Eine Dolmetscherkabine auf dem UN-Sicherheitsrat in New York / picture alliance

Außereuropäische Sprachen in der internationalen Öffentlichkeit - English rules the world

Es ist zu befürchten, dass unsere globalen Diskurse zunehmend vom Grad der Anglophonie der Akteure abhängig werden. Doch sollten wir Menschen dabei unterstützen, ihre Gedanken auch in der eigenen Muttersprache in unsere Welt tragen zu dürfen.

Autoreninfo

Andreas Guder ist Professor für Didaktik des Chinesischen sowie Sprache und Literatur Chinas an der FU Berlin. Er ist Vorsitzender des Fachverbands Chinesisch (FaCh) e.V.

So erreichen Sie Andreas Guder:

Im vergangenen Jahr veranstaltete die Wiener Albertina eine große Ai-Weiwei-Retrospektive, im Rahmen derer der Künstler bereitwillig zahlreiche Medieninterviews gab. Wenn man solche, auch als Video vorliegende, Interviews nachliest oder ansieht, stellt man fest, dass sowohl Fragen als auch Antworten sich auf keinem allzu hohen Niveau bewegten – was möglicherweise nicht in der Absicht der fragenden Journalisten lag, sondern damit zu tun hatte, dass die Gespräche auf Englisch geführt wurden – also in einer Sprache, die beide Interviewpartner nicht als Muttersprache hatten. Ai Weiweis Englisch ist akzeptabel, aber ich fragte mich unwillkürlich, ob er uns nicht viel mehr Dinge mitteilen würde, wenn er auf Chinesisch antworten dürfte.

Englisch, englisch, englisch

Ähnlich geht es mir, wenn Repräsentanten anderer Länder oder auch manche Wissenschaftler zum Beispiel als Gäste von Stiftungen in gebrochenem Englisch vor einem Auditorium sprechen, das sich dann aufgrund unklarer Phrasierung, reduziertem Wortschatz oder brüchiger Syntax fragen muss, welche Inhalte der Redner oder die Rednerin hier kommunizieren möchte.

Ja, Simultandolmetscher sind teuer, und für viele Sprachen ist es gar nicht leicht, eine Person zu finden, die die reibungslose Kommunikation zwischen zwei kulturell und linguistisch distanten Sprachen so bewältigen kann, dass man als Zuhörer davon profitiert. Stattdessen erlebe ich immer wieder den erschreckend schnellen und natürlich kostensparenden Konsens, sich in Gesprächen auf Global English zu einigen, ohne Rücksicht auf (inhaltliche) Verluste.

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Es stellt sich die Frage, ob unsere Gesellschaft und Öffentlichkeit zunehmend nur noch auf diejenigen Menschen dieser Welt zu hören bereit ist, die ihre Botschaften auf Englisch kommunizieren können. Kluge Menschen, die uns ihre Gedanken und Erkenntnisse auf Arabisch, Chinesisch oder auch Thai mitteilen könnten, haben keine Gelegenheit, in unserer Medienwelt zu Wort zu kommen. Man darf annehmen, dass der Grund dafür nicht das Desinteresse an deren Ansichten ist, sondern lediglich der Wunsch nach leicht verständlichen und außerdem kostengünstigen Botschaften.

In einer Zeit, in der Qualitätsjournalismus auf dem Rückzug zu sein scheint, können professionelle Dolmetscher erst recht nicht mehr finanziert werden. Aber wohin wird uns das führen? Bei aller Freude darüber, dass es – anders als noch vor 100 Jahren – mit dem Englischen eine globale Sprache der Verständigung gibt, stellt diese doch auch ein Instrument der Selektion dar.

Diskurs über die Rolle von Sprachlichkeit

Es ist zu befürchten, dass unsere Diskurse über die Themen unserer Welt zunehmend vom Grad der Anglophonie der Akteure abhängig werden. Gleichzeitig kennt jeder von uns das Gefühl der diskursiven Unterlegenheit im Gespräch mit Amerikanern oder Briten, die mit dieser Sprache aufgewachsen sind und über eine entsprechend weitaus umfangreichere Ausdrucksfähigkeit verfügen.

