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Mike Mohring (CDU) und Bodo Ramelow (Die Linke) / picture alliance

Thüringen-Wahl - Verantwortung hoch zwei

Die CDU möge gefälligst mit der Linken koalieren, wird vielfach gefordert. Das Argument: „staatspolitische Verantwortung“. Seltsamerweise wird dieser Begriff immer nur dann verwendet, wenn es darum geht, politische Mehrheiten zu finden

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Wenn ich das richtig sehe, existiert sogar bei der auf den ersten Blick recht absolut wirkenden „Verantwortung“ eine Steigerungsmöglichkeit. Und zwar beginnt es bei der einfachen, nicht näher bezeichneten „Verantwortung“, gefolgt von der „politischen Verantwortung“ und findet seinen Höhepunkt schließlich in der „staatspolitischen Verantwortung“. Letztere wird jetzt allenthalben wieder beschworen, um eine Koalition der glücklosen CDU mit der überaus erfolgreichen Linkspartei in Thüringen zu legitimieren.

Denn für eine Alleinherrschaft in dem beschaulichen Bundesland hat es für den linken Landesvater bekanntlich (noch) nicht ganz gereicht, und auch mit den bisherigen Regierungspartnern von SPD und Grünen kommt er dort nicht auf eine absolute Mehrheit. Aber weil Bodo Ramelow bei seinen Landsleuten doch so erkennbar beliebt ist, möge jetzt bitteschön Mike Mohring mit seiner CDU in die Bresche springen. Und zwar aus „staatspolitischer Verantwortung“.

Der allerletzte Trumpf

Das klingt alles sehr hochtrabend, und womöglich liegt die Wortwahl ja auch daran, dass Thüringen sich selbst einen Freistaat nennt. Sonst hätte man es vielleicht bei „landespolitischer Verantwortung“ bewenden lassen können. Andererseits klingt „staatspolitisch“ halt einfach deutlich pathetischer, denn wer sich seiner „staatspolitischen Verantwortung“ entzieht, der hat eigentlich als Staatsbürger und erst recht als Staatspolitiker komplett versagt – zumindest in den Augen derjenigen, die dieses Wort im Munde führen.

Wozu übrigens auch Mike Mohring selbst gehörte, der ja bekanntlich aus „staatspolitischer Verantwortung“ sein ursprüngliches Wahlversprechen mit staatsmännischer Attitüde unter den Teppich kehren wollte. Offenbar fällt seine einstige Aussage, es nicht mit den Linken machen zu wollen, nur unter die Rubrik „einfache“ beziehungsweise „politische“ Verantwortung. Wenn es hinterher erwartbar anders kommt, muss eben der allerletzte Trumpf ausgespielt werden: die „staatspolitische Verantwortung“.

Wehrpflicht und Energiewende

Erstaunlicherweise ist tatsächlich immer nur dann von „staatspolitischer Verantwortung“ die Rede, wenn es um Koalitionen geht. Das ist zwar durchaus nicht verboten, erweckt aber den unguten Eindruck, Staatspolitik beschränke sich auf das Zustandekommen von Regierungsmehrheiten. Hingegen fallen offenbar sämtliche politische Entscheidungen, die in der eigentlichen Regierungszeit getroffen wurden beziehungsweise noch werden, in den Bereich der verminderten Verantwortung. Oder hat man es bei der Abschaffung der Wehrpflicht oder bei der Energiewende, um nur zwei Beispiele zu nennen, jemals von „staatspolitischer Verantwortung“ dräuen hören?

Übrigens kann sogar der Wunsch nach dem Nichtzustandekommen von Koalitionen mit einer wohlweislich nicht näher definierten „staatspolitischen Verantwortung“ begründet werden. Erinnert sei hier nur an den norddeutschen Sozialdemokraten Ralf Stegner, welcher nach der zurückliegenden Bundestagswahl an seine Genossen appellierte, der Neuauflage der Großen Koalition aus „staatspolitischer Verantwortung“ eine Absage zu erteilen. Weil sonst nämlich der AfD die Rolle der Oppositionsführerin überlassen werde.

Mögen Sie bitte schweigen

Insofern verstößt die SPD seit mehr als anderthalb Jahren offenbar gegen ihre „staatspolitische Verantwortung“. Zum Glück ermahnte der nordrhein-westfälische CDU-Ministerpräsident Armin Laschet die Sozis im vergangenen Juni eindringlich daran, die GroKo nicht zu verlassen – und zwar aus, man ahnt es: „staatspolitischer Verantwortung“.

Und wenn jetzt eine Leserin oder ein Leser dieses Beitrags auf den Gedanken kommen sollte, dass der hier vielfach zitierte Begriff nur bei solchen Gelegenheiten aus dem Wortschatzkästlein hervorgeklaubt wird, die erkennbar machtpolitisch motiviert sind, dann möge sie oder er bitte schweigen. Und zwar aus „staatspolitischer Verantwortung“.

