Krankenhausreform - Lebenserhaltende Maßnahmen

Bundesgesundheitsminister Lauterbach scheint sich mit seinen Länderkollegen allmählich einig zu werden, was die geplante Krankenhausreform betrifft. Das liegt nicht an einem genialen Entwurf; sondern daran, dass sie nicht scheitern darf. Heute tagte die Schicksalsgemeinschaft erneut.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach / dpa
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Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Die Welt war mal wieder gegen ihn: Die einen warfen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) „Sozialismus“ vor (Thomas Lemke, Vize-Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft vor einigen Wochen in einem Zeitungsinterview), andere unterstellten ihm Umverteilung und somit Augenwischerei (Gerald Gaß, Vorstandvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft), und wieder andere tadelten seine „nicht zu übertreffende Großstadtarroganz“ (Martin Schirdewan, Co-Vorsitzender der Partei Die Linke) .

Vor den heutigen Beratungen zur geplanten Krankenhausreform zwischen dem Bundesgesundheitsminister und seinen Vertretern aus den Ländern in Berlin, war die Erregungskurve zumindest medial erneut im roten Bereich. Die Debatten um die Schieflage in den deutschen Kliniken und die möglicherweise fehlerhaften Rezepte bei deren Rettung, hatten Lauterbach unter Druck gesetzt. Wieder einmal, so muss man hinzufügen. Denn schon während des allerersten gemeinsamen Gipfels am 6. Januar diesen Jahres, schlugen die Wogen im Streit um die Zukunft der gut 1719 von der geplanten Reform betroffenen Kliniken hoch. 

Kein Wunder: Das System ächzt und quietscht an allen Ecken. Laut einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts von Ende 2022 unter 309 repräsentativen Kliniken gehen 56 Prozent aller Krankenhausbetreiber davon aus, dass sich ihre wirtschaftliche Situation im nun laufenden Jahr verschlechtern wird – und das, wo doch schon zwei Jahre zuvor vier von zehn Kliniken rote Zahlen schrieben.

Der Patient scheint also kurz vor dem Exitus zu sein. Gegensteuerung täte daher dringend not. Doch der enge Zeitplan für die Lauterbach’sche Krankenhausreform hat die Luft in den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern nur noch dünner werden lassen. Noch vor der Sommerpause, so hatte der Minister noch vor wenigen Tagen vor dem Bundestag versprochen, wolle man ein Eckpunktepapier präsentieren. 

Lauterbach könnte es sich einfacher machen

Keine einfache Sache also, zumal es wohl kaum etwas Komplizierteres gibt, als die Organisation des deutschen Krankenhaussystems. Man möchte also nicht unbedingt in der Haut des zuständigen Ministers stecken; auch wenn Lauterbach als einstiger „Corona-Minister“ natürlich kampferprobt ist und im Notfall auch mal über genügend (Aus-)sitzfleisch verfügt. Das hat er in der Vergangenheit immer wieder unter Beweis gestellt: Bei den Diskussionen um die Nebenwirkungen der Corona-Impfung, bei der anhaltenden Medikamentenknappheit oder bei der im Stand-by-Modus befindlichen Digitalisierung des Gesundheitssystems.

Die Wogen im Sturm um seine Reformen und Politikansätze können also eigentlich so hoch schlagen, wie sie wollen: der Minister hält Kurs und bleibt seinem einmal eingeschlagenen Weg treu – auch wenn sich der gelegentlich als Irrweg erweisen sollte. Man mag diesen Stil mögen oder nicht: Fakt ist, Lauterbach könnte es sich und der Sache oft einfacher machen. Er müsste nur gelegentlich mal von seinem hohen Katheder herabsteigen, auf dem zahlreiche Kritiker den Professor für Gesundheitsökonomie der Universität Köln immer wieder mal sehen, um der anderen Meinung Gehör wie Respekt zu verschaffen.

Vorwurf der Falschmeldungen

Doch statt im Fall der Krankenhausreform auf die vielen Kritiker seines Reformpapiers integrierend zuzugehen, fiel er im Vorfeld der heutigen Sitzung zunächst einmal wieder durch Sturheit und scharfe Töne auf: In einem Interview mit der Bild-Zeitung etwa bezichtigte er einige seiner Kritiker der Lüge. So warf er Klinikbetreibern vor, die zum Teil um den Erhalt ihrer Häuser fürchten, sie würden bewusst mit Falschmeldungen operieren, um die Bürger zu verunsichern. Der Bürger solle die Nachricht bekommen, „die Reform von Lauterbach zerstöre die Klinik vor Ort“. Das Gegenteil aber, so der Minister, sei der Fall.

