Die Kant-Gedenktafel nach einem Entwurf von Friedrich Lahrs befindet sich im Brunnenhof des Duisburger Rathauses/ dpa

Man sieht nur, was man sucht - Ethisches Denken wider die Praxis gewalttätigen Handelns

Die Immanuel-Kant-Gedenktafel in Königsberg wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Die Duisburger Replik von 1955 ist unscheinbares Beispiel der Hoffnung darauf, dass ethisches Denken die Praxis gewalttätigen Handelns überleben könnte.

Autoreninfo

Beat Wyss hat an zahlreichen internationalen Universitäten gelehrt. Er hat kontinuierlich Schriften zur Kulturkritik, Mediengeschichte und Kunst veröffentlicht. Beat Wyss ist Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.

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Der berühmteste Bürger von Königsberg, heute Kaliningrad, russische Exklave zwischen Polen und Litauen, ist Immanuel Kant. Zu seinem 100. Todestag am 12. Februar 1904 hatte die Stadt dem Begründer moderner Philosophie im Geist der Aufklärung eine schlichte Gedenktafel gestiftet. Diese ist in den Bombardements des Zweiten Weltkriegs untergegangen. Bereits im August 1944 war die Altstadt samt Schloss und Dom bei nächtlichen Angriffen der britischen Luftwaffe schwer beschädigt worden. Die Schlacht um Königsberg vom 6. bis 9. April 1945 gab Ostpreußens stolzer Hauptstadt den Rest. 316.000 Einwohner hatte sie vor dem Krieg noch gezählt, jetzt hielt sich noch etwa ein Drittel davon in der belagerten Stadt in den Trümmern auf. Einen Fluchtkorridor bot das Frische Haff an der Mündung der Pregel, wo Zivilisten auf dem Schiffsweg über die Ostsee nach Westen evakuiert werden konnten. 

Die sowjetischen Armeen hatten Königsberg Ende Januar eingekreist. Zur Kapitulation riet Wehrmachtsgeneral Otto Lasch angesichts der völlig aussichtslosen Lage, zumal die weitgehend zerstörte Stadt von der Versorgung abgeschnitten war. Doch Reichsstatthalter ­Erich Koch war strikt dagegen, Durchhalten sei deutsche Ehrensache. Für den Fall des Scheiterns drohte aus dem Berliner Führerbunker Hitler persönlich dem General mit dem Todesurteil. Reichsminister Koch war Gauleiter der Ukraine, die seit der Kesselschlacht um Kiew im September 1941 deutsches Reichsgebiet war. Offiziell trat die Wehrmacht als Befreier vom Joch des Stalinismus auf, doch Ziel war eine konsequente Entjudung und Germanisierung in dieser Provinz, die, zusammen mit Weißrussland, die Kornkammer des Dritten Reiches bilden sollte. Putins Ansage, die Ukraine von den Nazis säubern zu wollen, kommt somit 80 Jahre zu spät. Im Gegenzug aber handelt der russische Diktator exakt nach deren historischer Vorlage

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Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 19. April 2022 - 12:57

Leider bin ich durch überspitzt gesagt "imperiale Deutungen" des Sollen und der Pflicht bei Kant, derart alarmiert worden, dass ich Ihnen widerspreche.
Nein, in dieser Stelle spricht nicht das Sollen oder die Pflicht, sondern das Lieben, Glauben und Hoffen.
Es ist Mozarts Zauberflöte und Kants Beitrag, wiewohl ja auch schon Mozarts Werk oder Schillers ein Beitrag dazu sind, ich empfinde auch die Lehre Christi als einen solchen.
Es hat wirklich ziemlich lange gedauert, bis ich merkte, woher ich komme und wozu/hin ich gehöre.
Das macht, weil es auf der ganzen Welt und vielleicht auch schon im Kosmos immer anverwandter wird.
Für meine Mama und meinen
Papa, Christa Wolf, ja ALLE

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande
Als flöge sie nach Haus.
J. v. Eichendorff Mondnacht

Das Göttliche braucht keine Armeen, nicht einmal Gesetzbücher.
Es ist das Rauschen, Ahnen und Lieben des All.
Das ist meine Bewerbung für ein friedliches Prussen in der Welt an Russland

René Maçon | Di., 19. April 2022 - 19:27

"Doch Kant, der skeptische Philosoph, vertritt mit diesem Satz keineswegs einen naiven Idealismus,..."

Ist das wirklich so? Im Grunde entwickelt Kant mit großem formalen Aufwand eine Ethik, die völlig unbrauchbar für die Lebenspraxis ist: Man darf noch nicht einmal lügen, um seinen Nachbarn vor einem Mörder zu retten. Die Betonung der "Pflicht" wurde, soweit ich sehe, von den Nazis brutal missbraucht. Wer schreibt einmal eine Bestandsaufnahme des Flurschadens, den Kant mit seiner Ethik angerichtet hat?

es waren die Nazis, zuvor der Pflichtbegriff der Preussen usw.
Wenn ich überlege, was man aus Nietzsche gemacht hat, da der sich aber bedeckt, um nicht zu sagen verdeckt hielt oder poetisch schrieb, wo er nicht ausführlich werden wollte.
Kant könnte man immerhin wieder und wieder lesen.
Dabei sollte man evtl. prussische Wortherkünfte beachten oder aber Kants Hineinhorchen in Begriffe.
Wie hat er für sich das Wort Vernunft abgeleitet, von vernehmen, von verneinen oder nicht doch schon von Zunft, zusammenführen etc.?
Das Wort Pflicht mag ihm näher an Pflegen, Gewohnheit zu tun verortet sein als an Zwang.
Das Wort Sollen evtl. näher an Sein, Sina, denn an Scolan, Schuld, Erfordernis usw.
Warum dann grenzt er Begriffe nicht ausreichend ab, bzw. definiert klar und deutlich?
Vielleicht dann doch ein Versäumen, weil weder Kant, noch Nietzsche eine bewegende Veranlassung im menschlichen Sein dingfest machen konnten, die Gottes Gebot/Gesetze verbürgten.
Bei Beiden aber die Hoffnung auf LIEBE?!

und bei Nietzsche bricht sich die Hoffnung auch eher mit in-Mitleidenschaft-ziehen des Geistes Bahn.
Phlegan, die etymologisch wahrscheinliche Urform zu Pflicht, wird bei Kant aber eben nicht zum Pflock, an den man gebunden wird, denn dies widerspräche vehement seine Grundsätzen a priori; vom Pflock kommt man nicht zur Freiheit.
Aber weil Kant sich noch nicht zu gesellschaftlichen Formen des Seins durchringen kann, von der Liebe zu schweigen, bleibt ihm das Göttliche wohl doch auch verhüllt, während sich seine vor allem literarisch-philosophischen Epigonen fragten, wie man von ihm zur Liebe kommt.
Schiller stellt entsprechend die Anmut neben die Würde, aber da ich Männern keinesfalls Anmut absprechen würde, noch den Frauen Würde, setze ich Kants Begriffe schlicht divers.
Das Sollen wäre demnach die zu wünschende Bewegung des Sein zum So-sein, zu einem darin ge/bestimmten, selbstge/bestimmten Zustand Aller durch Alle.
Ich weiss noch, dass ich als junger Mensch viel so gesprochen habe:)