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Tomas Poth | Di., 29. Oktober 2019 - 19:32

Wo war sie denn 2015!???
Jetzt sollen die per Wahl abgestraften gesammelt werden, um ihre gemachten Fehler als solche nicht erscheinen zu lassen?
Das Ganze ist eine Groteske des RotGrünen Polit-Milieus.
Sachsen und Brandenburg haben der SED-PDS-Linke gezeigt wo sie hingehört. Fehlt nur noch Thüringen. In der Sprache von Grönemeyer, keinen Millimeter für den Sozialismus und SED-Stasi!

Klaus Peitzmeier | Di., 29. Oktober 2019 - 21:18

Von einer gelungenen Wahrnehmung staatspolitischer Verantwortung spricht man doch, wenn eine Regierung eine erfolgreiche Politik ausführte. Das war doch, wie man überwiegend hört, bei der letzten Regierung in Thüringen der Fall. Also sollte diese Regierung doch sinnvollerweise fortgeführt werden. Der Vernunft wird sich die FDP doch wohl nicht entgegenstellen u die Regierung weitestgehend tolerieren. Der Anlaß, weshalb die erfolgreiche Regierung in Thüringen abgewählt wurde, lag doch in Berlin. Und da hat doch das Thüringer Wahlergebnis ihren bestmöglichen Beitrag geleistet, um auch dort Reformen anzustoßen.
So gesehen ist das Wahlergebnis doch geradezu ein Glücksfall. Die CDU emanzipiert sich etwas nach rechts, nimmt der AfD dadurch wieder Stimmen ab u Höcke kann durch seine rechtsradikalen Höhenflugsvisionen immer als schlechtes Beispiel dienen, so daß die AfD zwar Stachel bleibt aber nicht zum Dolchstoß der Demokratie wird. Ramelow hält SPD u GRÜNE klein u alles wird gut!!

Ingo frank | Di., 29. Oktober 2019 - 22:37

Wenn die thüringer CDU eine wie auch immer blumig umschriebene Zusammenarbeit mit den Linken eingeht, höre ich die Sektkorken in der Erfurter AfD Zentrale bis in den kleinsten thüringer Winkel knallen.

die sogenannten Altparteien oder auch Volksparteien (CDU, SPD) schon mal gefragt, warum die Wähler denen nicht mehr ihre Stimme geben, sondern vermehrt der AfD?
Solange dies nicht hinterfragt wird, wird es weiter bergab gehen.
Vieleicht haben die Wähler einfach nur nachgedacht und ihrer staatspolitischen Verantwortung genüge getan.
Was dann dabei rauskommt, ist in Thüringen zu sehen. Und dies ist wahrscheinlich nur der Anfang. Gut das es 2020 nur eine LT-Wahl (Hamburg) gibt.
Schafft Luft und die Hoffnung das der Wähler sich wieder besinnt?

Thomas Hechinger | Di., 29. Oktober 2019 - 22:56

--- (aus staatspolitischer Verantwortung)

gerhard hellriegel | Mi., 30. Oktober 2019 - 08:24

versenkt.

Wilfried Nauck | Mi., 30. Oktober 2019 - 08:34

Mein ernstgemeinter Vorschlag: In Thüringen wird eine Minderheitsregierung aus CDU,SPD und FDP mit Tiefensee als MP gebildet. Taubert bleibt Finanzministerin, die FDP bekommt das Wirtschaftsministerium. Die verbleibenden Parteien können dann zeigen, dass ihnen das Land wichtiger ist als die Partei. Begründung für Tiefensee: Erfahrung und Beliebtheit. Die Wahl zum MP ist geheim. Er kann dann mit Hilfsstimmen der Linken und oder der AfD gewählt werden. Mohring halte ich wegen seiner unglaublichen Eierei nach der Wahl für untauglich. Die CDU hat ein seltenes Talent, ungeeignete Kandidaten (Kandidatinnen) zu ihren Chefs zu wählen! (Die SPD auch).

Ernst-Günther Konrad | Mi., 30. Oktober 2019 - 08:41

Klasse Herr Marguier Ihr Artikel wieder einmal. Kurz, knapp und präziese diese Blender und Rosstäuscher demaskiert. Wenn die wüssten, was wirklich Verantwortung bedeutet, gäbe es dieses Affentheater um eine Koalition zwischen rot-schwarz nicht. Aha, es wird also staatspolitisch begründet. Was halten diese Schwätzer eigentlich mal davon, den Bürger, ihre Wähler in den Mittelpunkt zu stellen. Wir alle sind deren Arbeitgeber und haben mit den Wahlen entschieden. Wenn Herr Mohring tatsächlich eine Koalition ins Auge fast, dann dürfte das in Thüringen einen CDU-Aufstand geben. Las gestern anderswo, das einige angedroht haben, ihr Parteibuch abgeben zu wollen. Was sind das für Charaktere, die ihre eigenen politischen Überzeugungen verkaufen und mit dem "Gegner" paktieren. Ja, Ramelow ist nicht der Prototyp eines Linken oder Kommunisten, aber er gehört zu der SED-Nachfolgepartei und was die wollen, wissen wir alle hinreichend. Der Bürger hat mit CDU/AFD/FDP bürgerlich/liberal gewählt. Also?

hat der Bürger NICHT für eine Koalition aus Bürgerlichen (CDU und FDP) und der rechtsextremistischen AfD gestimmt. Christliche und FDP gingen mit einer klaren Ablehnung der AfD in den Wahlkampf. Aber durchaus interessant: Plötzlich will sich die AfD ausgerechnet denen anbiedern, die man gestern noch als abgewirtschaftete Altparteien oder gar Volksverräter beleidigt hat.

