Unangebrachter Alarmismus - Der demokratisch selbstbewusste Bürger ist kein Claqueur

Eine Studie der Körber-Stiftung will zeigen, dass die Deutschen das Vertrauen in die Demokratie verlieren. Entsprechend alarmistisch fallen die Kommentare in den Medien aus. Aber das ist zu einfach gedacht. Zu einer funktionierenden Demokratie gehören Vertrauenskrisen dazu.

Gewitterwolken über dem Reichstagsgebäude / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Die alte Bundesrepublik, also das West-Deutschland der Jahre 1949 bis 1989, war eine ungewöhnliche Demokratie. Im ersten Parlament saßen noch elf Parteien. Das lag daran, dass die 5-Prozent-Hürde nur auf Landesebene galt. Bis zur Bundestagswahl 1961 hatte sich dann aber ein lange Zeit gültiges Drei-Parteien-System etabliert. Das änderte sich erst 1983, als erstmals die Grünen in den Bundestag einzogen.

In den vierzig Jahren der alten Bundesrepublik gab es im Grunde nur zwei politische Einschnitte. Der eine war die Wahl Willy Brandts (mit dem Vorspiel der ersten großen Koalition) 1969, der zweite die Abwahl Helmut Schmidts am 1. Oktober 1982 und die Wahl Helmut Kohls. Von diesen epochalen Machtwechseln abgesehen, war Westdeutschland festgezurrt in ein routiniertes System stabiler Regierungen und Koalitionen. Legt man ein etwas gröberes Raster an, kannte Deutschland bis 1998 nur drei große Regierungsphasen: die Regierungsjahre Adenauer und Folgende bis 1969, die sozialliberalen Koalitionen 1969 bis 1982 und die Ära Kohl 1982 bis 1998. Mehr Stabilität geht nicht.

Eintönigkeit gegen den Albtraum von Weimar

Und die Westdeutschen fühlten sich wohl dabei. Denn alles andere hätte den Albtraum der „Weimarer Verhältnisse“ heraufbeschworen und die Legitimität der Bundesrepublik angezweifelt. Denn die gründete im Wesentlichen auf zwei Dingen: wirtschaftlichen Wohlstand und dem Versprechen, aus der Geschichte gelernt zu haben und nie wieder politische Instabilität zuzulassen. Schon das Grundgesetz sollte eine möglichst stabile Demokratie garantieren. Man könnte auch sagen: Eine sehr eintönige, die eine Abbildung der schwankenden politischen Stimmungen in der Bevölkerung zu Gunsten politischer Kontinuität opfert.

Eine Schlüsselfunktion kommt bei dieser Konstruktion nolens volens den Parteien zu. Auch wenn sich die Mütter und Väter des Grundgesetzes der Folgen vielleicht nicht ganz klar waren, so hat sich in Deutschland mit dem Grundgesetz und über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes mit den Jahrzehnten eine Parteiendemokratie etabliert, die im europäischen Vergleich singulär ist. Ohne die Parteien geht faktisch nichts. Und erfolgreiche Parteineugründungen, die in der Lage sind, neue politische Strömungen aufzugreifen, sind extrem schwierig. So wirklich gelang das nur den Grünen und der AfD. Ob eine Wagenknecht-Partei Erfolge haben kann, wird man im Fall eines Falles sehen.

 

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Aus historischen Gründen ist der Deutsche in ein sehr künstliches System verfassungsrechtlich herbeigezwungener Kontinuität hineingepresst worden und hat sich daran gewöhnt. Für Demokratien ist das aber nicht selbstverständlich. Denn im Grunde sollen Demokratien ja keine Stabilität oder Kontinuität garantieren – das können Diktaturen viel besser –, sondern den geordneten Machtwechsel und die latente Bedrohung der Regierung durch eine mögliche Abwahl. Kurz und gut: Die Tugend der Demokratie ist eigentlich die Instabilität, nicht die Stabilität.

Wenn also die Körber-Stiftung am vergangenen Donnertag eine Studie veröffentlichte, nach der das Vertrauen der Deutschen in die Demokratie abnimmt, ist es angeraten, genauer hinzuschauen. So haben in Deutschland gemäß Umfrage 43 Prozent ein großes Vertrauen in die Demokratie und 54 ein weniger großes. Was das genau heißt, ist schwierig zu deuten. Denn 56 Prozent geben an, Politiker bräuchten mehr Macht und Durchsetzungswillen (was 29 Prozent ablehnen), zugleich geben aber 86 Prozent (!) an, die Bürger sollten bei wichtigen Entscheidungen mehr einbezogen werden.

Nicht der Demokratie misstrauen die Deutschen, sondern den Parteien

Angesichts des Titels der Studie, schalteten viele Medien umgehend auf Alarm. Tenor: Die Deutschen misstrauen zunehmend der Demokratie (Subtext: Droht uns ein neuer 30. Januar?). Was ein Unfug! Denn Misstrauen und Unzufriedenheit gehören zu einer guten Demokratie dazu. Sie sind ihr Salz und ihr Treibmittel. Nur Diktaturen baden in Vertrauen. Demokratie lebt nun einmal vom (gepflegten) Streit, von der Uneinigkeit und davon, die eigenen Positionen nicht oder nur halb umzusetzen. Das nervt, hält das System aber dynamisch.

Worauf die Studie der Körber-Stiftung zielt und was die Zahlen andeuten, ohne es klar zu benennen, ist weniger die Demokratie an sich als die bundesrepublikanische Parteien-Demokratie. Die allerdings ist vielleicht nicht in einer Krise, erweist sich aber zunehmend als träge, umständlich und festgefahren. Das System, das einmal Stabilität garantieren sollte, erweckt zunehmend den Eindruck, Abläufe institutionalisiert zu haben, die effizientes und bürgernahes Regieren verhindern.

Doch Demokratie und die aktuelle Parteien-Demokratie ist nicht dasselbe. Die Bürger spüren, dass sich über die Jahrzehnte ein administratives Milieu verselbstständigt hat, das den Problemen des Landes zunehmend weniger gewachsen scheint. Das aber zeugt nicht von Misstrauen in die Demokratie, sondern von demokratischer Reife. Denn der demokratisch selbstbewusste Bürger ist kein Claqueur, sondern genau das: skeptisch und misstrauisch.

 

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