
- Ein besseres Programm statt mehr Geld, bitte!
Kolumne: Kisslers Konter. Der neue ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm fordert eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Doch schon jetzt rechtfertigt das Programm die immensen Kosten nicht. In Frankreich und Schweiz gibt es bereits handfeste Bewegungen gegen die Zwangsgebühren
Sage keiner, die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten nähmen ihren Bildungsauftrag nicht ernst. Der Name ist Programm, und das Programm heißt „Wer weiß denn sowas?“ Unter diesem Titel gibt „Das Erste“ seit Juli 2015 in bisher knapp 300 Folgen werktäglich Antwort auf knifflige Fragen wie jene, welche Erkenntnis eine Studie aus dem Jahr 2013 denn geliefert habe: Ob Cola Zahnfüllungen aus Zement in 20 Minuten auflösen, unerwünschte Körperbehaarung zu 60 Prozent reduzieren oder in 90 Prozent aller Fälle Magensteine auflösen könne? A, B oder C? Über solche und artverwandte Scherze zerbricht sich unter Kai Pflaumes Anleitung „der Kölner ‚Tatort‘-Star Dietmar Bär“ den Kopf oder aber „die ‚Rote Rosen‘-Stars Gerry Hungbauer und Hermann Toelcke“ tun es.
Ulrich Wilhelms Blendgranate
Natürlich ist es unfair, den Anspruch von ARD und ZDF auf ein „Vollprogramm“ mit dem Hinweis auf alberne Quizspiele zu kontern. Doch geht es im Rest des Programms derart hinreißend seriös, überwältigend professionell und vorbildlich unvoreingenommen zu, dass das jährlich mit knapp acht Milliarden Euro von der Allgemeinheit finanzierte System implodierte, wenn der Rundfunkbeitrag nicht angehoben würde? Der Intendant des Bayerischen Rundfunks, ehemalige Pressesprecher der Bundeskanzlerin und neue ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm hat diese Blendgranate gezündet. Ohne mehr Geld aus den Taschen derer, die dem Amte noch bekannt sind, „würden kurzfristig drei Milliarden Euro fehlen, die wir im Wesentlichen im Programm einsparen müssten.“ Wer das Programm kennt, wird die Drohung eher als Verheißung empfinden.
So formatgebunden die Clownereien von „Wer weiß denn sowas“ nämlich sind, so symptomatisch ist die dort vorgeführte dauerironische Selbstbetrachtung für das System als solches: Ratendes Abwägen wird als Wissen drapiert, vorgefertigte Satzbausteine gelten als wirklichkeitsabbildend, menscheln muss es, die Regie triumphiert, sendergemachte Stars krönen sich reihum selbst: Geht es in „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ und im „Tatort“ und im „FilmMittwoch im Ersten“ sehr viel anders zu? Kollabiert dort nicht das enorme Sendungsbewusstsein der Sender, das der „ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice“ pathetisch, aber grammatikfern ausdrückt? „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist vielseitig. Seine Bedeutung und seine Unabhängigkeit hingegen ganz eindeutig: Wir brauchen ihn!“
Dass der Beitrag von derzeit monatlich 17,50 Euro pro Wohnung (unabhängig davon, ob sich in dieser Wohnung ein Radio oder ein TV-Gerät befindet) Zwangsgebühr genannt wird, verwundert nicht. Der Beitragsservice ist bereit, harten Prozess mit denen zu machen, die sich der Zahlung verweigern: „Zu den Maßnahmen zählen zum Beispiel Lohn- und Kontenpfändungen. Weigert sich ein Schuldner oder eine Schuldnerin, sein bzw. ihr Vermögen offenzulegen, können Vollstreckungsbehörden mit der sogenannten Erzwingungshaft drohen. Etwaigen „GEZ-Rebellen“ bleibt dann nur die Hoffnung auf eine Justizvollzugsanstalt mit weitem Herz und offener Tür, etwa in Berlin-Plötzensee.
