200. Todestag E.T.A. Hoffmanns - Die Feier der Ambivalenz

Er gilt als Erfinder des deutschen Kriminalromans, war Verfasser düsterer Schauergeschichten, zudem Komponist, Zeichner und Karrierejurist: Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann. Anders als die Romantiker seiner Zeit, klammerte er sich nicht an scheinbare Gewissheiten, sondern verteidigt Ambivalenz und Mehrdeutigkeit. Das macht ihn hochaktuell.

Im Urbanen zuhause: Gedenktafel für Dichter ETA Hoffmann in der Berliner Charlottenstraße / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Selbst gebildeten Zeitgenossen fallen häufig nur Anekdoten zu ihm ein: die Zechereien bei Lutter & Wegner, die Schulden, der Berliner Gendarmenmarkt, das Selbstporträt mit den dicken Kotletten. Doch E.T.A. Hoffmann war mehr als der koboldhafte Zecher und launige Karikaturist des Berlins der Restaurationszeit. Hoffmann war einer der begabtesten Universaltalente der deutschen Kulturgeschichte: hochtalentierter Zeichner, ebensolcher Komponist, innovativer Erzähler, Karrierejurist, Rechtstheoretiker und liberaler Richter in wenig liberaler Zeit. Vor allem aber war Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann, der seinen dritten Vornamen später aus Verehrung zu Mozart in „Amadeus“ änderte, ein klarsichtiger Analytiker der anbrechenden Moderne, ihrer Chancen, ihrer Monstrosität und vor allem ihrer Ambivalenzen.

Zerrüttete Familienverhältnisse

Geboren wird der spätere Dichter, Kapellmeister und preußische Regierungsrat 1776 in Königsberg als Sohn eines Gerichtsadvokaten. Der Siebenjährige Krieg liegt über ein Jahrzehnt zurück. Die junge Großmacht Preußen befindet sich unter dem alternde Friedrich II. in der Konsolidierungsphase. Die Eltern trennen sich zwei Jahre nach der Geburt des Kindes. Ernst Theodor bleibt, anders als sein älterer Bruder Johann Ludwig, bei seiner psychisch labilen Mutter. Bezugspunkt für den Knaben wird die Großmutter.

Mit 16 beginnt Ernst Theodor mit dem Studium der Jurisprudenz in seiner Heimatstadt. Er befasst sich intensiv mit Musik und verfasst erste literarische Versuche. Mit noch nicht 22 Jahren besteht er das zweite Staatsexamen mit einer herausragenden Abschlussnote und beschließt nach Berlin zu gehen. Dort legt er sein drittes Staatsexamen ab und wird zum Gerichtsassessor in Posen ernannt. Hier lernt er seine spätere Ehefrau Michalina Rorer kennen.

Auf eigenen Wegen

Wenige Jahre jünger als die um 1772 geborenen Frühromantiker Schlegel, Novalis und Tieck gehört Hoffmann zu den Jahrgängen der sogenannten Heidelberger Romantik, also zu den Brentanos und v. Arnims. Im Gegensatz zu ihren etwas älteren Dichterkollegen erlebten sie Französischen Revolution nicht als Studenten, sondern als Schüler. Sie sind nicht von dem revolutionären Enthusiasmus geprägt, sondern den nüchternen Folgen.

Anders als Brentano, Arnim oder die Grimms zieht Hoffmann daraus jedoch nicht die Konsequenz, sich in alte Volksmärchen, in Brauchtum und Überlieferung zu versenken. Das preußisch-protestantische Umfeld und seine Neigung zum modernen, urbanen Leben stehen dem entgegen. Aus den Schriften Schlegels und Tiecks, aus dem Spiel mit Ironie und Mehrdeutigkeiten entwickelt Hoffmann daher seine eigenen, ungleich moderneren Ideen.