Und ich bin als deutscher Muttersprachler mit einer dem Englischen eng verwandten Sprache aufgewachsen – um wie viel schwerer muss ein anspruchsvolles Gespräch auf Englisch oder Deutsch einem arabischen oder vietnamesischen Muttersprachler fallen! Und kaum ein Europäer hat jemals eine außereuropäische Fremdsprache bis zur Perfektion gelernt und weiß, was das bedeutet – aber umgekehrt scheinen wir genau dies vom Rest der Welt zu erwarten.

Wir benötigen einen Diskurs über die Rolle von Sprachlichkeit, gerade im Kontakt mit außereuropäischen Sprachwelten. Wenn wir das bestehende, im Wesentlichen von Englischkompetenz abhängige Ungleichgewicht unserer Wahrnehmung der Welt zu erkennen bereit sind, können wir auch die Gefahren dieser Diskurshoheit für die Welt diskutieren.

Defizit im Verständnis außereuropäischer Sprachkulturen

Die vollkommene Ahnungslosigkeit unsererseits, was zu uns kommende Flüchtlinge, was die Menschen in Afghanistan und zuletzt im Niger oder Gabun tatsächlich denken, hängt meines Erachtens eng mit diesem Problem zusammen: Ungeachtet zunehmender globaler politischer und wirtschaftlicher Verflechtungen wie auch Konflikte beobachten wir in Deutschland (und Europa) auf allen gesellschaftlichen Ebenen ein enormes Defizit im Verständnis außereuropäischer Sprachkulturen.

Aus meiner Perspektive ist fundierte Expertise in diesen Sprachen jedoch für eine europäische Wirtschaftsnation unverzichtbar. Und wer schon einmal versucht hat, ein Fachgespräch mittels künstlicher Intelligenz dolmetschen zu lassen, wird feststellen, dass es zahllose unübersetzbare Begrifflichkeiten und unterschiedliche Kommunikationsstrukturen in allen Sprachkulturen gibt, die der Erläuterung durch Experten bedürfen.

Bundesakademie für außereuropäische Fremdsprachen

Gerade in Deutschland führt die Bildungshoheit der Bundesländer allerdings dazu, dass es unmöglich ist, eine nationale Strategie im Hinblick auf das komplexe Problem außereuropäischer Sprachkompetenzen oder die Förderung diesbezüglicher Bilingualität zu entwickeln.

In diesem Zusammenhang hat der Fachverband Chinesisch (FaCh e.V.) im März 2023 ein Schreiben an mehrere Bundesministerien gerichtet, in dem die Einrichtung einer Bundesakademie für außereuropäische Fremdsprachen angeregt wird, in der Kriterien für Sprachkompetenzen in diesen Sprachen definiert werden, von der Standards für die Dolmetscherausbildung in außereuropäischen Sprachkulturen ausgehen und die die gezielte Förderung bilingualer Staatsbürger in ihrer Zweitsprache in den Fokus nimmt. Eine Antwort ist – auch in der im Juli verabschiedeten China-Strategie – ausgeblieben.

Menschen dabei unterstützen, ihre Gedanken in der eigenen Muttersprache zu äußern

Wir brauchen eine Diskussion darüber, welche Rolle „Sprachlichkeit“ (ein Begriff, an dem übrigens schon das Englische scheitert) in unserer globalen Welt spielen soll. Und wir sollten Menschen weniger in gebrochenem Deutsch oder Simple English sprechen lassen, sondern sie dabei unterstützen, auf Wunsch ihre Gedanken in der eigenen Muttersprache in unsere Welt zu tragen.

