Alice Schwarzer vor einem Foto von Simone de Beauvoir / dpa

Alice Schwarzer zum 80. Geburtstag - Eine Verbeugung vor der großen Kämpferin

Deutschlands bekannteste Feministin Alice Schwarzer feiert ihren 80. Geburtstag. Eine Frau, die sich auch als Individuum emanzipiert und immer den Versuchungen des bequemen Meinens widerstanden hat.

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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„Deutschlands bekannteste Frauenrechtlerin“, „Über-Feministin“, „umstrittenste Feministin“, „Pionieren“, „Aktivistin“, „Führungsfigur“ – es gibt zahlreiche Attribute, die Alice Schwarzer in den vergangenen Jahrzehnten angehängt wurden. Zumeist waren es Superlative. Und das ist leicht nachvollziehbar. Denn Alice Schwarzer hat nicht nur die Debatten in Deutschland in den letzten Jahrzehnten so nachhaltig geprägt wie nur wenige andere Persönlichkeiten. Auch ihre Wirkung auf den Alltag, auf unser Denken, unser Fühlen, unseren Umgang miteinander ist erheblich. Eine beachtliche Lebensleistung.

Das schlimmste Schimpfwort sei „spießig“ gewesen

Geboren wird Alice Sophie Schwarzer 1942 in Wuppertal. Ihre Mutter ist zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre alt, der Vater ein Soldat auf Heimaturlaub. Alice wird ihn Jahrzehnte später einmal kurz treffen. Dann nie wieder. Das Kind wächst bei den Großeltern auf, die sie „Mama“ und „Papa“ nennt. Ihr wichtigste Bezugspunkt wird, wie sie selbst schreibt, ihr Großvater, zu Oma und Mutter hat sie ein eher geschwisterliches Verhältnis. Das Kriegsende erlebt die ausgebombte Familie im fränkischen Stadtlauringen. 1949 geht es zurück nach Wuppertal.

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Karl-Heinz Weiß | Sa., 3. Dezember 2022 - 12:33

Die Verbeugung vor der Lebensleistung von Alice Schwarzer sollte nicht habecksche Dimensionen annehmen. In der BILD-Berichterstattung über den Kachelmann-Prozess hatte sie gegen elementare journalistische Grundsätze verstoßen. Als Sühne wäre eine Teilnahme an den rund 400 Verhandlungstagen im NSU-Prozess und eine Biografie von Beate Tschäpe angemessen gewesen.

Kai Hügle | Sa., 3. Dezember 2022 - 14:09

Antwort auf von Karl-Heinz Weiß

Ich bin auch ein wenig erstaunt ob der Lobeshymne auf eine Frau ohne beruflichen oder akademischen Abschluss (so etwas kommt im Cicero normalerweise gar nicht gut), dafür aber mit einer Selbstanzeige über zwei bis drei Jahrzehnte Steuerhinterziehung mittels eines Schweizer Kontos - Klassiker.

Aber Courage und Feuer hat die Frau. Von daher: Happy birthday, Frau Schwarzer!

Brigitte Miller | Sa., 3. Dezember 2022 - 14:17

Antwort auf von Karl-Heinz Weiß

so habe ich das nicht in Erinnerung und in der EMMA kann man darüber lesen, wie es abgelaufen ist. Schwarzer hat nicht "Kachelmann vorverurteilt " wie etliche Medien kolportierten, sondern sich dafür gewehrt, dass eben das Opfer nicht vorverurteilt wird:

"Die Verteidigungsstrategie im Fall Kachelmann nennt man "Litigation-PR". Dabei wird ein Angeklagter mit Hilfe gewisser Medien und allen Mitteln reingewaschen und das eventuelle Opfer beschmutzt. Das ist vor allem in Strafprozessen wg. sexueller Gewalt ein Problem. Denn es steht Aussage gegen Aussage."
Frau Schwarzer hatte auch nicht den Anspruch, ein perfekter fehlerloser Mensch zu ein, wie ihr genüsslich nach der Steuerhinterziehung um die Ohren geschlagen wurde.

Ich verneige mich gern mit Herrn Grau vor Frau Schwarzer . Auch ihr unverrückbarer Kampf gegen die Ungleichbehandlung der muslimischen Frauen durch islamistische Männer ist zu erwähne, wo heute von Neo-Feministinnen Kulturrelativismus betreiben wird .