Programmquark mit Rezept
Der Gegenwert für die humorlos eingetriebenen acht Milliarden Euro jährlich, die Ulrich Wilhelm nicht genügen, sind allzu oft Nachrichtensendungen im Modus der Zurechtweisung, sind Weltausschnitte als Weltausblendungen, sind Aktivisten, die sich Journalisten nennen, und Journalisten, die der Regierung kühlende Luft zufächeln. Sind Krimis, die das hohe Lied der Staatsfrömmigkeit, des „Kampfs gegen rechts“ und der „Klimagerechtigkeit“ singen. Und sind Spielfilme, die, wie demnächst an einem Mittwoch im Ersten „Aufbruch ins Ungewisse“, den fiebrigen Träumen von Grünen und „Pro Asyl“ entsprungen scheinen: Ein künftiges Europa ist in die Hände autokratischer Populisten geraten, weshalb die letzten aufrechten europäischen Demokraten in der Musterdemokratie Südafrika um Aufnahme ersuchen. Ist das auch Quark, so hat er ein Rezept. Es heißt Wirklichkeitsverklebung aus Gründen derzeitiger Staatsräson. Ablenkungstheater. Verdrängungsfest- und weihespiele.
Auch in der Schweiz und in Frankreich gärt es. Staatspräsident Emanuel Macron soll die öffentlich-rechtlichen Medien eine „Schande der Republik“ genannt haben; eine Reform an Haupt und Gliedern will er ins Werk setzen, Mittelkürzungen inklusive. Die Schweizer Volksabstimmung „No Billag“ – in Deutschland hieße sie „No Beitragsservice“ – soll schon im März Schluss machen mit „Zwangsgebühren, welche die Entscheidungsfreiheit jedes Einzelnen einschränken.“
Ohne Gebühren? Der Vorschlag aus der Schweiz
Die Schweizer Verfassung wäre bei einem Erfolg der Initiative zu ergänzen: „Der Bund versteigert regelmäßig Konzessionen für Radio und Fernsehen. Er subventioniert keine Radio- und Fernsehstationen. (…) Der Bund oder durch ihn beauftragte Dritte dürfen keine Empfangsgebühren erheben.“ Die Argumente der in Umfragen führenden Gegner des Gebührenzwangs lassen sich auf das Nachbarland übertragen: „Würden die Billag-Zwangsgebühren abgeschafft, entstünde ein freier, fairer Wettbewerb um die Gunst der Kunden. Wettbewerb führt tendenziell zu besseren und vielfältigeren Angeboten sowie zu tieferen Preisen. Resultat der Abschaffung der Billag-Zwangsgebühren wäre daher eine größere Medienvielfalt. Die Abschaffung der Billag-Zwangsgebühren würde der Medienfreiheit zum Durchbruch verhelfen.“ Und außerdem: „Die No-Billag-Initiative fordert nicht die Abschaffung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft, sondern die Abschaffung der Billag-Zwangsgebühren. (...) Die SRG müsste sich in Zukunft lediglich selbst finanzieren, wie die meisten anderen Unternehmen auch. Besteht eine entsprechende Nachfrage nach ihren Sendungen, dürfte es für eine haushälterisch wirtschaftende SRG kein Problem darstellen, erfolgreich zu sein.“
In Deutschland: Risikolose Moralmonopolisten
Das ist die Crux auch hierzulande: ein zunehmend selbstreferenziell gewordenes öffentlich-rechtliches Mediensystem hat sich dank seiner üppigen finanziellen Ausstattung zum Moralmonopolisten aufschwingen können. Wer dem Wettbewerb nicht ausgesetzt ist, kann sich diesem überlegen fühlen. Wessen Kassen sich zuverlässig füllen, der kann risikolos Monologe vom Katheder halten. Nicht anders macht es die EKD. Darum liegt der Weg zur Gesundung für das öffentlich-rechtliche Mediensystem vielleicht in weniger, ganz gewiss aber nicht in mehr Geld. Und in einer Rückkehr zur unvoreingenommen Betrachtung dessen, was der Fall ist.
BR-Intendant Ulrich Wilhelm sprach auf durchschaubar politische Weise: Wenn Politiker mit dem Geld anderer Leute nicht auskommen, fordern sie noch mehr fremdes Geld. Man nennt es dann Solidarbeitrag, Lastenausgleich oder Gerechtigkeitslückenschluss. Insofern wären die reicher alimentierten die vollendet politisierten, unaufhörlich moralisierenden Sender. Das kann niemand wollen, dem die Demokratie am Herzen liegt.