Ausgewanderte Wörter - „In Neuguinea gibt es die supka, also die Schubkarre“

Im pazifischen Inselstaat Nauru heißt der Hammer „amar“ und die Russen nennen „Brandmauer“, was bei uns Firewall heißt. Der Journalist Matthias Heine hat über diese und weitere „ausgewanderte Wörter“ ein Buch geschrieben. Im Interview erklärt er, wie deutsche Begriffe ans andere Ende der Welt kamen, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein mussten und warum das Französische und das Isländische keine besonders aufnahmefreudigen Sprachen sind.

Missionare und Kolonisatoren brachten deutsche Wörter sogar auf entfernte Südseeinseln / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Susanne Lenz ist Journalistin und die erste Westlerin, die nach der Wende bei der Berliner Zeitung angefangen hat. Zwischendurch unterrichtete sie acht Jahre lang an Universitäten in den Philippinen und in Kambodscha. Sie ist Mitherausgeberin von „Kambodscha: ein politisches Lesebuch“.

So erreichen Sie Susanne Lenz:

Anzeige

Matthias Heine, 1961 in Kassel geboren, hat in Braunschweig Germanistik und Geschichte studiert. Seit 20 Jahren arbeitet er als Journalist in Berlin, seit 2010 ist er Kulturredakteur der Welt. Er hat bereits mehrere Bücher zum Thema deutsche Sprache veröffentlicht, bei Dumont erschien 2021 „Eingewanderte Wörter“. In „Verbrannte Wörter“ (Duden 2018) ging er der Frage nach, welche Spuren das Vokabular der Nazis in der Alltagssprache hinterlassen hat. Jüngst ist von ihm „Ausgewanderte Wörter. Von Deutschland in die ganze Welt“ im Dumont-Verlag erschienen (136 S., 20 Euro).

Herr Heine, ausgewanderte Wörter, das klingt ein bisschen, als ob die Wörter selbst ihre Sachen gepackt und sich aufgemacht hätten, aber eigentlich sind sie immer in jemandes Gepäck gereist, oder?

Ja. Im Gepäck waren sie beispielsweise bei Missionaren und Kolonisatoren. Ich habe mich bemüht, gerade aus diesem Bereich viel zu finden, denn deutsche Wörter, die im Englischen oder im Russischen existieren, sind bereits ziemlich bekannt.

Gibt es ein besonders prägnantes Beispiel?

Man findet im Südseeraum viele Ausdrücke für Handwerkszeug. In Neuguinea gibt es die „supka“, also die Schubkarre. Oder auch den „amar“, den Hammer, wie etwa in dem pazifischen Inselstaat Nauru, der auch zum deutschen Kolonialreich gehörte. In den Missionsschulen wurde den Kindern häufig ein Handwerk beigebracht. Für die Missionierten bedeutet das, dass sie bessere Jobs im Kolonialsystem fanden, die Kolonisatoren wiederum konnten auf qualifizierte Handwerker für ihre geschreinerten Veranden und Möbel zurückgreifen.

Welche Verbreitungswege gibt es noch?

Manchmal sind Worte von geistigen Strömungen irgendwohin getrieben worden. Die deutsche Chemie war im 19. Jahrhundert so führend, dass fast in allen Sprachen der Welt für bestimmte Elemente das deutsche Wort verwendet wird. Zink etwa ist bis ins Chinesische gekommen. Neben dem chemischen Wortschatz hat es ein weiteres deutsches Wort in alle Welt geschafft: Nazi. Das ist ein Export, auf den wir nicht sehr stolz sein können.

Wie qualifiziert sich denn ein Wort zum Auswanderer?

Es muss eine Benennungslücke geben, wie Linguisten das nennen. Es muss also in der Sprache, in die ein Wort einwandert, keinen Begriff dafür gegeben haben. Für Brot und Wasser braucht man keine eingewanderten Wörter.

Da kenne ich ein Gegenbeispiel. In Kambodscha heißt Brot „num pang“, darin steckt das französische Wort „pain“.

Dann gab es in Kambodscha kein Brot, bevor die französischen Kolonialherren kamen. Und die Schubkarre und der Hammer waren Neuerungen, die man auf den Südseeinseln nicht kannte. In solche Lücken stieß auch der religiöse Wortschatz. Auf den ebenfalls in der Südsee gelegenen Yap-Inseln gibt es das Wort „baaynaeg“, Weihnacht. Bevor die Missionare kamen, gab es dort kein Weihnachten, aber der christliche Glaube hat dort das Ende der Kolonialzeit überdauert. In der afrikanischen Sprache Bassa gibt es „faraè“ für Fahrrad. Und im Ovambo gibt es mein Lieblingswort: Schlips, dort heißt es „ofilipusa“.

Wie haben Sie denn in diesem Wort das Wort Schlips erkannt?

Es gibt bestimmte Wortbildungsmuster, aber ich hätte es wahrscheinlich trotzdem nicht erkannt, wenn ich es nicht in einer wissenschaftlichen Arbeit gefunden hätte.

Haben die Ovambo denn tatsächlich auch Schlips getragen oder brauchten sie nur ein Wort für das, was sie bei den Kolonisatoren sahen?