Brigitte Miller | Sa., 3. Dezember 2022 - 17:16

Antwort auf von Brigitte Miller

Darum ging es ihr : "Sie alle werden den Kachelmann-Prozess verfolgt haben. Sie alle werden eine Meinung zu dem Fall haben. Und Sie (fast) alle werden überzeugt sein, ich hätte geschrieben, der Angeklagte sei schuldig und seine Ex-Freundin sage nichts als die Wahrheit. Was falsch ist. Sie (fast) alle haben sich täuschen lassen. Auch Sie sind ein Opfer dessen, was wir hier Litigation-PR nennen."

https://www.emma.de/artikel/kachelmann-propaganda-recht-266110"

Jost Bender | So., 4. Dezember 2022 - 02:56

Antwort auf von Brigitte Miller

dann sollte man sich Schwarzers Originaltexte aus der Bild (und ihre prozessbegleitende Agitation aus d. 'Emma') vornehmen - & nicht die nachträgliche, apologetische (& nat. einseitige) Deutung aus der 'Emma':
Nein, Alice Schwarzer war damals sehr wohl eindeutig parteiisch, präjudizierend & tendenziös unterwegs - & auch das 'Duell' mit Esther Vilar macht ein Grundproblem ihres streitbaren Charakters deutlich: Ihre Unduldsamkeit & Widerspruchsintoleranz: Ihre Rechthaberei zum Thema Lebenserwartung z.B. fußte offens. auf falschen Zahlen (oder ihrer Fehlinterpretation), dennoch insistiert sie aggressiv & arrogant auf ihrer conclusio... Schwarzer setzte mehr als 75% Redeanteil durch & unterbrach E.V. dennoch selbst bei den kurzen Antworten.
Ich bin Schwarzer i.d. letzten Jahren auch für einige Positionierungen dankbar, respektiere ihre Lebensleistung, aber allzu tief sollte man sich sicher nicht verbeugen, angesichts der vielen Ideolog. Positionen & offens. Fehler & Irrtümern...

Ernst-Günther Konrad | Sa., 3. Dezember 2022 - 14:28

Sie war schon immer seit ihrem öffentlichen wirken, eine streitbare und teilweise durchaus über emotionalisierte Person in der Debatte. Aber richtig ist, dass sie dabei ihrer Linie, ihren Grundüberzeugungen treu blieb und niemand nach dem Mund redet. Man kann allerdings nicht bestreiten, dass sie ihre eigene ganz persönliche Interpretation von Feminismus versuchte, allen Frauen überzustülpen, quasi denen eine weibliche Zwangsempfindung auf diktierte. Gleichwohl ist ihr Verdienst durchaus der, dass sie nicht unerheblich an der "Befreiung" der Frau vom Patriachat mitwirkte. Man muss sie nicht mögen, man muss nicht immer ihrer Meinung sein, aber sie hat wenigstens eine und tritt dafür ein, ob sie nun richtig ist oder nicht.
@ Karl-Heinz Weiß - Sie haben völlig recht mit dem Hinweis auf den Fall Kachelmann. Genau das ist auch Kennzeichen einer Alice Schwarzer, die gerne mal über das Ziel hinaus schoss und über emotionalisiert ihre Bekanntheit nutzte und nicht zimperlich mit anderen war.

Sabine Lehmann | Sa., 3. Dezember 2022 - 23:12

Das durfte man gestern im zwangsgebührenfinanzierten ÖR bewundern. Ein 60-minütiger Verriss über Alice Schwarzer, der so ziemlich alles im Repertoire hatte, was man gemeinhin als üble Nachrede und Verleumdung bezeichnen darf. Natürlich ist Frau Schwarzer eine Rassistin, homophob, Genderfeindlich, gegen Transmenschen und einfach ein Unmensch, der gar nicht im woken Mainstram mit schwimmen möchte. Letzteres kombiniert mit selbstständigem Denken und eigener Meinung passt halt nicht zum Entwurf des angepassten ZDF Bürgers. Ein TV Genuss für alle, die bei ihrem Unmut über Zwangsgebühren noch Luft nach oben haben.

Albert Schultheis | So., 4. Dezember 2022 - 00:24

Alice Schwarzer hat ihre Fehler, man muss sie nicht heiligsprechen und man muss sie auch nicht verdammen. Sie stand immer, gerade weil sie keine verkopfte, akademisierte "Intellektuelle" war, mit zwei Beinen auf dem Boden der Tatsachen. Ihr ideologischer Impetus hat sie nicht davor bewahrt, richtige Böcke zu schießen, dennoch war ihr Anliegen immer erkennbar: Benachteiligung von Frauen zu benennen, sogar weitgehend sachlich, ohne Schaum vor dem Mund. Und sie hatte den Schneid, den heutigen, verblödeten feministischen Epigon:Innen vom Schlage einer Margarete Stokowski ihr "j'accuse!" entgegenzuschleudern. Dafür schätze ich sie. Und dafür, dass sie es gewagt hat, den Kriegstreiber:Innen und :Außen, den Zack-Strack-Zimmermänn:Innen und den Toni Hofreiter:Innen Einhalt zu gebieten.