 

Zuletzt in der Kolumne Grauzone erschienen:

 

Ein entfesselter Romantiker

Dass Hoffmann der vielleicht modernste Romantiker war, hat auch damit zu tun, dass ihm der Anker (oder die Fessel – je nachdem) fehlte, an die sich die anderen Romantiker nur allzu bald klammerten: die Religion. Entsprechend suchte Hoffmann das Geheimnisvolle, das Beunruhigende, das Chaos nicht in der Transzendenz, sondern in der Wirklichkeit, in der Realität der sich formierenden bürgerlichen Gesellschaft. Das macht ihn zugleich subversiv und bedrohlich.

So lauert in E.T.A. Hoffmanns vielleicht bekanntester Erzählung „Der Sandmann“ das Unfassbare nicht in einer Parallelwelt oder einer anderen Sphäre, sondern in der Wahrnehmung des Protagonisten Nathanael, der sich letztlich zu Tode stürzt – ob im Wahn oder weil er allein die Wahrheit erkennt, bleibt offen.

In dem nicht minder berühmten „Die Elixiere des Teufels“ wird die Geschichte des Mönchs Medardus erzählt, der zum gefeierten Kanzlerredner avanciert, sich verliebt, bei der Suche nach der Geliebten seinem Doppelgänger begegnet, zum mehrfachen Mörder wird, im Irrenhaus landet, schließlich zweifelt, ob all das überhaupt wirklich geschehen ist und über die Verliese des Vatikans in sein Kloster zurückkehrt. Dort erlebt er, wie sein Doppelgänger seine Geliebte umbringt und beginnt schließlich, seine Geschichte aufzuschreiben.

Das Unheimliche ist immer zweideutig 

E.T.A. Hoffmann hat weder die Schauergeschichte erfunden, noch das Spiel mit der Realität. Er hebt jedoch beides auf eine neue Ebene. Das Unheilvolle, Unwirkliche, der Wahn, er ist immer zweideutig. Zudem hat er eine humorige Seite und feiert das Karnevaleske. Das mitunter Weihevolle der Heidelberger Romantiker ist Hoffmann fremd.
Als Napoleon 1806 die preußischen Beamten zu einem Treueeid nötigt, quittiert er den Dienst und beginnt als freier Künstler zu leben. Bald haben seine Erzählungen großen Erfolg, zugleich reüssiert er als Musiker, ist ab 1808 Kapellmeister in Bamberg, später Musikdirektor einer Operngesellschaft.

1814 kehrt der Künstler teilweise in den Staatsdienst zurück, veröffentlicht jedoch weiter. 1816 erscheint seine einzige Oper: „Udine“. Von zunehmenden Lähmungen schwer gezeichnet, gerät Hoffmann in seinen letzten Lebensjahren doch noch in Konflikt mit den Zensurbehörden. Freunde verschleppen das Verfahren. 1822 stirbt E.T.A. Hoffmann in Berlin.

Der Richter und die objektive Wahrheit 

Als Richter hat sich Hoffmann immer wieder, auch theoretisch, mit der Frage von Wahrheit und Lüge befasst. Wem kann man glauben? Welche Aussage ist richtig? Gibt es überhaupt so etwas wie objektive Wahrheit? Ist nicht alles eine Frage des Standpunktes? Lebt nicht jedes Individuum in seiner eigenen Wahrheit? In seinen unheimlichen Geschichten spielt er diese Fragen immer und immer wieder durch. So wird er zugleich – neben Edgar Allen Poe – zum „Erfinder“ der Kriminalgeschichte („Das Fräulein von Scuderi“).

Anders als die Romantiker in Jena und Heidelberg, anders aber auch als etwa Goethe, der mit Hoffmann wenig anfangen konnte („fieberhafte Träume eines kranken Gehirns“), wusste Hoffmann, dass die Zeit der Eindeutigkeiten, des Glaubens an Religion, Tradition oder Kunst vorbei ist. Es gibt keine Gewissheiten mehr. Und wer Haltung einfordert, ist verdächtig. Diese Einsicht hat was enorm Subversives. Auch noch 200 Jahr nach E.T.A. Hoffmanns Tod. Allein das ist ein Grund, ihn wieder zu lesen. Seine spannenden Geschichten ein weiterer.

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