Es war also wieder mal Konfrontation angesagt. Zumindest bis kurz vor Beginn. Erst in letzter Minute wurde dann plötzlich bekannt, dass das Bundesgesundheitsministerium zumindest gegenüber den Reformskeptikern aus den Ländern zu Zugeständnissen bereit sei. Denn auch von dort waren im Vorfeld immer wieder Misstöne zu hören gewesen. Am lautesten wohl vom bayrischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU).

Der hatte Lauterbach in den zurückliegenden Wochen bereits mehrmals aufgefordert, seine durch eine unabhängige Kommission erarbeiteten Reformpläne noch einmal zu überarbeiten. Nicht zentral vorgegebene und streng katalogisierte Versorgungsstufen (Level) sollten demnach über die finanzielle Situation der Kliniken entscheiden, die Länder müssten vielmehr selbst entscheiden können, welche Versorgung wo stattfinde, so Holetschek über einen der wesentlichen Aspekte in Lauterbachs Reformansatz.
 

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Zwar hatte der derart Gescholtene in all diesen Fragen bis kurz vor Beginn der Sitzung noch Zähne gezeigt – ohne seine Reform werde man viel mehr Kliniken verlieren als ohnehin schon, so Lauterbach gegenüber der Bild –; doch dann lenkte der Minister ganz plötzlich ein: Auch wenn er an dem kritisierten Level-System festhalten werde, so wolle er die konkrete Einstufung der Kliniken den einzelnen Ländern überlassen. Außerdem habe man gemeinsam klargestellt, wer eigentlich für was zuständig sei.

Die Länder hätten demnach den Hut bei der Krankenhausplanung auf, der Bund bei der Betriebskostenfinanzierung. Nicht, dass das nicht zuvor bereits durch die klar geregelte duale Finanzierung geklärt gewesen wäre; aber manchmal ist es ja auch gut, wenn man Selbstverständlichkeiten noch einmal als Verhandlungserfolg präsentieren kann. 

Das neue Milliardenloch

So wirkten am Ende ganz plötzlich alle, als hätten sie in den gemeinsamen Stunden ein großes Stück Kreide gefressen: Lauterbach jedenfalls sprach auf der anschließenden Pressekonferenz von einer „sehr erfolgreichen Sitzung“, zumal 90 Prozent aller Ziele von Bund und Ländern geteilt würden (über die Wege zu den Zielen verlor er interessanterweise nur wenig Worte). Melanie Schlotzhauer (SPD), Präses in der Hamburger Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, lobte die „neue Qualität der Zusammenarbeit“, und Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann war, wie auch schon viele Male zuvor, einfach nur glücklich darüber, dass sein Bundesland mit der Einführung sogenannter Leistungsgruppen den Weg für eine gelingende Krankenhausreform bereits im Vorfeld geebnet hatte.

Alles also gut? Keineswegs. Denn während die Gesundheitsminister noch gemeinsam bella figura machten („We agreed to disagree“, so Lauterbach), drohte von anderer Stelle bereits neues Ungemach: Das Milliardenloch der deutschen Kliniken vergrößert sich. Das Gesamtdefizit, das die Krankenhäuser infolge der Inflation kontinuierlich ansammeln, so vermeldete es jüngst das Deutsche Ärzteblatt, sei auf 8,95 Milliarden Euro angewachsen (Stand 31. März 2023). Monat für Monat häuften die Kliniken somit 740 Millionen Euro zusätzliche Defizite an. 96 Prozent aller Kliniken könnten ihre Einnahmen nicht mehr aus den laufenden Ausgaben finanzieren.

In Anbetracht solcher Zahlen wirken die selbstzufriedenen Gesundheitsminister nicht unbedingt wie Lebensretter. Dass der Bundesgesundheitsminister in einer derartigen Situation über seinen eigenen Schatten gesprungen ist, ist da wahrlich keine Heldentat; eher schon gleicht es einer notwendigen lebenserhaltenden Maßnahme.
 

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