Robert Hans Stein | Mi., 30. Oktober 2019 - 16:03

Antwort auf von Gerhard Lenz

klare Ablehnung der AfD im Wahlkampf von Christlichen und FDP. Ein Zusammengehen mit der Linken wurde nicht weniger klar abgelehnt. Und wenn ich mich unter meinen lieben Thüringern so umhöre, muß ich einräumen, dass ein bürgerliches Bündnis - ja, bürgerlich, trotz Höcke, ob Ihnen das schmeckt oder nicht - zumindest in ländlichen Regionen mehr Zustimmung als Ablehnung erfährt. Und Weisheit, falls Sie mir mit studentischem Milieu o.ä. kommen wollen, Weisheit kann man sich nicht anstudieren, die entsteht durch Lebenszeit.

Wilfried Düring | Do., 31. Oktober 2019 - 15:09

Antwort auf von Gerhard Lenz

Irgendwann und irgendwo wird es einen 'Probelauf' nach dem 'Modell' Österreich (S. Kurz) geben. Je länger die CDU wartet, desto stärker wird die AfD!
Ich kann nachvollziehen, daß der erste 'Probelauf' nicht ausgerechnet in Thüringen stattfinden sollte (Björn Höcke polarisiert einfach zu sehr).
In Thüringen hat sich die CDU in eine klassische 'Zwickmühle' manövriert: SIe macht die AfD stark, wenn sie mit den Linken kooperiert. Und sie macht die Linke (Ramelow) noch stärker, wenn sie AfD kooperiert. SPD und Grüne spielen machtpolitisch keine Rolle mehr. Wenn Linke und CDU kooperieren, werden diese beiden Parteien nicht mehr gebraucht!

...einäugig? Denn wie heisst es so schön: "Mit dem Zweiten (zugehaltenes Auge...) sieht man besser" ;)
Man konnte am Wahlsonntag wieder mal schön diese "Einäugigkeit" erkennen: Obwohl die CDU vorher betonte, mit keiner der beiden Parteien am Rand koalieren zu wollen, wurde von dem "subventionierten" Sender ein "Regierbarkeits-Balken für die Wahlmöglichkeit mit der Linken angezeigt, einer für die mit der AfD nicht.
Diese Einseitigkeit wird vom ZDF fast schon perfektioniert. Und für sowas muss man bezahlen :( Ich freu mich auf den Tag, wenn man die ÖR wieder zusammenlegt - man würde sich nicht nur bei Sportveranstaltungen ne Menge Geld sparen.

Der Bürger hat für keine Koalition gestimmt. Auch Sie beanspruchen eine Deutungshoheit.
Ich kann mir nicht vorstellen, das ein Wähler der CDU wählt, die FDP oder eine oder mehrere andere Parteien mit ins Boot haben möchte.
In einer Demokratie entscheidet die Mehrheit. Die Mehrheit der zur Wahl gegangenen will eine Linke Reg. Ob das einen passt oder nicht. Ich würde es nicht wollen. Wer nicht zur Wahl geht oder mit der Partei die er gewählt hat nicht die Mehrheit erreicht hat, hat sich dem Mehrheitsprinzip zu beugen. Das ist Demokratie!
Unser Problem ist doch, die Parteien deuten das Wahlergebnis zu ihren Machterhalt in einen Wählerwillen um. Es werden Farbzusammenstellungen kreiert = Wählerwille
Ist dieses Farbenspiel nicht zu erreichen, sucht man eine neue = erneut Wählerwille. Staatspolit. verant. heißt auch das Votum des Souveräns zu respektieren, KOA sind gestzl nicht geregelt u. können somit nicht legitimiert werden. Wenn KOA dann nur auf Basis gesetzl Regel. nur 2 Part

Lieber Herr Konrad, wenn Sie sich die AfD gerade in Thüringen mit ihrem Björn Höcke, der für ein völkisch-rassistisches Weltbild steht, vor Augen führen, können Sie diese doch nicht ernsthaft in einen bürgerlich-liberalen Parteienverbund einfügen.
Ich finde es immer wieder erschreckend, dass die AfD, die außer Hassparolen nichts zu bieten hat, immer wieder so viele Stimmen bekommt, egal wer bei denen kandidiert.
Offenbar ist vielen Wählern unsere freiheitliche-demokratische Grundordnung egal.
Offensichtlich hat es uns zu lange zu gut gegangen, so dass viele meinen sie können aus lauter konsumverblödeter Langeweile mal mit dem Feuer spielen ...