Die umfangreiche Förderung von Bilingualität (neben Englisch) in unserem Bildungssystem einerseits und die Förderung der professionellen Ausbildung von Dolmetschern und Kulturmittlern für Sprachen des „Globalen Südens“ andererseits scheinen mir daher essentielle Beiträge für eine bessere, eine vielsprachige Zukunft zu sein.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Jürgen Rachow | So., 24. September 2023 - 12:40

Na die ist bei uns in Deutschland doch ohnehin schon auf dem Vormarsch.
Jüngstes Beispiel, das mir die Haare zu Berge stehen läßt: bei uns im Ort war das städtische Hallenbad einige Monate wegen Umbauten geschlossen. Nun, einige Wochen vor Wiedereröffnung, plakatierte die Stadt mit folgendem Plakattext: "Hallenbad Reopening am....".

Dieses wohl nicht ganz billige großformatige Plakat richtete sich möglicherweise ja an die mittlerweile neu hinzugekommenen Mitbürger. Oder bin ich als schon länger hier Wohnender etwa mitgemeint? Wohl eher nicht. Ich darf diesen Unfug nur mitbezahlen.

roswitha lasser | So., 24. September 2023 - 12:59

heute ist es eben Englisch. Where is the problem?
Bei allem Respekt, aber das Land hat zur Zeit wahrlich andere Probleme als erneut, Nischeninteressen zu bedienen. Und wenn die Zugewanderten hier leben wollen, müssen sie Deutsch lernen und nicht wir ihre Sprache.
Deutsch übrigens und nicht Genderbabbel.

Albert Josef Schultheis | So., 24. September 2023 - 14:42

Schauen Sie sich doch allein die allenthalben anzutreffenden kommunikativen Kompetenzen innerhalb des deutschen Sprachraums an! Schauen Sie zB in den deutschen Bundestag! Was dort Mitglieder der Regierungsparteien an kommunikativen Kompetenzen zeigen, ist geradezu unterirdisch. Dagegen sind die Beiträge bspws. einer Weigel von der Opposition Highlights der Rhetorik - sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Beim Untergang des Ahrtals war es der verantwortlichen Grünen Politikerin wichtig, dass die Communiqués korrekt ge-gendert waren. Diese Regierung kommuniziert nur noch in einem "Restricted Code" für Halb-Debile und Mindergebildete. Das Englisch unseres Außen:Milchmädchens ist für einen diplomatischen Diskurs absolut defizitär. Aber sobald sie muttersprachlich kommuniziert, offenbart sich die gleiche geistige Verarmung. - Wenn Sie nun einen "Elaborierteren Code" im internationalen Diskurs fordern, dann muss ihnen klar sein, dass Sie die deutsche Diplomatie gänzlich abhängen!

Naumanna | So., 24. September 2023 - 19:30

Es ist eine gute Sache, Menschen dazu zu ermuntern, ihre Gedanken in ihrer Muttersprache zu äußern, allerdings versteht dann irgendwann niemand mehr irgendjemanden. Es gibt einfach zu viele Sprachen auf der Welt. Deswegen ist es durchaus zu begrüßen, dass sich eine Lingua Franca entwickelt hat. Früher Latein, dann Französisch, jetzt Englisch. Die Kinder lernen in vielen Ländern bereits ab der ersten Klasse Englisch. Das ist auf jeden Fall gut so. In zwei Sprachen kann sich jeder irgendwann auf Muttersprachniveau äußern. Es ist absolut zu begrüßen, dass das die jeweilige Muttersprache und Englisch ist. Um eine Sprache auf adäquatem Niveau zu beherrschen braucht es mindestens zehn Jahre Training. Es st unsinnig, weil undurchführbar, anzuregen, dass daneben noch mehrere Sprachen tiefgründig gelernt werden sollen. Jede weitere Sprache - neben zwei - reduziert den Wortschatz der beiden ersten, weil man ja die Sprachen dauerhaft trainieren muss, wie einen Muskel.

