Alex Garlands Film „Civil War“ - Meditation über das Grauen

Der Actionfilm „Civil War“ zeigt ein Amerika, in dem sich die Armee und extremistische Gruppierungen blutig bekämpfen. Er ist jedoch kein politisches Manifest – vielmehr eine Art filmische Meditation über die Macht und Authentizität der Bilder, über ihre Wahrhaftigkeit und Verführungskraft.

Regisseur Garland mit seinem Star Kirsten Dunst bei der Premiere von „Civil War“ / dpa
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Autoreninfo

Ursula Kähler ist promovierte Filmwissenschaftlerin und arbeitete unter anderem am Deutschen Filminstitut & Filmmuseum in Frankfurt am Main. Sie veröffentlichte „Der Filmproduzent Ludwig Waldleitner“ (2007) und „Franz Schnyder. Regisseur der Nation“ (2020).

 

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Ursprünglich war es die Absicht des britischen Regisseurs Alex Garland gewesen, einen Antikriegsfilm über heroische Journalisten zu drehen. Denn die Presse, so Garland, sei die vierte Macht im Staat. Ihre Aufgabe sei es, die Regierungen zu beobachten. Man brauche Journalisten genauso wie Ärzte. Mit einer Untergrabung oder gar Dämonisierung der Presse – Stichwort „Lügenpresse“ – sei man auf dem Holzweg. Denn: „The thing you are guarding against may just turn up.“

Auf den ersten Blick scheint dem Filmemacher („Ex Machina“, 2015, „Annihilation“, 2018, „Men“, 2022) dies mit seinem neuesten, aktuell viel diskutierten Werk „Civil War“ auch zu gelingen. Der Plot erzählt von einem Amerika in naher Zukunft, aufgespalten in etliche extremistische Gruppierungen. In einem erbitterten Bürgerkrieg bekämpfen sich die amerikanische Armee und die sogenannten „Western Forces“, ein bewaffnetes Bündnis der regierungsfeindlichen Staaten Texas und Kalifornien. Ihr Ziel ist es, die Hauptstadt zu erreichen, das Weiße Haus zu erobern und den Präsidenten zu eliminieren. Die renommierte, mittlerweile emotional abgestumpfte Kriegsfotografin Lee (Kirsten Dunst) reist mit drei Kollegen für ein letztes Interview mit dem Präsidenten (Nick Offerman) von New York nach Washington. Ein riskantes Unterfangen in dem Wissen, dass Journalisten von der Regierung gnadenlos liquidiert werden. Die Fahrt wird zum apokalyptischen Horrortrip.

Mit dabei ist die junge Bildreporterin Jessie, gespielt von Cailee Spaeny, die Lee als eine Art Mentorin verehrt. Naivität und Fanatismus lassen sie zum Spielball der grauenhaften Ereignisse werden, auf die sie nicht vorbereitet war und die schlussendlich keiner der Mitreisenden bewältigen kann. Der Film wird hier zum Road Movie und zeigt das ganze Land als desaströsen Kriegsschauplatz. Highways sind überfüllt mit zerstörten Autos, die Städte menschenleer, in einer alten Autowaschanlage hängen zwei blutüberströmte Männer von der Decke und warten auf den Gnadenschuss, in einer Grube stapeln sich kalkbestäubte Leichen. 