Beides. Eine deutsche Südwesterin, wie sich die Deutschen in der Kolonie Südwestafrika nannten, schreibt in ihren Erinnerungen, wie sich ein Ovambo, der auf ihrem Hof arbeitete, ein Küchenhandtuch als Schlips um den Hals band. Das war eben etwas Neues, mit dem man sich modisch schmücken konnte.
 

Das könnte Sie auch interessieren:


Sie haben vorhin erwähnt, dass die meisten deutschen Wörter im Russischen und im Englischen zu finden sind. Jeder kennt Beispiele wie „zeitgeist“, „weltschmerz“, „kindergarten“ im Englischen und „parikmacher“ für Friseur und „slagbaum“, also Schlagbaum im Russischen. Warum ausgerechnet in diesen Sprachen? Die Länder liegen zwar nicht weit weg von Deutschland, aber das gilt für Frankreich auch, und ins Französische hat es kaum ein deutsches Wort geschafft.

Das Englische ist eine viel aufnahmefreudigere Sprache als das Französische. Bei den Franzosen wacht ja auch die Academie Francaise über die Reinheit der französischen Sprache. Die Engländer haben viel philosophischen, kulturellen Wortschatz aus dem Deutschen übernommen, als Deutschland im 19. Jahrhundert eine der weltweit führenden Kulturnationen war. Auch die Vorsilbe „über-“ hat im Englischen ja eine große Karriere gemacht. Und die Russen haben im 17., 18. und 19. Jahrhundert Techniker und Verwaltungsexperten aus Deutschland geholt. Der Schlagbaum kam mit der Einführung des Eisenbahnverkehrs, die Brandmauer ist eine Errungenschaft deutschen Brandschutzes. Heute wird Brandmauer im Russischen übrigens für das benutzt, was wir Firewall nennen.

Wofür wir Anglizismus benutzen, benutzen die Russen Germanismen?

Ja, sie sagen auch Seite statt Website.

Sie erwähnten gerade, Englisch sei eine aufnahmefreudige Sprache. Wie steht es mit der Aufnahmefreudigkeit des Deutschen?

Deutsch ist extrem aufnahmefreudig. Im 16. und 17. Jahrhundert hat man viel aus dem Französischen und dem Italienischen übernommen, älter noch ist der Einfluss des Lateinischen. Und schon im 18. und 19. Jahrhundert begann der englische Einfluss. Es gibt eingewanderte Wörter, die wir gar nicht mehr als Fremdwörter empfinden.

Zum Beispiel?

Opfern. Das ist in der Frühzeit des Christentums aus dem lateinischen Verb „operare“ entstanden. Und Kirche kommt aus dem entsprechenden vulgärgriechischen Wort. Diese Begriffe sind schon vor 1500 Jahren eingewandert, als das Christentum nach Deutschland kam und man einen Wortschatz dafür finden musste. Streik wurde im 19. Jahrhundert aus dem englischen „strike“ übernommen. In meinem Geschichtsstudium habe ich eine Arbeit über den großen Bergarbeiterstreik von 1889 geschrieben, der zum Sturz Bismarcks führte, da steht in den zeitgenössischen Quellen noch „strike“. Das Deutsche hat auch aus Südamerika Worte für Tiere und Pflanzen übernommen, die von dort gekommen sind. Tapir zum Beispiel oder Kakao. Und das Wort Schokolade kommt aus der Sprache der Azteken.

Warum ist das Französische so wenig aufnahmefreudig?

So wie das Französische gibt es nur wenige Sprachen. Das Isländische ist ähnlich wenig aufnahmefreudig, auch dort gibt es eine Akademie, die über die Reinheit der Sprache wacht, die in Island einen ähnlichen quasi religiösen Stellenwert hat wie in Frankreich. Das ist auch verständlich, denn Island ist ein kleines Land, da ist die Sprache ein wesentliches Identitätsmerkmal

Hat es wirklich kein deutsches Wort in diese Sprachen geschafft?

Im ganzen Norden Europas hat es durch die Hanse eine Zeit lang einen Einfluss des Niederdeutschen gegeben. Daher kommt zum Beispiel das isländische Wort „maltid“, also Mahlzeit, oder „barti“ für Bart, „flinkur“ für flink. Sie sind über die skandinavischen Sprachen ins Isländische gewandert. Damals gab es auch die Akademie noch nicht. Und als es sie dann gab, hat man diese Worte nicht mehr als Fremdwörter empfunden. Sie waren vorher sozusagen „eingeisländischt“ worden.

Und im Französischen?

Da sind es zwei, drei deutsche Worte. „Le krach“ zum Beispiel. Das ist bei uns Börsencrash. Es geht zurück auf den großen Börsenkrach in Wien 1873.

Ist die Auswanderung von Worten ein Prozess, der sich fortsetzt?

Auf jeden Fall. Die Ukrainer etwa nennen jetzt die von den Russen installierten lokalen Behördenchefs „Gauleiter“. Mit diesem Wort knüpfen sie an die unangenehmen Erinnerungen in ihrer Geschichte an und übertragen den Nazi-Wortschatz auf die Gegenwart.

Die Fragen stellte Susanne Lenz.

 

In Kooperation mit:

 

Anzeige