Henri Lassalle | So., 24. September 2023 - 20:14

aber es gibt immer mehr Menschen, die zweisprachig aufwachsen, oder dreisprachig wie ich. Englisch hat eben das Latein ersetzt und so wird es bleiben. Was mir auffällt in Deutschland ist der Gebrauch von "Denglisch", das zuweiligen spleenige Formen annimmt. Ein Beispiel: das Wort "Handy" hat nichts mit dem Telefon zu tun, es bezeichnet in der engl. Sprache jemanden, der sich handwerklich oder eben mit der Hand geschickt anstellt. Das Deutsche war vor Weltkrieg I in der Wisenschaft durchaus ubiquitär anerkannt, französisch galt als vornehm. Aber der Autor des Artikels hat Recht: Niemals wird man sich besser und genauer ausdrücken als in seiner Muttersprache. Ich sehe aber keine praktische Lösung, wie das im internationalen Rahmen zur Geltung kommen könnte - der Aufwand wäre enorm. Die Kunstsprache "Esperanto" halte ich für Unsinn.

Tomas Poth | So., 24. September 2023 - 22:20

In der Politik herrscht stattdessen Kakophonie und biblische Sprachverwirrung.
Unter Juristen: Sprache ist die Grundlage aller Mißverständnisse.
Konfuzius: Wenn die Worte nicht stimmen, ist das gesagte nicht das gemeinte.

In Afrika soll es allein 2000 Sprachen geben ...

Wer mit anderen nicht kommunizieren kann ... wird untergebuttert ...

Derzeitiger Stand der durchschnittlichen, kommunizierten Gerechtigkeit ... ?

Walter Bühler | Mo., 25. September 2023 - 08:38

Kreativität und Wissenschaftlichkeit brauchen Kommunikation und eine dazu geeignete Sprache. Lebendige Kulturen sind mit den Sprachen von Kulturnationen verbunden, von denen es glücklicherweise viele gab und gibt.

Jede Sprache muss aber gelebt werden, um das in ihr liegende Potential zu erhalten und zu entfalten.

Da die schulische und akademische Ausbildung in Deutschland ihren Sinkflug scheinbar unaufhaltsam fortsetzt, ist es durchaus möglich, dass Deutschland bald nicht mehr als Kulturnation betrachtet werden kann.

Des Philosophen Habecks einfache (und völlig zahlenfreie) Sprache mag gut für Kinderbücher sein, aber für eine erwachsene Kultur ist sie verheerend. Hinzu kommt nämlich die Wissenschaftsfremdheit und Wissenschaftsfeindlichkeit im heutigen Deutschland (speziell UNTER den "Wissenschaftlern"!).

Für die Welt in ihrer Gesamtheit ist das nicht schlimm: Kulturnationen steigen auf und verschwinden wieder. Wozu wir zu faul sind, das können sicherlich auch andere erledigen.

Ernst-Günther Konrad | Mo., 25. September 2023 - 11:58

Inzwischen haben sich mannigfaltige Begriffe aus dem englischen in den deutschen Sprachgebrauch gedrängt. Und täglich werden es mehr. Hört man Ausländer zu, so sagen die allermeisten, das deutsch eine sehr schwere, dafür aber umfassende und differenzierte Sprache ist. Das merken wir doch täglich bei unseren Politikern. Habeck und Baerbock sind doch die besten Beispiele. Sie können weder gescheit englisch noch deutsch. Die Sprachirrungen gerade dieser beiden Politiker gehen weit über die jedem zugestandenen Versprecher hinaus. Die können viele Begriffe nicht erklären und kaum sinngebende sachzusammenhängende logisch Sätze bilden. Das Netz ist voll von ihren "Sprachfähigkeiten". Es wäre bei denen also völlig egal, welche Sprache die sprechen. Da kommt so oder so nichts gescheites heraus. Aber Herr Guder ich gebe Ihnen völlig recht, die "Allzwecksprache" englisch kann einfach nicht alles so detailliert und sprachlich differenziert ausdrücken, wie es der Sprecher will.