Garland weiß, mit Wahrnehmungen zu spielen

Die brutalen Kämpfe und Gräueltaten sind sowohl für die Protagonisten wie für den Zuschauer schwer zu ertragen. Die meist handgeführte, dokumentarisch-authentisch wirkende Kamera zeigt schonungslos Leichenberge, Blutflüsse aus Bauchschüssen und das grenzenlose Leid der Opfer dieses sinnlosen Krieges. Die bedrohlich-beklemmende Stimmung wird konsequent durchgezogen und selbst durch lässige Videoclip-Ästhetik zu Songs von Silver Apples („Love Fingers“) oder De La Soul („Say No Go“) nicht unterbrochen. Die Songs mögen für einen kurzen Augenblick Entspannung verschaffen, doch die entsprechenden Bilder verstören. Nur wenige Augenblicke verschaffen eine Verschnaufpause von der Brutalität der Ereignisse, etwa wenn der Presse-SUV eine Straße durch ein brennendes Waldgebiet entlang fährt und dabei von einem Funkenregen befallen wird. Ein poetischer Moment des Grauens. Das überrascht. Garland weiß, mit Wahrnehmungen zu spielen, und setzt dieses Können intelligent sein.  

 

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Die Erwartungen an „Civil War“ waren hoch – vor allem in politischer Hinsicht. Trailer mit spektakulären Aufnahmen vom explodierenden Lincoln Memorial, fanatischen Bürgermilizen und Vorberichte versprachen Anspielungen auf die Ära Trump. Sie erinnerten an die mittlerweile ikonischen Szenen vom Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Doch in dieser Hinsicht enttäuscht der nahezu unpolitische Film. Über die Hintergründe des Bürgerkrieges erfahren wir im Grunde nichts. Der namenlose Präsident scheint eine Art Diktator zu sein, der unter anderem das FBI abgeschafft hat. Einzig eine Sequenz offenbart die rassistische Motivation eines sadistischen Milizionärs (Kirsten Dunsts Ehemann Jesse Plemons). Zu welcher Seite er gehört, erfahren wir nicht. Spontan und kaltblütig erschießt er im Beisein der vier Journalisten zwei Kollegen asiatischer Herkunft.  

Fotografien sind Konstruktionen, Produkte des Zufalls

Im Zentrum der Handlung steht das Thema der Macht der Bilder. Die beiden Hauptfiguren sind Fotografinnen. Wie die zahlreichen Soldaten schießen auch sie – doch nicht mit Waffen, sondern mit Kameras, um zu dokumentieren. Und gerade die junge Reporterin Jessie arbeitet nicht wie ihr Vorbild Lee mit irgendeinem digitalen Apparat, sondern mit der berühmten analogen F2 von Nikon, der Kriegsreporterkamera schlechthin. Der Nachwuchs wählt die altbewährte Methode und setzt somit auf ein gesteigertes Maß an Authentizität. Und Garland montiert die im Magnum-Stil entstandenen Schwarz-Weiß-Fotos zwischen die Szenenbilder, sodass der Erzählfluss unterbrochen wird. Ganz im Stil von Bertolt Brechts Losung „Glotzt doch nicht so romantisch!“ Die Bilder der Bilder stören den Illusionsaspekt, was nichts Neues im Kino ist, aber selten so sinnvoll wie hier und noch dazu in einem Blockbuster angewendet wurde. Entsprechend endet der Film auch nicht mit dem geplanten letzten Interview des Präsidenten, sondern lediglich mit Fotografien seiner Hinrichtung. Ein Sieg des Bildes über den Text.

Man kann „Civil War“ für seinen schwachen politischen Hintergrund kritisieren. In dieser Hinsicht bietet die Produktion weder Antworten noch Lösungen. Vielmehr ist sie eine Art filmische Meditation über die Macht und Authentizität der Bilder, über ihre Wahrhaftigkeit und ihre Verführungskraft. Fotografien versprechen, Tatsachen abzubilden. Aber das war schon immer eine Illusion – auch vor Bildbearbeitung und KI. Fotografien sind Konstruktionen. Produkte des Zufalls und des Augenblicks. Und die Reporter, die sie machen, sind gefangen in unüberschaubaren, teils emotionalisierenden Momenten. Sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, mag einer ehrenwerter Vorsatz sein. Doch der Fotojournalist macht sich immer gemein: mit der Situation, dem Grauen, den menschlichen Abgründen. Garland zeigt dies eindrucksvoll. 

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