Gabriele Bondzio | So., 4. Dezember 2022 - 08:56

nicht kühl analytisch an, sondern emotional."

Die Emotionalität bzw. emotionale Intelligenz hat Frau Schwarzer bis heute nicht abgelegt und das macht sie in meinen Augen glaubwürdig.

Frau muss nicht mit allem einverstanden sein, was so eine Person fordert oder vertritt, aber wenn ich spüre das hier viele positive Gefühle (Fröhlichkeit, Entschlossenheit, Begeisterung, Stolz, Tatkraft) bei mir ankommen.
Kann ich mich ganz anders auf diese Person einlassen.

Frau kann diese Empathie und Motivation für ihr Geschlecht und den Menschen im allgemeinen spüren.

Samuel Butler hat dazu ein schönes Zitat geprägt:
"Nicht Worte sollen wir lesen, sondern den Menschen, den wir hinter den Worten fühlen."

Alles Gute Alice und noch viele gute Jahre...

Dorothee Sehrt-Irrek | So., 4. Dezember 2022 - 11:37

schreiben, weil ich eine Frau bin oder in jedem Fall auch von ihrem Wirken getragen wurde?
Muss ich nicht, denn Herr Grau ehrt Frau Schwarzer durchaus in dem Sinne, wie ich sie auch sehe, als selbstbestimmtes Individuum und Macherin, gewissermaßen als Person/in.
Ihre Stärke kann nicht so sehr die theoretische Debatte um das Geschlecht und die Frauen gewesen sein, sonst wäre sie mir doch noch stärker aufgefallen.
Warum kann ich ihr in ihrem energischen Wirken nicht das Wasser reichen?
Ich vermute, dass ich immer eine Liebende war/bin, ob zum Vater, Mann oder besonders dem Sohne.
Eine großmütterliche Freundin, der ich auf ihre alten Tage aushalf, schimpfte oft mit mir, ich "vernachlässige" die Tochter.
Bevor ich duldete, von diesem Vorwurf getroffen zu werden, habe ich einfach gewußt, dass da noch jemand anderes ist, der dies ausgleicht.
Herzlichen Glückwünsche an Frau Schwarzer

Wolfram Fischer | So., 4. Dezember 2022 - 13:47

Ich teile etliche Sichtweisen von Alice Schwarzer ausdrücklich nicht, insofern ist mir Herrn Graus Verbeugung dann doch etwas zu tief.
Aber ich zolle Alice Schwarzer allerhöchsen Respekt für ihre Klarheit im Kopf und ihre Unbeugsamkeit in Bezug auf den islam und seiner nach unseren freiheitlich-demokratischen Werten völlig indiskutablen Frauen-Entrechtung, an deren Existenz tatsächlich kein sinnvoller Zweifel möglich ist.
Sie ist die einzige Feministin, die hier Klartext spricht, während in der "Feministinnen"-Szene auf breiter Front - ganz linksgrünwoke - nicht nur Funkstille bezüglich dieses schreienden Problems herrscht, sondern Alice Schwarzer in übelster Weise angefeindet und platt gemacht wird mit den üblichen gleichermaßen moralinsauren wie schwachsinnigen Totschlag-Etikettierungen (sie wissen schon... Rassismus, Islamophobie, Fremdenhass, Spaltung, ....) medial totgeprügelt wird.
Alice Schwarzer - für mich die letzte Feministin. Dafür meinen allerhöchsten Respekt!

Gerhard Lenz | Mo., 5. Dezember 2022 - 10:23

Zweifellos hat Frau Schwarzer viel für die Sache der Frau getan. Sich oft genug mit Konservativen gezofft, die noch heute die (biologische und wirkliche) Bestimmung der Frau darin sehen, als Heimchen und Mütterchen am Herd brav in der zweiten Reihe hinter der Krone der Schöpfung zurückzubleiben.
Das hat viel Mut, Energie und Rückgrat erfordert. Dafür gebührt Frau Schwarzer jede Menge Respekt.

Man muss jedoch auch bei ihr jede Menge Wasser in den Geburtstagswein gießen. In letzter Zeit ist die Dame häufig irrlichternd unterwegs, scheint für Populismus anfällig, spielt die überzeugte Putinistin und verbreitet den typischen Anti-Amerikanismus der Vietnam-Kriegsgegner, wie man ihn auch von einer Wagenknecht hört.
Schwarzer sollte nicht den gleichen Weg eines Gaulands, einer Krone-Schmalz oder eines Scholl-Latours gehen und ihr politisches Ansehen auf dem selbstentzündeten Scheiterhaufen entwerten.

Das wäre schade, gerade weil sie früher so mutig Wichtiges getan hat.