einfach generell am Leben gehalten? 

Noch ärgerlicher ist mit Blick auf den Kulturpass jedoch das Verständnis von Kultur, das man im Kanzleramt pflegt. Kultur wird hier offensichtlich als pädagogisches Mittel begriffen, um gefällige Bürger heranzuziehen: angepasst, weltanschaulich auf Linie und politisch genehm. Dass Kultur subversiv sein sollte, die Ideologien der Mächtigen hinterfragen, den Mainstream des Zeitgeistes unterminieren – darauf kommt man schon gar nicht mehr.  

Ernst zu nehmende Kultur und Kunst sollte nicht folgsame Untertanen heranziehen, sondern Menschen in die Lage versetzen, Distanz zur Gesellschaft und ihren politischen Repräsentanten herzustellen. Rio Reiser hätte das immerhin noch gewusst. Aber der hatte auch keinen Kulturpass. 

Anzeige